Besprechung vom 01.07.2022
Basteln am Genom
Walter Isaacson über die Anbahnung unserer gentechnischen Zukunft
Der amerikanische Journalist Walter Isaacson, bekannt geworden vor allem mit seiner Biographie des Apple-Mitgründers Steve Jobs, widmet sich in seinem jüngsten Buch der Erforschung des Genoms. Er schildert darin, auch am Leitfaden der Lebenswege maßgeblicher Forscher, den Weg zu den mittlerweile erreichten Einsichten und biotechnologischen Werkzeugen. Sein Fazit fällt dabei entschieden aus: "Nach Millionen Jahrhunderten, in denen die Evolution von Organismen auf 'natürliche' Weise voranschritt, besitzen wir Menschen jetzt die Fähigkeit, den Code des Lebens zu 'knacken' und unsere genetische Zukunft selbst zu bestimmen."
Isaacson behandelt nicht nur aktuelle Diskussionen, die sich um die Möglichkeiten drehen, welche mit gentechnischen Methoden eröffnet werden. Er geht auch zurück in die Geschichte. Man trifft auf Charles Darwin und Gregor Mendel, liest darüber, wie James Watson und Francis Crick die Struktur der DNA herausfanden und welche Rolle dabei Rosalind Franklin spielte oder wie später das Human Genome Project seinen Lauf nahm.
Auch persönliche Motivationen der Forscher kommen in den Blick. So erzählt Isaacson etwa von James Watsons Sohn Rufus, bei dem die Ärzte Schizophrenie diagnostizierten. Für seinen Vater war das ein entscheidender Grund, die Leitung des Human Genome Project zu übernehmen. Denn er meinte, erkannt zu haben, dass die Probleme seines Sohnes genetisch verursacht waren. "Die einzige Möglichkeit, unseren Sohn zu verstehen und ihm zu helfen, ein normales Leben zu führen, bestand darin, das Genom zu entschlüsseln." Bislang unheilbare Krankheiten zu überwinden oder noch früher zu erkennen - das ist nach wie vor eine der großen mit Gentechnik verbundenen Hoffnungen.
Der Schwerpunkt des Buches liegt auf der Entwicklung der sogenannten Genschere CRISPR-Cas9 - CRISPR steht für Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats -, also einer Methode, das Erbgut auf gezielte Weise zu manipulieren. Isaacson führt hierfür nicht nur in die notwendigen biologischen Grundkenntnisse ein, sondern auch in das kooperativ-konkurrierende Zusammenspiel der Wissenschaftlergemeinde um Forscher wie Feng Zhang, George Church und vor allem Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna, die für die Entwicklung von CRISPR-Cas9 im Jahr 2020 den Nobelpreis im Fach Chemie erhielten. Die recht detaillierte Darstellung des Lebens- und Karrierewegs von Doudna bildet so etwas wie eine biographische Klammer des Buchs.
Isaacson bleibt nicht stehen bei den führenden Forschern, den fachlichen Weiterungen, den gegründeten Unternehmen und dem Streit, den es zwischen einigen von ihnen gibt über die Rechte an Ideen. Er erschließt auch die ethische Debatte, die sich nicht zuletzt an der Arbeit des chinesischen Forschers He Jiankui entzündete, der dafür gesorgt hatte, dass die ersten "CRISPR-Babys" zur Welt kamen - und vor wenigen Wochen eine dreijährige Haftstrafe dafür hinter sich gebracht hat. Und er macht bekannt mit einer ständig größer werdenden Biohacker-Szene, einer Art Graswurzel-Forscherbewegung, die sich auch für genetische Veränderungen des Menschen begeistert. Einen dieser Szene, Josiah Zayner, lässt er dabei ausführlich zu Wort kommen. Zayner möchte Biotechnologie für jedermann leicht verfügbar machen. Ausdrücklich hat er dabei vor Augen, wie die Informationstechnologie ihren Siegeszug angetreten hat. Woraus er ohne Bedenken schließt: "Sobald sich Menschen zu Hause mit Biotechnologie beschäftigen wie mit Rechnern, wird das Erstaunliches abwerfen."
Ob die Zuversicht in die dargestellte Schlüsseltechnologie, die Isaacsons panoramatische Darstellung prägt, gerechtfertigt ist, bleibt abzuwarten. Klargemacht hat er jedenfalls, dass es hilfreich ist, mehr als nur oberflächlich zu verstehen, was auf diesem Feld geschieht. ALEXANDER ARMBRUSTER
Walter Isaacson: "Der Codebreaker". Wie die Erfindung der Genschere die Zukunft der Menschheit für immer verändert.
Aus dem Englischen von Michael Müller. Ecowin Verlag, Elsbethen 2022. 696 S., geb.
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