Es gibt immer jemanden, der deinen Platz einnehmen will.
Seventeen, der berüchtigtste Auftragskiller der Welt, hat sich zur Ruhe gesetzt, ist abgetaucht. Viele wollen ihm nachfolgen. Aber sein Erbe anzutreten bedeutet, ihn aufzuspüren und zu töten, um Eighteen zu werden.
Als eine Kugel Seventeen nur um wenige Zentimeter verfehlt, glaubt er zu wissen, wer es war. Doch er irrt sich. Der Scharfschütze ist nicht der eiskalte Killer, den er erwartet hat. Sondern Mireille - ein geheimnisvolles, schweigsames Mädchen, das im Wald ausgesetzt wurde. Mit einem Scharfschützengewehr und dem Auftrag, den Abzug zu drücken.
Weil Seventeen ein Killer mit Herz ist, will er Mireille beschützen. Gemeinsam mit seiner Geliebten Kat will er herausfinden, wer Mireille zwingen wollte, ihn zu töten.
«Wir sind im Kopf eines Killers gefangen - und genießen jeden Augenblick.» Der Spiegel über «Seventeen»
Besprechung vom 03.06.2024
Es bleibt in der Familie
Der Actionthriller ist wieder da, doch auch er muss sich dem Druck der Digitalisierung stellen: John Brownlows Auftragskiller entwickelt trotzdem Gefühle.
Man hat schon schlechtere erste Sätze gelesen als diesen hier: "Ich warte darauf, dass jemand mich tötet." Für den besten Killer der Welt, der amtsmüde geworden und eigentlich im Ruhestand ist, ein guter Anfang. Denn dem Mann, der keinen Job mehr hat, ist langweilig. "Ich habe es mit Trinken versucht. Ich habe es mit Nichttrinken versucht. Ich habe mit dem Rauchen angefangen, nur um damit aufhören zu können. Ich habe Rosen gezüchtet. Ich habe Zucchini angebaut. Ich hasse Zucchini. Ich bin nichts. Ich bin weniger als nichts."
Der Mann, der auf den Namen Seventeen hört, entnimmt den Zeitungen, die er sich ein-, zweimal die Woche kauft, dass sich seine Welt verändert hat. In der Spionage regieren jetzt Kryptographie, KI, Ransomware, Exploits, Malware-Attacken, Massenüberwachung, Keyword-Recherche, autonome Waffen. Ein weiteres Berufsfeld, das unter dem Druck der Digitalisierung rasant die Zukunft gewinnen muss, will es der Konkurrenz ebenbürtig bleiben. Das kaum hörbare Plopp eines Auftragsmords mit schallgedämpfter Pistole war gestern.
Seventeen ist der bislang letzte Killer eines seit der Zarenzeit unter den Romanows eingeführten Systems, das rund um die Welt aus dem Weg räumt, wer nicht in geostrategische oder ökonomische Pläne passt. Und es kann immer nur einen geben. Das System verlangt, dass, wer Eighteen werden will, Seventeen töten muss. Einen möglichen Aspiranten hat Seventeen schon in Addis Abeba kennengelernt: Ali Olusi. Der lautlose Auftragskiller entpuppte sich als Frau namens Gracious, die ihr Handwerk als Kindersoldatin bei der Terrormiliz Boko Haram erlernt hat. Die Begegnung endete in einem amourösen Patt. Dessen Spätfolgen zeigen sich gleich zu Beginn von "Eighteen". Denn dort steht Seventeen in der Dunkelheit bei Festbeleuchtung am Wohnzimmerfenster seines einsam gelegen Hauses im Nirgendwo South Dakotas und wartet auf das Projektil. Das kommt auch, doch es ist zu schwach, um die Panzerglasscheibe zu durchschlagen. So ein Fehler würde einem würdigen Nachfolger nie unterlaufen, das weiß Seventeen sofort. Als er der Sache auf den Grund geht, stößt er im Wald auf ein Mädchen in Tarnkleidung mit Scharfschützengewehr, das den Anschlag auf ihn verübt hat. Eine Neunjährige, die gerade von einem Wolfsrudel attackiert wird. Das wirft Fragen auf.
