Besprechung vom 23.03.2018
Verlierer der Energiewende
Naturschutzfolgen: Johanna Romberg über den Artenschwund bei Vögeln
"Wir brauchen eine andere Landwirtschaftspolitik." Diesen Satz hat Johanna Romberg bei den Recherchen zu ihrem neuen Buch immer wieder gehört. Er sei eine Art Stoßseufzer, den Naturschützer von sich geben, sobald sie nach den Gründen für den Vogelschwund der vergangenen Jahre gefragt werden. Während die Landwirtschaft bis etwa 1800 reich strukturierte Grünflächen hervorbrachte und damit die Biodiversität erhöhte, ist ihre heute betriebene intensive Form ein Sargnagel für die Artenvielfalt. Befasst man sich mit der Misere, stößt man auf eine Reihe kompliziert zusammenhängender Aspekte: Ausgleichszahlungen, Monokulturen, Subventionen, Milchpreise, EU-Agrarpolitik.
Bei der Lektüre wird schnell klar, dass das Buch nicht so defensiv ist, wie Titel und Untertitel suggerieren. "Federnlesen" klingt nach einer anheimelnden, weltentrückten Tätigkeit, der Untertitel "Vom Glück, Vögel zu beobachten" schon fast nach Selbsthilfe. Zwar erfahren wir, mit welchen Eselsbrücken das Erlernen von Vogelstimmen am besten gelingt und warum der Vater der Autorin in jeder Blaumeise Franz Josef Strauß entdeckte. Solche Kauzigkeiten stehen allerdings Kapiteln gegenüber, in denen es fundiert und unbequem zur Sache geht.
Johanna Romberg, 1958 geborene Redakteurin des Magazins "Geo", hat Menschen getroffen, die Vögel beobachten, erforschen und schützen. Einer von ihnen ist Oliver Krüger, der an der Universität Bielefeld untersucht, welchen Schaden Windräder anrichten. Die von ihm ermittelten Zahlen und Statistiken sind durchweg deprimierend: Mäusebussard und Rotmilan könnten in Norddeutschland dank großer Windparks bald zu Raritäten werden. Dabei belegt der 2014 erschienene "Atlas deutscher Brutvogelarten", dass wir gerade für den Rotmilan eine besondere Verantwortung tragen, weil mehr als fünfzig Prozent aller existierenden Paare dieser Spezies bei uns leben.
Sinnvolle Maßnahmen gegen den Klimawandel erzeugen also auch Probleme, die sich nicht einfach übergehen lassen. Weitere Beispiele sind rasch gefunden: Wasserkraftwerke zerstören Fischpopulationen, Anbauflächen für Raps und Mais sind unwirtliche Wüsten, Biogasanlagen verschmutzen Gewässer. Dass der Naturschutz ein Verlierer der Energiewende ist, wird öffentlich viel zu wenig diskutiert. Der Chemiker und Philosoph Jens Soentgen hat in seinem vor zwei Jahren in der Zeitschrift "Merkur" veröffentlichten Essay "Pie in the Sky" sogar von "Umweltzerstörung durch Umweltschutz" gesprochen.
Doch zurück zu den Vögeln. Was ist nun so reizvoll daran, sie zu beobachten? Laut Romberg, und da geht sie konform mit Simon Barnes, von dem das Buch "How To Be A Bad Birdwatcher" (2012) stammt, ist es unter anderem die Mischung aus Erwartbarem und Überraschendem, Vertrautem und Neuem. Denkt man das komplex genug weiter, könnte am Ende eine ästhetische Theorie der Vogelbeobachtung stehen, in der das Hinschauen eine genauso wichtige Rolle spielt wie das Lauschen. Die dazugehörige Studie muss freilich noch geschrieben werden, bis dahin aber sind wir mit "Federnlesen" gut bedient.
KAI SPANKE
Johanna Romberg: "Federnlesen". Vom Glück, Vögel zu beobachten.
Illustrationen von Florian Frick.
Lübbe Verlag, Köln 2018. 304 S., geb.
© Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt.