ZEITLANG
Roman von Donata Rigg und Claudia Klischat
Ullstein Verlag 2024
ISBN 978 3-550-20255-1
Es gehört schon eine gewisse Unerschrockenheit dazu, die eigenen fiktiven Protagonist*innen in die Nähe König Ludwig II zu positionieren, um schließlich auch dessen Tod noch einmal ganz neu zu erzählen. Nur eine von vielen beeindruckenden Erzählpassagen dieses ausschweifenden Romans, den die beiden Autor*innen hier vorlegen.
Nicht chronologisch, sondern in scharfen Schnitten führt ZEITLANG von der Mitte des 19. bis Anfang der 20er Jahre unseres Jahrhunderts, in denen sich durch die Zeitläufte Zusammenhänge bis in unser gesellschaftliches Hier und Jetzt offenbaren. Im Mittelpunkt steht Benedikt, Nachfahre der an einem bayerischen See lokalisierten Fischer- , Bootsverleih- und Badeanstalts-Dynastie. Nach geisteswissenschaftlichen Studium schafft er im dritten Anlauf die Aufnahme an einer Journalistenschule, bleibt später in mittelmäßigen Jobs hängen und hinter seinen eigenen Ansprüchen zurück. Er führt eine Beziehung mit einer Frau, die viel zu selbstbestimmt und unabhängig für seine Kapazitäten ist. Schließlich wird er Medienberater eines rechtskonservativen Politikers und ist damit am Aufstieg an einer neuen rechts außen Partei mittelbar beteiligt.
Alle Figuren sind in ihrem jeweiligen Umfeld nicht nur sehr gut recherchiert, sondern vor allem auch überzeugend individuell gezeichnet. Das Personal ist überbordend und bei einem plötzlichen Sprung in eine andere Zeit und eine andere Konstellation bin ich als Leser*in herausgefordert, mich schnell zu orientieren und muss schon mal die ein oder andere Seite ein zweites Mal lesen, wenn ich mich nicht genau erinnere, oder von den Personen bisher noch nichts gehört habe. Ich versinke nicht in einem Erzählstrom, sondern habe bei der Lektüre eine aktive Rolle und werde mir meiner Aufmerksamkeit dem Text gegenüber sehr bewusst. Das hat jedenfalls mir ein besonderes Vergnügen bereitet. Ganz abgesehen davon, dass die beiden Autor*innen gekonnt mit Sprache umgehen, mit knappen Sätzen Szenen plastisch beschreiben und mit Humor kuriose Situationen entstehen lassen können. Sie arbeiten dabei mit vollem Materialeinsatz aus ihren Recherchen und gleichzeitig spürt man ihre eigene Verbundenheit zu den Gegenden, in denen der Roman spielt.
Bemerkenswert, dass diesem dramaturgisch vielschichtigen und vielstimmigen Roman an keiner Stelle anzumerken ist, dass das Buch von zwei Autorinnen geschrieben wurde.
Ein sehr gelungenes Projekt. Keine Furcht vor dicken Büchern, sondern dicke Leseempfehlung!
Stephanie Junge