John Brownlow, Brite des Jahrgang 1964, lebt in Kanada und ist vor gut zwanzig Jahren als Verfasser des Drehbuchs für Christine Jeffs' Film "Sylvia" hervorgetreten, der die Beziehung des Dichterpaares Sylvia Plath und Ted Hughes verhandelt. Später schrieb Brownlow Bücher für die Serien "Fleming. Der Mann, der Bond wurde" und "The Miniaturist". Im vergangenen Jahr erschien sein Romandebüt "Seventeen" in deutscher Übersetzung bei Rowohlt. Dem Nachfolger "Eighteen" gelingt etwas Erstaunliches: Er setzt die Geschichte entgegen allen Unwahrscheinlichkeiten derselben überzeugend fort, und er tut es mit der gleichen Machart und Hochgeschwindigkeit - mit hundertneunzig Kapiteln von einer durchschnittlichen Länge von etwas mehr als zwei Seiten.
Viele kurze Sätze, viele Cliffhänger, aber eben nicht nur. Denn Brownlow spielt mit dem Genre, lässt sich auch anmerken, dass er mit Lust bei der Sache ist. Den Actionthriller beherrschten einst Tom Clancy und Robert Ludlum, später kam als Seelenverwandter der schweigsame Wanderpriester im Kampf gegen das Böse, Jack Reacher, hinzu, den sein Erfinder Lee Child zum ersten Mal 1997 auf die Piste schickte. Die Reacher-Reihe um den ehemaligen Offizier der Militärpolizei, der ziellos durch die USA streift, ist auf bislang achtundzwanzig Romane angewachsen, aber seit Lee Child vor vier Jahren die Autorschaft auf seinen Bruder Andrew übertragen hat, hat das Interesse ein wenig nachgelassen.
Seventeen ist aus anderem Holz geschnitzt. Warum, das erzählt Brownlow in Rückblenden. Als Sohn einer drogensüchtigen Prostituierten musste er früh lernen, auf Gewalt mit Gegengewalt zu reagieren. Sein aktueller Bekanntenkreis besteht aus Barb, die ein Motel im nahen Kaff betreibt. Kat, die Frau mit den grünen Augen und dem Killer-Gen, für die Seventeen Gefühle entwickelt hatte, ist weg. Doch nun, mit dem Mädchen Mireille im Schlepptau, das er bei Barb unterstellt, implodiert sein Frührentnerdasein. Er findet ihre zu Tode gefolterte Mutter, und es ist niemand anderes als Gracious. Mireille ist Seventeens Tochter.
Die Polizei, die zur gleichen Zeit am Fundort erscheint, hält ihn für den Mörder, das nun folgende Gefecht ist nur der Auftakt einer Jagd um den Globus nach einer Antwort auf die Frage: Wer hat Gracious umgebracht, in wessen Auftrag und warum? Der Weg führt nach New York zu einer Geheimdienstkönigin aus Zeiten des Kalten Krieges, die Opfer eines Anschlags wird, gerade als Seventeen versucht, sich ihrer Unterstützung zu versichern. Die Spur führt weiter zur Milliardärin Hopkiss, deren Lächeln "derart unecht" ist, "dass man es als Schmelzkäse hätte vermarkten können", die über eine Privatarmee verfügt, rassistisches Gedankengut kultiviert und Mireille hat entführen lassen. Sie gibt Seventeen drei Tage, um das Rätsel einer existenziellen Bedrohung der Menschheit, einer "kanzeröse Malware" namens Deep Threat, zu lösen.
Brownlow schafft es, den Leser zum Komplizen eines Antihelden zu machen und ihm noch die unwahrscheinlichsten Stunts nachzusehen. Das hat auch damit zu tun, dass in diesem tempoharten Spannungsroman viel mehr Fakten stecken, als es den Anschein erweckt. Im Nachwort legt Brownlow einige seiner Quellen offen, darunter sind ein Aufsatz des Turing-Preisträgers Kenneth Thompson und ein Buch der "New York Times"-Reporterin Nicole Perlroth ("This Is How They Tell Me The World Ends"). Am Ende macht John Brownlow also das, was gute Unterhaltungsliteratur eben auch kann: Er nutzt einen Actionplot, um auf ein Szenario hinzuweisen, um das man gern einen Bogen macht. HANNES HINTERMEIER
John Brownlow:
"Eighteen". Sterben ist keine Option. Thriller.
Aus dem Englischen von Stefan Lux. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Hamburg 2024. 427 S., br.
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