Besprechung vom 25.10.2018
Angst ist ihr ständiger Begleiter
Dima Wannous erzählt in ihrem Roman "Die Verängstigten" die Geschichte einer Verstoßung in Syrien
In dem neuen Roman von Dima Wannous geht eine Angst um, wie sie Menschen, die in Westeuropa groß geworden sind, wohl nicht kennen. Eine Angst, die das Leben vom Anfang bis zum Ende so tiefgreifend durchzieht, dass sie jede Persönlichkeit prägt und jeden Einzelnen eher früher als später dazu zwingt, sich zu entscheiden. Nicht nur heute, sagte Dima Wannous erst vor kurzem in einem Gespräch am Telefon, lebten dreiundzwanzig Millionen Syrer in Angst. Seit vierzig Jahren, seit die Familie Assad das Land regiert, bestimme sie ihr Leben.
Um dieses Leben dreht sich "Die Verängstigten". Dima Wannous, 1982 in Damaskus geboren, hat Syrien verlassen, als der Krieg ausbrach, sie lebte sechs Jahre lang in Beirut und zog 2017 nach London weiter. Sie stammt aus einer alawitischen Familie, gehört also jener religiösen Minderheit an, zu der auch die Assads gehören und unter der sich besonders viele Anhänger seines Regimes finden. Außer ihrer Mutter unterstützt auch die Familie von Dima Wannous den Diktator Baschar al Assad. Als die Revolution ausbrach, haben sie Wannous verstoßen. Eine Tante und deren Ehemann schickten ihr Drohbriefe. An der Mittelmeerküste, die überwiegend von Alawiten bewohnt wird, sei sie zur Persona non grata erklärt worden, sagt Wannous. Damaskus darf sie nicht mehr betreten.
Ganz ähnlich ergeht es auch der Ich-Erzählerin Sulaima im Roman. Auch sie bekommt Hassbriefe von ihren Verwandten und flieht nach Beirut. Überhaupt erinnert vieles im Buch an das Leben der Autorin, die sich wenig Mühe gegeben hat, die Spuren ihrer Biographie zu verwischen. In Literatur verwandelt hat sie sie trotzdem, und zwar nicht nur durch die mise en abyme, mit der sie Sulaimas Leben ausleuchtet. Denn die junge Frau lernt im Wartezimmer ihres Damaszener Psychologen, der in diesen Kriegstagen gut besucht ist, den Schriftsteller Nassim kennen - einen verschrobenen Zeitgenossen, der Todesanzeigen sammelt und sich selbst ohrfeigt, wenn er nicht weiter weiß. Die beiden werden ein Paar. Doch Nassim flieht nach Deutschland, und statt sie zu fragen, ob sie mitkommen möchte, hinterlässt er ihr sein letztes Manuskript, in dem sich Sulaima bald selbst erkennt: Es erzählt von einer Jugend in Assads Syrien, die ihrer eigenen zum Verwechseln ähnlich ist.
Diese Kapitel, in denen Sulaima sich ins Manuskript vertieft und dem Leser dabei quasi einen Blick über ihre Schulter gestattet, bilden den interessanten Kern des Buches. Sie geben Einblick in eine Gesellschaft, die bis in ihre kleinsten Teile derart von Misstrauen zersetzt ist, dass das Mädchen nicht mal auf dem großelterlichen Sofa sicher ist. Der Großvater macht ihr Vorwürfe, die eigentlich nicht ihr, sondern ihrem Vater gelten, der es als Alawit gewagt hatte, eine Sunnitin zu heiraten. Und der deswegen nach Damaskus zog. "Ich wurde ständig getadelt für eine Sünde, die ich nicht begangen hatte, die Sünde, die eigene Herkunft hinter sich gelassen zu haben und sich über sie zu erheben."
Auch die Schule ist ein Ort, an dem das Mädchen früh lernt, dass es sich von der Tochter des Parlamentspräsidenten widerspruchslos ohrfeigen lassen muss. Dass es sich vor der "Klassenverantwortlichen" in Acht zu nehmen hat, deren Aufgabe es ist, jedes Fehlverhalten der anderen in einem Heft festzuhalten: "War das Heft der Verantwortlichen voll, hatte sie ihre Position verteidigt und ihren Titel verdient. Dieses Heft zu führen, war nichts anderes als eine Übung im Verleumden." Sulaima lernt so von klein auf, was Sippenhaft bedeutet und was Privilegien sind - beides Dinge, die Assads Syrien entscheidend prägen.
In ihrem Roman geht Dima Wannous aber noch weiter. Sie nutzt ihre Tiefenbohrungen in die Gesellschaft, um die Wirkungen dieser alles bedrückenden Atmosphäre auf den Einzelnen zu untersuchen. Allen voran auf Sulaima, ihr literarisches Alter Ego, das nicht zufällig als gespaltene Persönlichkeit erscheint. In einem schmerzhaften, von Panikattacken, Xanax-Tabletten und Therapiestunden begleiteten Prozess exerziert Sulaima stellvertretend durch, was es bedeutet, in einer Angst zu leben, die so umfassend ist, dass sie sich letztlich selbst reproduziert. Als "Angst vor der Angst" wird das Gefühl im Roman mehrfach beschrieben. Als eine Angst, die sich auf nichts anderes mehr beziehen muss als auf sich selbst.
Die immense Unsicherheit, die Sulaima dadurch auszeichnet, übersetzt Dima Wannous in einen Stil, der von Fragen durchzogen ist, von Wiederholungen und Wehklagen, die die Lektüre zuweilen anstrengend machen, das zutiefst Destabilisierende der syrischen Diktatur aber treffend spiegeln. Manche Anspielungen auf die syrische Geschichte, auf das Massaker von Hama beispielsweise, das arabischen Lesern ein Begriff, dessen Tragweite dem deutschen Publikum aber kaum bekannt sein dürfte, hat die deutsche Übersetzerin Larissa Bender in ihrem knappen Nachwort dankenswerterweise aufgegriffen.
In Syrien ist "Die Verängstigten" natürlich verboten. Auch in Abu Dhabi kam es nicht durch die Zensur, was angesichts der psychologischen Wracks, die im Roman die syrische Gesellschaft unter Assad bilden, kaum überrascht. Umso erstaunlicher war es, dass es das Buch im vergangenen Frühjahr trotzdem auf die Shortlist des "International Prize for Arabic Fiction" geschafft hat. Denn diese auch als "Arab Booker Prize" bekannte Auszeichnung, die mit 50 000 Dollar dotiert ist, wird von Abu Dhabi finanziert und organisiert - was zu der kuriosen Situation führte, dass bei einer Veranstaltung aller Shortlist-Autoren in Abu Dhabi mit Dima Wannous eine Schriftstellerin auf der Bühne saß, deren Buch vor Ort gar nicht zu haben war.
Den Preis hat sie am Ende nicht bekommen. Ihrem Renommee in der Region hat das aber nicht geschadet, eher im Gegenteil. Erst kürzlich ist in Beirut die zweite Auflage ihres Romans erschienen. Das ist hier nicht jedem vergönnt.
LENA BOPP
Dima Wannous:
"Die Verängstigten".
Roman.
Aus dem Arabischen von Larissa Bender. Blessing Verlag, München 2018. 254 S., geb.
© Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt.