Besprechung vom 11.04.2021
Düsterer war es in Rocky Beach noch nie
Christopher Tauber zeichnet die Comics zur Detektivserie "Die drei ???". Nun hat er einen Band veröffentlicht, in dem die ewig jugendlichen Ermittler als von der Midlife-Crisis geplagte Männer auftreten.
Von Alexander Jürgs
Erster Detektiv, Justus Jonas: führt "Nightmare Town", ein Antiquariat vollgestopft mit alten Krimis, in dem er sich die Nächte um die Ohren schlägt. Zweiter Detektiv, Peter Shaw: arbeitet für eine Versicherung. Seine Aufgabe ist es, zu überprüfen, ob die, die einen Schaden melden, nicht eigentlich Betrüger sind. Den Job und den Wohnort hat er schon mehrmals gewechselt, die Beziehung zur Jugendliebe ist längst in die Brüche gegangen. Recherche und Archiv, Bob Andrews: erfolgreicher Krimiserienschreiber in Los Angeles, geplagt von einer Midlife-Crisis und nachlassender Potenz. Seine Serie "Crime Watch", für deren siebte Staffel die Verträge frisch unterzeichnet sind, hängt ihm eigentlich fürchterlich zum Hals raus. Und der Schrottplatz von Onkel Titus? Ist seit Ewigkeiten verkauft. Nicht alter Tinnef wird dort nun gehandelt, sondern Drogen. Selbst die Polizei traut sich nicht mehr auf das verwahrloste Grundstück. Bis auf jene korrupten Polizisten, die am Geschäft mit der Sucht und dem Elend ordentlich mitverdienen. Und die auch in das spurlose Verschwinden eines schwarzen Aktivisten, der sich gegen Polizeigewalt engagiert, verwickelt sind. "Miese Bullen" haben in der Stadt das Sagen, so flüstern die Leute es sich zu.
Mit den kindlichen Abenteuergeschichten der "drei ???", mit der Leichtigkeit des fiktiven Surfer-Paradieses Rocky Beach, in dem sich so viel Rätselhaftes und Mysteriöses, am Ende meist aber doch Harmloses ereignet, hat diese Welt nicht mehr viel gemein. Statt auf drei jugendliche Hobbydetektive stößt man auf desillusionierte Mittvierziger, denen das Leben schon vor einiger Zeit entglitten ist. Die sich vor Jahren schon voneinander entfremdet haben und nun, durch Zufall, plötzlich doch wieder gemeinsam in einem Fall ermitteln.
Düster ist die Geschichte, melancholisch, wie das Drehbuch zu einem "Film noir". Geschrieben hat sie der Frankfurter Zeichner und Autor Christopher Tauber, "Rocky Beach" heißt sein Comic. Dass noch niemand vor ihm auf die Idee gekommen ist, sich auszumalen, wie es den Juniordetektiven, die sich "Die drei ???" nennen, als mittelalten Männern ergeht, ist eigentlich erstaunlich.
Wahrscheinlich hat es damit zu tun, dass man sich die drei Jungs, deren erstes Abenteuer 1964 in den Vereinigten Staaten in Buchform erschienen ist, einfach nicht als Erwachsene vorstellen will. Dass man sich wünscht, dass der rätselhafte und zur Schlaumeierei neigende Justus, der sportliche Peter und der noch jede Nuss durch emsige Recherche knackende Bob ihr Leben lang jung bleiben. Doch hat man erst einmal ein paar Seiten in Taubers Comic, den er "eine Interpretation" genannt hat, gelesen, dann ist man ganz gefesselt von diesen gealterten Hobbydetektiven und will hinter die Geheimnisse kommen, die sie zu vom Leben frustrierten Männern gemacht haben. Vor allem dann, wenn man mit den kalifornischen Jungdetektiven gealtert ist, wenn man die Abenteuer, ob als Bücher oder Hörspiele, zu Schulzeiten selbst verschlungen hat.
Bei Christopher Tauber, Jahrgang 1979, war das nicht so. Das erzählt er an einem sonnigen Nachmittag auf einer Bank im Frankfurter Ostpark. "Viel zu zartbesaitet" sei er für "Die drei ???"-Geschichten gewesen. "Asterix", "Garfield" oder der "Pumuckl" waren ihm näher und vertrauter, vor allem aber waren sie "weniger gruselig". Erst als Zivildienstleistender entdeckte Tauber die Jungdetektive aus Rocky Beach für sich. In dem Wohnheim für Menschen mit Behinderung, in dem er damals arbeitete, gab es im Aufenthaltsraum eine Kiste voller alter "Die drei ???"-Kassetten. Hatte Tauber Pause, hörte er die Geschichten, eine nach der anderen, und war gefesselt. Er mochte, so sagt er es heute, die Charaktere, weil sie "gute Jungs" waren, weil die Geschichten, anders als bei "TKKG" oder den "Fünf Freunden" etwa, ohne jeden Standesdünkel geschrieben waren. Und er war begeistert von der Musik der Hörspiele, eine Mischung aus Krautrock und Funk, vom nüchternen Stil der Geschichten, von ihrer Nähe zur "Pulp"-Literatur.
