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Besprechung vom 18.05.2020
Ökonomie des Shutdown
Die Wirtschaft in Zeiten von Corona
Wer einen Bestseller schreiben will, muss schnell sein. Daniel Stelter war schnell. Im Wettlauf um die ersten Bücher über die Corona-Krise liegt der Bestsellerautor weit vorne. Sein Buch "Coronomics" - ein Kunstwort aus "Corona" und "Economics" - liegt seit Freitag in den Buchläden. Es geht um die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise und um Fragen wie: Welche Hilfen für Unternehmen sind geeignet? Wer soll sie bezahlen? Was geschieht mit der Verschuldung? Sollen die Steuern erhöht werden? Welche Rolle spielen die Zentralbanken? Kehrt die Inflation zurück? Was wird aus der Eurozone?
Die Weltwirtschaft stand schon vor der Corona-Krise vor einer Abkühlung, analysiert der promovierte Ökonom in seinem leicht lesbaren Buch: Das Virus sei auf eine geschwächte Wirtschaft getroffen, die "schon längst auf dem Weg in eine Rezession war". Während in der Finanzkrise vor 10 Jahren viele Unternehmen selbstverschuldet ins Trudeln geraten seien, treffe Corona aber alle unschuldig. Es sei ein Schock, mit dem niemand gerechnet habe. Die westlichen Länder hätten - rückblickend betrachtet - zu leichtfertig auf das Virus reagiert. Nun treffe Corona vor allem jene Teile der Wirtschaft mit voller Wucht, die sonst erst nachgelagert von Konjunkturkrisen betroffen seien: Restaurants, Kinos, Reisebüros, kleine Geschäfte, Hotels. "Steuert man nicht gegen, ist eine Wirtschaftskrise die Folge, die die Weltwirtschaftskrise der 1930er-Jahre in den Schatten stellt."
Die Frage ist nur, wie? Um nach dem Shutdown die Wirtschaft anzukurbeln, sei die Stimulierung der Nachfrage nötig. Eine Rückkehr zur Austeritätspolitik könne nicht funktionieren. Konsumgutscheine hält er für eine gute Idee, sie sollten aber befristet sein, also nach drei Monaten verfallen. Die Senkung der Mehrwertsteuer sei keine gute Idee, der Preiseffekt sei fraglich und spiele nur bei Großanschaffungen eine Rolle.
Der Staat - da ist sich Stelter sicher - werde künftig wieder eine stärkere Rolle spielen. Viele Bürger hätten sich laut Umfragen schon vor Corona eine stärkere Rolle des Staates gewünscht. Das sei aber sehr gefährlich: "Was droht, ist ein Politikwechsel durch die Hintertür." Zwar müsse der Staat jetzt vor allem dem Mittelstand helfen, dem Rückgrat der deutschen Wirtschaft. Staatsbeteiligungen seien aber heikel: "Es droht ein Postenparadies für Politiker", fürchtet Stelter zu Recht. Eine Lehre aus der Finanzkrise und der damaligen Teilverstaatlichung der Commerzbank sei es, dass es "Jahrzehnte dauern kann, bis der Staat wieder aussteigt".
Solche Fehler sollten nicht wiederholt werden. Stelter plädiert für staatliche Direktzahlungen an Unternehmen, deren Umsätze eingebrochen sind. Kein Unternehmen solle sich Sorgen machen müssen, zu viele Schulden anzuhäufen oder den Staat als Miteigentümer zu bekommen. Der Publizist beschreibt auch, was für ihn in der Theorie die beste Lösung gewesen wäre: Die Wirtschaft hätte "in ein künstliches Koma versetzt werden" müssen. Das hätte bedeutet, dass "wir für eine bestimmte Zeit alles einstellen: keine Lohnzahlungen, keine Mieten, keine Zinsen. Wir tun einfach so, als würde ein Quartal ökonomisch nicht stattfinden." Es gäbe keine Umsätze, aber auch keine Verpflichtungen. Nach einigen Monaten hätte man dort angefangen, wo man zuvor aufgehört habe. Die Politik sei - leider - diesem Weg nicht gefolgt. Dass ein künstliches Koma illusorisch ist, gesteht er ein, aber wir hätten uns diesem Weg zumindest "so nah wie möglich" annähern sollen.
Das größte Bauchgrummeln beim Lesen machen die Kapitel über die Frage, wie die Staatshilfen finanziert werden sollen und wie die Schulden zu stemmen sind. Nicht nur, weil das zweifellos sehr schwierig wird, sondern auch wegen der teils gewagten Thesen des Autors. Hier wird es an manchen Stellen apokalyptisch. Es werde "die größte finanzielle Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg". Der Autor empfiehlt schon mal Gold, denn die Inflation werde zurückkehren. In vielen Ländern gebe es die "Tradition der Problemlösung über höhere Inflation". Dem könne sich Deutschland nicht erfolgreich widersetzen. Daher sollten auch wir nicht übereifrig unsere Schulden durch höhere Steuern abbauen. Frankreich und Italien könnten ihre Schulden über höhere Vermögensteuern und Erbschaftsteuern abbauen, täten dies aber bewusst nicht. "Statt hier Geisterfahrer zu sein, sollten wir uns auf das einstellen, was auf uns zukommt", schreibt Stelter. "Wir Deutschen mögen noch glauben, durch Steuern und Sparen die Schulden wieder in den Griff zu bekommen", schreibt der frühere Unternehmensberater: "Die anderen Staaten dachten das nie und hatten es auch nie vor." Er prophezeit, dass "ein Weg gefunden wird, die eigentlich verbotene Finanzierung der Staaten durch die EZB zu organisieren, allen Protesten - vor allem in Deutschland - zum Trotz". Es müsse "geschickt verpackt" werden. Ablaufen könnte das laut Stelter so: Die Euroländer setzen einen gemeinsamen Schuldentilgungsfonds auf. Jeder Staat übertrage einen Teil seiner Schulden auf den Fonds, der Fonds übernehme also die Verpflichtungen. Die vom Tilgungsfonds ausgegebenen Anleihen werden von der EZB gekauft. Die Forderungen der EZB gegen den Schuldentilgungsfonds könnten dann auf eine Laufzeit von über 100 Jahren gestreckt werden. Auch wenn dieses Szenario für viele Leser schockierend sei, Deutschland werde diesen Weg nicht verhindern können. "Wenn wir ihn nicht verhindern können, müssen wir unsere Interessen so vertreten, dass wir ebenfalls von diesem Instrument Gebrauch machen." Auf das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichts konnte Stelter noch nicht eingehen, die Richter urteilten erst nach Drucklegung des Buches.
TILLMANN NEUSCHELER
Daniel Stelter: Coronomics - Nach dem Corona-Schock: Neustart aus der Krise. Campus-Verlag, Frankfurt 2020, 217 Seiten
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