Booker-Preisträgerin Anna Burns · Ein rasanter Roman · Das komplizierte Liebesleben von Superhelden
Ist man nur stark und schön genug, dann klappt es auch mit der Liebe - oder nicht? Anna Burns widmet sich mit spielerischer Leichtigkeit den großen Fragen des Lebens. Da sind Superheld und Femme Fatale - auf den ersten Blick ein perfektes Paar. Wären da nur nicht die fiesen Intrigen der Schurken. Sie setzen alles daran, das Glück der beiden zu zerstören. Wird es ihnen gelingen? Oder gewinnt am Ende doch die Liebe im Superheldenuniversum?
Größtenteils komisch, ganz und gar heldenhaft
Die Frau eines Superhelden ist nicht zu beneiden. Femme wurde von den Downtown-Bösewichten mit einem bösen Zauber belegt: Sie soll Superheld umbringen, damit die Schurken freie Bahn haben. Zum Glück hat sie eine schrecklich nette Großtante an ihrer Seite. Was Femme allerdings nicht weiß: Deren zuckrige Liebenswürdigkeit ist nur Tarnung. Eigentlich ist sie selbst einer der größten Schurken überhaupt. Und sie ist nicht gewillt, Femme zu beschützen - oder etwa doch?
Unvergleichliche Helden, kapriziöse Schurken und die immerwährende Frage, ob am Ende die Liebe gewinnen kann.
Besprechung vom 12.10.2024
Für den ganz schmalen Heldbeutel
Die groteske Roman-Miniatur "Größtenteils heldenhaft" von Anna Burns ist auf eine ganz andere Art super als ihre Inspirationsquellen.
Von Dietmar Dath
Von Dietmar Dath
Was sind denn das für Figuren? Eine heißt "Held", eine andere "Femme", aber der Kosmos, in dem diese beiden ihr Wesen treiben, ist nicht etwa eine per Rosa-Brille-Blick versimpelte Vergangenheit, in der sich Gut und Böse noch eindeutig zuordnen ließen und jede Verführerin irgendwie so was Französisches hatte, sondern zu drei Vierteln unsere Gegenwart. Nur das letzte Viertel ist phantasiert, dadurch aber wiederum mindestens zur Hälfte eine Art Zukunft.
Wenn man der durchschnittlich unausgeschlafenen Amazon-Kundschaft den kleinen Roman "Größtenteils heldenhaft" von Anna Burns vorlegt, wird dieses vom Alltag und vom Streaming überreizte Völkchen wohl bald glauben, es ginge im Text um einen Weltretter, dessen Liebste ihn unter Hypnosebefehl ermorden soll und der nebenher eine Großtante hat, die heimlich auf die Eroberung der Erde aus ist. Das stimmt auch ein bisschen und zeigt sich plausibel garniert mit passendem Beiwerk: wirren Familienverhältnissen, Heiratsabsichten, Gruselzutaten. Nichts davon ist aber die Hauptsache. Die zeigt sich, wie immer bei Anna Burns, an und in der verwendeten Sprache.
Was sind denn das für Sätze? "Mit diesen Worten ging sie ins Kaufhaus, um sich schon wieder ein Kleid auszusuchen, diesmal, um es beim Mittagessen mit Held zu tragen - und ein neues Kleid erfordert einen neuen Hut, und ein neues Kleid erforderte außerdem neues Mobiliar und eine weiche, dekorative Innenausstattung und eine generelle wohltuende Neusortierung ihrer Wohnung, die wiederum eine neue Handtasche erforderte, und weil ein neues Kleid neue Handschuhe erfordert, kaufte sie auch Handschuhe, dann stattete sie dem Kurzwarenladen einen Besuch ab und dann dem Baumarkt. Danach stand eine Beratung beim Chloroform-Experten an, dann bei einer Therapeutin, um unbewusste Motive durchzusprechen, und - weil das Kleid auch das auslöste - ein Besuch in der Kunstgalerie, um Kunst zu erwerben."
