Rätsel, Regeln und Rituale - Dennis Gastmann macht sich auf, Japan zu erkunden, ein Land, das noch immer unvergleichlich fremd und geheimnisvoll wirkt. Dabei ist er nicht allein: Natsumi, seine Frau, die aus einer Samurai-Familie stammt, begleitet ihn. Die beiden bereisen den gesamten Inselstaat, von den grünen Gipfeln auf Hokkaid_ bis zu den Vulkanen auf Kyushu, sie pilgern in die Tempelstadt Nikk_ und verlieren sich im Lichterrausch der Metropolen. Japan, wie es sich der Westen vorstellt, erlebt Gastmann im Neongewitter eines Tokyoter Roboterrestaurants. In einer Bar in Kagoshima wird er selbst als Fremder bestaunt: "Wir sitzen hier seit dreißig Jahren", erzählen ihm die Trinkenden, "und noch nie hat sich ein Gaijin hereingetraut." Schließlich, in den "sieben Höllen" von Beppu, das für seine heißen Quellen bekannt ist, sucht er nach Ruhe und begegnet einem ergrauten Herrn im Yukata, der plötzlich rauchend vor ihm sitzt. Ist er der Geist eines Samurai?
Dennis Gastmanns Reiseerzählung ist das faszinierende Porträt eines Landes zwischen Anarchie und Ordnung, Besessenheit und Zen - und ein sehr persönliches Abenteuer: Kann ein "Gaijin", ein Fremder, eine Kultur verstehen, die ein Fremder gar nicht verstehen kann?
Besprechung vom 01.11.2018
Zuneigung zum Feuerberg
"Japan, die Menschen, die Schwärme, das Tempo der Sound... und dann diese absolute Ruhe, nichts als Zen." Der Weltreisende und Skurrilitätenreporter Dennis Gastmann, der einst mit Büchern wie "Mit 80000 Fragen um die Welt" bekannt wurde, hat nun ausgerechnet im vermeintlichen Kuriositätenkabinett Japan zu einem ruhigeren Duktus gefunden. Mit seiner Frau, einer Halbjapanerin, verbringt er die Hochzeitsreise in deren Mutterland, reist von der Hauptinsel nach Hokkaidô und Kyûshû. Er schildert das Heim der Schwiegereltern, die die "Flitterwochen wie Delegierte" begleiten, als "Haus der knienden Frauen". Dem alten Japan als Universum aus Understatement und Übereifrigkeiten stehen die Cosplayer von Harajuku als kostümierte Rollenspieler gegenüber, ebenso von der Gesellschaft Auszeitsuchende, Spielsüchtige oder Rockabilly-Gangs. Dennis Gastmann beschreibt Japan als Land der Ungleichzeitigkeiten sowie als stressgenerierenden "Versuch, sowohl der alten als auch der neuen Zeit gerecht zu werden". Er erörtert auch den Wandel und die sogenannte "Kaufexplosion" vor allem durch chinesische Touristenmassen, die man etwa in Hakodate in Hokkaidô findet, wobei die lokalen Gazetten beim Blick vom Hausberg vom "drittschönsten Lichtermeer der Welt" (nach Hongkong und Neapel) schwärmen. Ganz en passant und wohl dem Lesefluss geschuldet, leider allzu sehr auf Zahlen oder Statistiken verzichtend, erzählt der aufmerksame Beobachter auch von Problemen wie Überalterung, Landflucht, von schrumpfenden Siedlungen und niedrigen Geburtenraten. Die überzeugendsten, lebensbejahendsten und japantypischsten Kapitel betreffen dann allerdings ausgerechnet Problemorte des Südens wie Hiroshima und Kagoshima, indem sie ein Land zwischen Taumel und Trance, aber auch in einer gewissen Renaissance zeichnen: Unter dem Titel "Wenn die Toten reden und die Lebenden tanzen" porträtiert Dennis Gastmann das Vergnügungsviertel von Hiroshima als Lustzentrum der auferstandenen Metropole, oder er trinkt in Kagoshima mit heiter-fatalistischen Menschen, die so verrückt sind, "freiwillig unter einem Vulkan" zu leben und in nibelungentreuer "Zuneigung zu ihrem Feuerberg" noch niemals diesen Landstrich verlassen haben.
sg
"Der vorletzte Samurai. Ein japanisches Abenteuer" von Dennis Gastmann. Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2018. 256 Seiten. Gebunden
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