Besprechung vom 19.06.2020
Geld bereist die Welt
Korruption ist dafür äußerst förderlich: Oliver Bullough beschreibt Praktiken einer internationalen Finanzindustrie.
Könnte es sein, dass irgendwo auf der Welt ein Land existiert, von dem wir nichts wissen und das nach den Vereinigten Staaten und China die drittreichste Nation der Welt ist? Könnte es sein, dass dieses Land nicht nur Autokraten bei der Plünderung ihrer Länder unterstützt, sondern westliche Demokratien bedroht? Das zumindest ist die These des britischen Journalisten Oliver Bullough, der sich in "Land des Geldes" auf die Suche nach den Knotenpunkten einer weltumspannenden Finanzindustrie macht, durch die jedes Jahr Hunderte von Milliarden Dollar aus dem Blickfeld verschwinden.
"Moneyland" ist natürlich kein Staat, der sich auf einer Landkarte findet. Es ist vielmehr ein virtueller Ort, der überall dort entsteht, wo Menschen ihren Reichtum durch rechtliche Tricks dem staatlichen Zugriff entziehen. Seine Existenz verdankt Moneyland der Kombination verschiedener Rechtssysteme. Der strikte Schutz der Privatsphäre in den Vereinigten Staaten, die laxen Bestimmungen für Briefkastenfirmen in Panama und das großzügige Liechtensteiner Stiftungsrecht - findigen Anwälten gelingt es immer wieder, Regeln so zu kombinieren, dass das Geld ihrer Klienten für Kontrolleure nicht nur unerreichbar, sondern auch unsichtbar wird.
Spätestens seit den Enthüllungen der "Panama Papers" im Jahr 2016 ist in der Öffentlichkeit ein Bewusstsein für dieses Problem entstanden. Bis zu zehn Prozent des weltweiten Vermögens liegen laut Schätzungen versteckt in Steueroasen. Bullough, der als Journalist für den "Guardian" aus Osteuropa berichtete und dort die Folgen systematischer Korruption und Kapitalflucht erlebte, hat sich dem Thema über Jahre gewidmet. In London organisiert er gelegentlich eine Kleptokraten-Tour durchs Stadtzentrum. Seine Leser führt er an fernere Orte - von den Stränden der Karibikinsel St. Kitts, deren Regierung Pässe verkauft, bis zu einem Jagdschloss bei Kiew, das einer britischen Briefkastenfirma unter der Kontrolle des früheren Präsidenten Viktor Janukowitsch gehörte.
Bullough beschreibt, wie ein Heer gutbezahlter Anwälte, Banker und Berater eine Infrastruktur pflegt, die es ermöglicht, Geld vor Geschäftsfreunden, Ehepartnern und der Justiz zu verbergen. Vermögende Klienten verstecken ihr Geld in entlegenen Ecken der Welt, geben es später aber oft für Immobilien in London oder Miami aus - an Orten mit soliden Eigentumsrechten eben. Auf seinen Recherchen begegnen ihm zahlreiche schillernde Charaktere. Da ist der Anwalt, der die Finanzgesetze einer Steueroase ausgearbeitet hat. Da ist der Banker, der über Jahre reichen Amerikanern bei Regatten und Konzerten auflauert: "Was ich ihnen bieten kann, ist null. Also eigentlich drei Nullen: Null Einkommensteuer, null Kapitalertragsteuer, null Erbschaftsteuer." Und da ist die oberste Finanzaufseherin der Steueroase Nevis, die immer wieder sagt: "Dazu kann ich nichts sagen." Und dann: "Dazu kann ich wirklich nichts sagen."
Ein Großteil der versteckten Gelder stammt aus Staaten, denen die Institutionen fehlen, um Korruption effektiv einzudämmen. Bullough beschreibt ein Oligopol ukrainischer Zwischenhändler, die Preise für medizinisches Gerät und Medikamente in absurde Höhe treiben und ihre Margen auf Konten im Ausland verschieben. Ein Gesundheitsminister scheiterte nach der Revolution mit dem Versuch der Reform: Händler verzögerten ihre Lieferungen so lange, bis er zurücktreten musste.
