Als Online-Redakteur bei einer großen Tageszeitung muss Walter Noack die Pöbeleien und Hasstiraden in den Kommentaren löschen. Tausende Male am Tag ist er mit den widerwärtigsten Beschimpfungen konfrontiert. Sein Nervenkostüm wird noch dünner, als er und später eine Kollegin von Unbekannten anscheinend grundlos zusammengeschlagen werden und er auch noch einen privaten Verlust erleiden muss. Die Polizei zeigt sich bei all dem machtlos. Das tägliche Gift, der Dauerhass sickert schließlich auch in Noacks Seele. Er schliddert allmählich in die trübe Szene von waffenhortenden Preppers, Reichs-und Wehrbürgern, abgestoßen und fasziniert zugleich. Als es in Berlin während der brutalen Sommerhitze zu Großbränden, Unruhen und offener Anarchie kommt, merkt er, dass er sich mit den falschen Leuten eingelassen hat. Jetzt geht es nur noch um Leben oder Tod.
Besprechung vom 03.05.2021
Entführt im Plattenbau
Krimis in Kürze: Groschupf, Atkinson und Jaumann
Vor ziemlich genau zwei Jahren hat Johannes Groschupf ein Buch veröffentlich, das zugleich Kriminal- und Großstadtroman auf der Höhe der Zeit war: "Berlin Prepper". Klar, dass man jetzt mit großen Erwartungen den diese Woche erscheinenden Thriller "Berlin Heat" (Suhrkamp, 256 S., br., 14,95 [Euro]) liest. Derjenige, den man den Helden nennen könnte, ist kein Prepper, sondern Zocker. Tom Lohoff ist Stammkunde in einem Wettbüro an der Potsdamer Straße, er ist beim Paten der Albaner-Mafia hoch verschuldet, und die Wohnungen samt Drogen, Mädchen und anderen Vergnügungen, die er als eine Art gehobener Hausmeister für Berlin-Touristen organisiert, sorgen gerade so für den Cashflow, mit dem das Zocken weitergehen kann. Tom ist definitiv nicht in Topform.
Auch als Ich-Erzähler ist er nur eine mäßig interessante Figur. Das hat Groschupf wohl gemerkt. Da musste also aufgerüstet werden. Nicht nur beim Wetter: Es ist ein heißer Sommer, der erste nach der Pandemie, was die große Gier nach all den Dingen auflodern lässt, die man entbehren musste. Auch beim Personal wird nicht gespart. Toms Vater ist ein ehemaliger DDR-Polizist, der sich etwas zu sehr mit der Stasi eingelassen hatte und jetzt bitter und sehr geschäftstüchtig ist; Romina, die Polizistin mit rumänischen Sinti- oder Roma-Wurzeln, redet übermäßig viel daher und findet großen Gefallen an Tom. Und mitspielen darf auch eine jederzeit wiedererkennbare Rechtspartei, deren Vorsitzender entführt und in einer von Lohoffs Plattenbauwohnungen gefangen gehalten wird.
Groschupf hat einen zügigen, lässigen Stil, der manchmal etwas zu selbstverliebt wirkt, was jedoch ganz gut zu Tom Lohoff passt. Damit ließe sich leben, wenn nicht der ganze Roman in Plot, Figuren und verrückten Einfällen ein bisschen überinstrumentiert wirkte. "Berlin Prepper" war da deutlich fokussierter.
Hart und krass wie bei Groschupf geht es auch in "Weiter Himmel" von Kate Atkinson (Dumont, 480 S., geb., 24,- [Euro]) zu. Aber wir sind in England, an der Ostküste, das Wetter ist schlechter, und natürlich ist es nicht so fiebrig und hip wie in Berlin. Man muss auch Atkinsons Privatdetektiv Jackson Brodie nicht kennen, um in den Roman zu finden. Brodie ist keine dominante Figur, bei der alle Fäden zusammenlaufen. Atkinson erzählt lieber aus verschiedenen Blickwinkeln und setzt die Perspektiven geduldig zum Panoramabild zusammen.
Es geht hier um Mädchenhandel mit jungen Frauen aus Osteuropa oder von den Philippinen. Die Männer, die das Geschäft betreiben, sind Familienväter, spielen Golf, sind Anwalt oder Transportunternehmer und haben eher das Problem, deutlich mehr zu verdienen, als ihr Brotberuf abwirft. Brodie, angeheuert von der Ehefrau eines dieser Männer, macht keine sonderlich überzeugende Figur.
Seine Klientin, Crystal, klassisches trophy wife mit trister Vergangenheit, die sie energisch hinter sich zu lassen beschlossen hat, ist die wahre Heldin dieses Romans, der nicht nur klug komponiert und gut geschrieben ist. Es imponieren vor allem die Empathie und Detailgenauigkeit, die Kate Atkinson jeder Akteurin und jedem Akteur ihres nicht gerade kleinen Ensembles gewidmet hat.
Mit seinem Kunstdetektiv Rupert von Schleewitz hat Bernhard Jaumann eine Nische erschlossen, die dem Verlag wohl ausbaufähig erschien. "Der Turm der blauen Pferde" (F.A.Z. vom 4. März 2019) brachte Freunde der Kunst mit nicht allzu blutdurstigen Freunden des Krimis zusammen. Der diese Woche erscheinende zweite Anlauf heißt "Caravaggios Schatten" (Galiani Berlin, 304 S., br., 15,- [Euro]) und nimmt ein Bild ins Visier, das in der Bildergalerie im Park von Schloss Sanssouci hängt: "Der ungläubige Thomas". Ein Kunstattentäter zückt das Messer, dann wird das Gemälde auf dem Weg zur Restaurierung auch noch gestohlen, und ein Schulfreund Schleewitz' ist der Attentäter.
Das bringt die Münchner Detektei mit ihren beiden verdienten Mitarbeitern ins Spiel, macht Schleewitz verdächtig und führt zurück in seine Internatszeit. Zugleich soll er bei der Rückgabe des Gemäldes, beim Artnapping, einer Variante des Kidnappings, vermitteln. Richtig Fahrt nimmt die Geschichte nie auf. Die Erzählweise ist viel zu behäbig, die Querverbindungen zwischen Bild und Handlung sind recht hölzern konstruiert, und die Motive des Diebstahls inklusive der Aufklärung haben etwas leicht Amateurhaftes. Es muss halt nicht alles gleich in Serie gehen.
PETER KÖRTE
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