Besprechung vom 03.07.2018
Ab welcher Höhe werden Wolkenkratzer obszön?
Mit westlichen Maßstäben gemessen: Wolfgang Kemp schreibt einen polemischen Essay über die arabische Welt
Wolfgang Kemp möchte in seinem Essay die Typologie des "Scheichs" entwerfen, in durchaus polemischer Absicht. Vieles stimmt, was Kemp schreibt. Wenn er etwa die Korruption und die Kleptokratie in Saudi-Arabien aufspießt, die geringe Wettbewerbsfähigkeit der meisten arabischen Volkswirtschaften, die Willkür der Justiz, die doppelte Moral nicht weniger Prinzen und einfacher Saudis, die sich öffentlich anders geben als privat verhalten. Oder wenn er auf die Bedingungen kommt, unter denen die asiatischen Bauarbeiter malochen. Wobei Kemp verschweigt oder nicht weiß, dass die internationale Kritik inzwischen zur Verbesserung dieser Zustände geführt hat.
Selbst die überzeugenden Passagen des Buchs, zu denen auch das Kapitel über die Museen und den Kunstbetrieb am Golf zählt - schließlich ist der Autor von Haus aus ein renommierter Kunsthistoriker und ein gewiefter Beobachter des Kunstbetriebs -, leiden unter zu vielen Fehlern und Vorurteilen. Von den zahlreichen falsch geschriebenen Namen sehen wir dabei einmal ab. Aber wenn der frühere Chef der Religionspolizei von Mekka als Reaktionär dargestellt wird, entgeht dem Autor zugleich, dass dieser Mann einer der wichtigsten systemimmanenten Kritiker des wahhabitischen Islams geworden ist.
Auch war Abdullah, saudischer König von 2005 bis 2015, nie Verteidigungsminister des Landes, wie Kemp behauptet. Der Autor nimmt es überhaupt mit der Geschichte nicht so genau. Dem Attentäter auf König Faisal unterstellt er, den König 1975 getötet zu haben, weil er mit seiner Apanage von 3500 Dollar im Monat nicht zufrieden gewesen sei. Dabei tötete Faisal Bin Musaid den König aus Rache, weil er ihn für den Tod seines Bruders Khalid verantwortlich machte. Der war bei Protesten gegen die Einführung des Fernsehens, die Faisal angeordnet hatte, umgekommen. Das passt aber weniger in Kemps Story.
Kemp übt das Verfahren, westliche Konzepte auf die arabischen Verhältnisse anzuwenden. Unbestritten ist, dass die Arabische Halbinsel die westliche Form der Demokratie nicht kennt. Hätte sich Kemp aber wirklich mit der arabischen Stammesgesellschaft beschäftigt, wäre ihm nicht entgangen, dass es dort mehr basisdemokratische Prozesse als bei uns gibt. Stattdessen macht er sich über die Vereinigten Arabischen Emirate als eine "zum Staat aufgestiegene Duty-Free-Zone" lustig.
Ärgerlich ist es, wenn der Autor behauptet, die saudische Königsfamilie habe bis 1996 "nichts für die heiligen Stätten getan". Allein ein Vergleich mit alten Fotos widerlegt diese Behauptung rasch. Für die Reputation des Hauses Saud ist nichts wichtiger als der reibungslose Ablauf der Wallfahrt. Ärgerlich auch, dass Kemp die Höhe des Burj Khalifa in Dubai (868 Meter) "obszön" nennt, dem Islam unterstellt, dessen Expansionsverlangen beruhe "unter anderem auf der Förderung größtmöglicher Fruchtbarkeitsraten", und davon berichtet, der Architekt eines Projekts sei "ein Deutscher, allerdings ein zum Islam konvertierter". Also ein schlechter Deutscher?
Kemp bekommt vieles nicht mit, was in Saudi-Arabien geschieht. Etwa dass die reaktionären Religionsgelehrten Autorität einbüßen und ihre privilegierte Stellung verlieren. Denn die Menschen wollen ein normales Leben führen, und das Haus Saud, das die Monatsgehälter der Religionsgelehrten zahlt, nimmt diese immer entschiedener an die kurze Leine. Und in seinem Antiamerikanismus entgeht ihm, wie mit dem Ende der Pax Americana der Nahe Osten zerfällt und dadurch nicht besser wird.
Kemp beklagt, dass es in Dubai kein "nennenswertes Zentrum, keine attraktive Altstadt" gebe. Unverdrossen scheint er das alte Arabien zu suchen. Wer aber will sich heute noch in Bagdad, Damaskus oder Kairo niederlassen, den Städten mit "attraktiven Altstädten"? Dubai ist hingegen mit seinen modernen Zentren in der arabischen Welt der vergangenen zweihundert Jahre die einzige Erfolgsgeschichte. Herablassend nennt Kemp das eine bloße "Leihkultur". Ihm entgeht, dass in Dubai nicht der Islam radikal ist, sondern der Kapitalismus. Das passt ins Bild dieses verunglückten Essays über die arabische Welt.
RAINER HERMANN
Wolfgang Kemp: "Der Scheich".
Zu Klampen Verlag, Springe bei Hannover 2018. 208 S., geb.
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