Auch im sechsten Jahr der großen Krise ist Italien noch nicht wieder auf die Beine gekommen. Die Kennzahlen sind alarmierend: 44 Prozent der Italiener unter 25 Jahren haben keine Arbeit; nach 2012 und 2013 schrumpft die italienische Wirtschaft 2014 erneut. Die ökonomische fällt mit einer fundamentalen Krise der staatlichen Institutionen zusammen. Das Vertrauen in Politik und Parteien ist auf einem historischen Tiefstand, die Protestbewegung des Kabarettisten Beppe Grillo wurde bei den Parlamentswahlen zur zweitstärksten Partei; Matteo Renzi, von den Medien als Hoffnungsträger gefeiert, kungelt mit seinem skandalumwitterten Vorgänger Berlusconi und feiert den ehemaligen englischen Premierminister Tony Blair als Vorbild, obwohl dieser in seiner Heimat längst zur persona non grata geworden ist.
In seinem vielbeachteten Essay präsentiert der Historiker Perry Anderson eine Chronologie des italienischen Desasters. Italien betrachtet er dabei nicht als »Anomalie innerhalb Europas, sondern als eine Art Konzentrat« der Probleme eines Kontinents, der zunehmend von Entdemokratisierung, Korruption und Wachstumsschwäche gekennzeichnet ist.