Ein wildes Ineinander von Konstruktionskonfusion und Schlichtheit also - was soll das? Es schickt das Vorstellungsvermögen beim Lesen zurück in die Grundschule von Ursache und Wirkung: die dargestellte Bilder- und Bewegungswelt ist listenförmig, bei manchen Wendungen schwarz-weiß, bei anderen in grellste Primärfarben getaucht. Man könnte Anna Burns folglich unterstellen, sie hätte die imaginativen Ressourcen der von überlebensgroßen Heldinnen und Schurken, Schurkinnen und Helden bevölkerten Comic-, Trickfilm- und Blockbusterkino-Universen, mit denen sie hier spielt, zu rein vergröbernden, möglicherweise satirischen Zwecken der Verfremdung geplündert, um also etwa aufzuzeigen, dass die Realität, in der wir uns bewegen, viel mit einem Genrefilm gemeinsam hat und erschreckend wenig mit den inneren Abstufungen individuell subjektiver Gefühlswerte; dass wir uns also von den Pop-Rieseninszenierungen, die uns umzingeln, das Innenleben rauben lassen und dabei auf Linie gebracht werden, zum Beispiel auf die Linie traditioneller Geschlechterverhältnisse zwischen Helden und ihren Gespielinnen. Solche Satiren gibt's viele, gerade auf feministischer Seite, zwischen Marlene Streeruwitz ("Norma Desmond - A Gothic SF-Novel", 2002) und Laurie Penny ("Babys machen und andere Storys", deutsch 2016).
Aber Anna Burns schmiegt sich der Idiomatik des von ihr gebrauchten Pop-Materials stärker an, als es der Dienst an einer satirischen Sache verlangt. Anna-Nina Kroll hat dieses Sich-Anschmiegen mit respektgebietender Disziplin ins Deutsche übertragen, wahrscheinlich an der Grenze zur Selbstverleugnung (die Versuchung, hier und da ein erläuterndes Adjektiv oder Adverb hinzuzusetzen, um die berüchtigte Schlankheit des Englischen in der deutschen Fassung nicht als die schiere Armut erscheinen zu lassen, muss eine wahre Qual gewesen sein). Burns ist offenbar aufgefallen, dass das Superheldengenre nicht unbedingt eine Vereinfachungsmaschine sein muss, sondern geradezu das Gegenteil eines solchen Rasters, das die Erfahrung vereinfacht - mit all den Multiversen, Crossover-, Relaunch- und Retroactive-Continuity-Exzessen der Kinofilmreihen und Heftchen-Verweisarchitekturen gleicht das Genre einer Kombination aus Labyrinth, Weltstadt und lauter Mausefallen: Man kann und soll sich darin verlaufen und verlieren. Analog dazu lässt sich über vieles in "Größtenteils heldenhaft" - zum Beispiel die Wahnsinnswendung: "Held bekam aufgrund einer gewissen Anomie, einer Ankerlosigkeit, einer irgendwie neuen Empfindung namens Depression nicht alles genau mit" - wahrscheinlich ein ganzes Menschenleben lang spekulieren und meditieren. Die meisten Texte der Frau, die diese Wendung gefunden hat, sind scheineinfach und tiefenkompliziert.
Der Phantasie, die man investieren muss, um ihnen folgen zu können, wird davon sozusagen zur Selbsterfahrung genötigt: Man merkt immer wieder, dass man an dieser Sprache selbst mitarbeiten muss. Das konstituiert einen Angriff auf alles Selbstverständliche und alles in seiner Selbstverständlichkeit Schäbige, also die Design-Welt, in der das Publikum solcher Literatur heute hausen muss.
Im erleuchteten Essay "Why is everything so ugly?", den Lisa Borst und Mark Krotov 2023 in der Zeitschrift "n+1" veröffentlicht haben (leicht zugänglich im jüngst erschienenen Sammelband "The Intellectual Situation - The Best of n+1's Second Decade"), zitieren die beiden Verfasser eine Studie des Digital Lab der Londoner Science Museum Group, der zufolge zwischen dem Jahr 1800 und der Gegenwart Alltagsgüter immer mehr Farbe verloren haben, "als ob die Konsumenten es bevorzugt hätten, dass die Gebrauchsgegenstände wie die Rohmaterialien der Industrien aussehen, die sie produzieren".
Die Rohmaterialien, aus denen Anna Burns "Größtenteils heldenhaft" gebacken hat, sind romantische, ethische und anderweitig gesellschaftliche. Aber das, was sie daraus macht, ist kein Gebrauchsgegenstand, sondern eine Frage: Wollen wir in diesen Klischees leben, oder in anderen, oder ganz ohne?
Die Antwort wird eine heroische sein müssen, aber keine individuelle, und weil der Text das weiß, unterdrückt er schlau, im Hintergrund ahnbar, sein göttliches Gelächter über die eigene, ganz persönlich verzweifelte Frechheit.
Anna Burns: "Größtenteils heldenhaft". Roman.
Aus dem Englischen von
Nina Kroll. Tropen Verlag,
Stuttgart 2024.
128 S., geb.
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