Bullough richtet sich an eine breite Leserschaft, spickt seinen Text mit zahlreichen Referenzen zur Popkultur und schlägt einen lässigen, markigen Ton an. In einigen Kapiteln gelingt das gut, der Text hat den Tonfall einer Reportage. In anderen Kapiteln zerfasert die Erzählung, und es finden sich Sätze wie dieser: "Die Offshore-Finanz traf auf die gebrechlichen Regierungen Subsahara-Afrikas und der ehemaligen Sowjetunion mit der Gewalt eines Atomtorpedos, der eine spanische Galeone in den Grund bohrt."
Gravierender als die stilistischen Schwächen sind die Mängel in Bulloughs Analyse. Diese gehen wohl nicht auf fehlende Expertise zurück, sondern verdanken sich der Neigung des Autors, die Erklärung komplizierter Sachverhalte zugunsten gefälliger Geschichten abzukürzen. So behauptet Bullough, dass listige Banker das Bretton-Woods-System zu Fall brachten, das in der Nachkriegszeit weltweit feste Wechselkurse und Kapitalkontrollen etabliert hatte. Doch dieses System hatte Schwächen, die eigene Fliehkräfte erzeugten: Da die Amerikaner versprachen, Dollar jederzeit in Gold zu tauschen, mussten sie bei wachsender Geldmenge immer größere Goldreserven vorhalten.
Bulloughs Gegenüberstellung der "märchenhaften zweieinhalb Jahrzehnte" unter dem Bretton-Woods-System und einer Gegenwart, in der Staatsdiener "in aller Welt" öffentliche Kassen plündern, "während ihre Heimatländer kollabieren", ist unredlich. Herrscher wie der Schah von Persien bestahlen ihre Untertanen damals nicht weniger dreist, viele Völker standen unter der Herrschaft ausbeuterischer Kolonialregierungen. Und zumindest in Europa ist die Korruption seit den 1950er Jahren dank größerer Transparenz eher zurückgegangen.
Bulloughs großspurige Thesen überblenden den wichtigen Kern seines Arguments. Geld ist über die vergangenen Jahrzehnte immer mobiler geworden. Das hat mit dem Abbau rechtlicher Schranken, etwa zur Kapitalausfuhr, zu tun, aber auch mit technologischen Innovationen. Auf die Bedeutung von Krypto-Währungen für die finanzielle Schattenwelt geht Bullough kaum ein. Doch selbst der konservative Steuerflüchtling ist heute nicht mehr auf ein Schließfach in der Schweiz angewiesen. Ein Anruf genügt, um Millionenbeträge in andere Rechtsgebiete zu transferieren, und sogar Strohfirmen lassen sich mitunter komfortabel aus der Ferne gründen. Hat man sein Geld erst einmal sicher deponiert, kann man es in aller Ruhe mit der Kreditkarte ausgeben. Die Mobilität des Geldes wird auf diese Weise zur Gefahr, weil sie das Verstecken und Ausgeben erleichtert und so die Korruption befördert. Zugleich, das zeigen die Panama Papers, lassen sich geheime Informationen heute einfacher weitergeben. Für jene, die etwas zu verbergen haben, bedeutet das eine größere Unsicherheit.
Wie könnten demokratische Staaten Moneyland nun unter Kontrolle bringen? Internationale Abkommen zum Abgleich von Steuerdaten, die in den letzten Jahren ausgehandelt wurden, sind nur ein erster wichtiger Schritt. Doch Bulloughs These, dass nationale Gesetze dem globalen Kapital wenig entgegenzusetzen haben, trifft so nicht zu. Einflussreiche Länder könnten durchaus etwas tun. Sie könnten zum Beispiel jenen Banken den Zugang verwehren, die mit Staaten Geschäfte machen, die Mindeststandards verletzen. Die Vereinigten Staaten haben in den letzten Jahren durch massiven politischen Druck sogar das Schweizer Bankgeheimnis gebrochen. Das aber hat vor allem zu einer Verschiebung von Geld geführt - und zwar in die Vereinigten Staaten. Denn dort schützen die Gesetze einzelner Bundesstaaten zumindest das Vermögen von Ausländern vor den neuen, strengeren Regeln. Die Bewohner und Verwalter von Moneyland sind anpassungsfähig - eben weil Moneyland kein territorialer Staat ist, dürfte es ein langer Kampf werden.
FRIEDEMANN BIEBER
Oliver Bullough: "Land des Geldes". Warum Diebe und Betrüger die Welt beherrschen.
Aus dem Englischen von Jürgen Neubauer. Antje Kunstmann Verlag, München 2020. 333 S., geb.
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