Das Illustrieren hat Tauber nicht studiert. Wie man einen Comic zeichnet, hat er sich selbst beigebracht oder von anderen abgeguckt. Am Anfang waren es Amerikaner, die ihn inspiriert haben, Underground-Künstler wie Robert Crumb oder Daniel Clowes. Später entdeckt er, dass auch in Deutschland eine lebendige Comicszene existiert. "Hunderttausendmal" liest er Volker Reiches "Willi Wiedehopf räumt auf", Tauber lernt den Berliner Comickünstler Mawil kennen, der herrlich anarchische Geschichten zeichnet und ein Vorbild wird. Und er bringt eigene Hefte heraus, die Fanzine-Szene wird ihm zur Heimat. In Stuttgart absolviert er ein Praktikum in einem Comicverlag. Ein paar Jahre lang beantwortet er Leserbriefe für ein Anime-Magazin, später kommt das "Simpsons"-Comicheft als Auftraggeber dazu. Ein Studium hat er auch einmal angefangen, Germanistik und Skandinavistik an der Frankfurt Goethe-Universität. "Das war es nicht", sagt er. "Da sitzt man da, lernt Altisländisch, eine Sprache, in der es überhaupt nur ein einziges Buch gibt, doch das Leben spielt draußen."
2002 erscheint beim Mainzer Ventil Verlag sein erster Comicband, der in Zusammenarbeit mit dem Journalisten Helge Arnold entstanden ist. Tauber zeichnet Interviews mit Musikern aus der Indie-Szene, die Arnold und er geführt haben, mit Bands wie Travis, Eels oder Röyksopp. Das Buch wird ein Erfolg, ein zweiter Teil kommt beim Comicriesen Ehapa heraus. Dort aber ist man, obwohl der Nachfolger sich noch besser verkauft als der erste Band, trotzdem unzufrieden. Taubers dritter Comic erscheint deshalb wieder bei einem Kleinverlag: Zwerchfell. Als dessen Verleger sich 2009 zurückzieht, übernimmt Tauber gemeinsam mit dem Stuttgarter Stefan Dinter die Geschäfte.
Dass man als Comiczeichner keine Reichtümer anhäuft (und erst recht nicht als Independent-Comicverleger), damit hat sich Tauber längst arrangiert. "Viel zu viel arbeiten und viel zu wenig verdienen", das sei für die allermeisten Zeichner Alltag, sagt er. "Viele hören irgendwann auf, weil es ihnen zu anstrengend wird." Prekär ist in der Comicwelt normal. Für Tauber hat sich die Lage verbessert, seit er für den Stuttgarter Kosmos-Verlag die Comics zur "Die drei ???"-Reihe zeichnet. Zwei Bände, "Das Dorf der Teufel" und "Das Ritual der Schlangen", sind mittlerweile erschienen, an dem dritten arbeitet er gerade. Die Comics sind nicht einfach Adaptionen vorhandener Hörbücher, sondern eigene, neue Geschichten. Tauber schreibt an den Erzählungen mit und zeichnet das Ganze. Über die Arbeit an den Comics ist er auch dazu gekommen, darüber nachzudenken, was aus den jungen Detektiven im Erwachsenenalter geworden sein könnte.
"Rocky Beach", den Band über die gealterten, voneinander entfremdeten Jugendfreunde, der daraus entstand, hat Tauber nicht selbst gezeichnet. "Das hätte ich gar nicht gekonnt", sagt er. Für das Buch arbeitete er mit der Illustratorin Hanna Wenzel zusammen, von ihr stammen die Zeichnungen in starken Schwarzweiß-Kontrasten, die dem Comic seine ganz eigene, dystopische Atmosphäre verschaffen. Tauber sagt, dass er es mag, wenn man nicht als Einzelkämpfer agiert, wenn eine zweite Sichtweise dazu kommt. So ist er auch bei einer Reihe vorgegangen, die er für das Historische Museum Frankfurt entwickelt hat und in der in Comicform und für junge Leser Stadtgeschichte erzählt wird. Die Comics, die um die Frankfurter Kaiserkrönung, die Revolution von 1848 oder den Aufbruch in ein neues Zeitalter nach dem Ende des Ersten Weltkriegs kreisen, sind in Zusammenarbeit mit der Zeichnerin Annelie Wagner entstanden.
Auch an diesen Auseinandersetzungen mit der Frankfurter Historie möchte Tauber gerne weiterarbeiten, doch jetzt muss erst einmal der nächste "Die drei ???"-Comic zu Ende gezeichnet werden. "Der Goldene Salamander" soll er heißen, im September wird er veröffentlicht. Gut ein Jahr Arbeit, sagt der Zeichner, steckt in solch einem Buch. In dem Band geht es um einen Wrestling-Star, der in Verdacht gerät, eine Bank überfallen zu haben. Die drei jungen Ermittler aber glauben an seine Unschuld und setzen alles daran, um zu beweisen, dass der Mann nichts mit dem Überfall zu tun hat. Und irgendwie ist das natürlich auch schön und beruhigend: dass Justus, Peter und Bob in dieser Geschichte wieder die jugendlichen Helden sein dürfen, die wir schon seit Ewigkeiten kennen.
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