"Maggie, ich wünschte du hättest es mir gesagt. Auf See hört niemand deine Schreie" (S.177)Nach einem abendlichen Streit mit ihrem Freund Adam, erwacht die 21-jährige Olivia völlig verkatert auf der Segelyacht "Sea Rose". Sie befindet sich mitten auf der Tasmansse. Die Segelyacht gehört dem weisen und gutmütigen Mac sowie seiner blinden und künstlerisch begabten Freundin Maggie. Für Olivia eine schicksalhafte und lebensverändernde Begegnung, eine Art "Heimkehr" zu Menschen, bei denen sie sich das erste Mal in ihrem Leben geliebt, geborgen und verstanden fühlt; eine Begegnung, die in einer intensiven Liebe und Faszination für das Meer mündet und dem Finden einer wahrhaftigen Berufung. In Folge dieses Kennenlernens löst sich Olivia nach dem Tod ihres Großvaters aus ihren toxischen Beziehungen - zu Adam sowie ihren Eltern -, sagt ein bereits zugesagtes Praktikum bei einer großen Investmentbank ab, nimmt gemeinsam mit Maggie und Mac bei einer Regatta teil und macht das Arbeiten auf See zu ihrem Beruf. In Maggie findet Olivia außerdem eine Seelenverwandte, denn sie eint die Fähigkeit zu synästhetischen Wahrnehmungen und Empfindungen. Einige Jahre später heuert Olivia auf der "Poseidon" an - als einzige Frau in einer rein männlichen Crew . Eines nachts geschieht ein traumatisches Ereignis, das bei Olivia tiefe seelische Schmerzen und Narben hinterlässt. Jahre vergehen, Olivia lebt mittlerweile in London; arbeitet in einer Kunstgalerie und könnte glücklich sein in ihrer Beziehung mit Hugo. Doch die erlebten Traumatisierungen auf See wirken nach: "Denn wie soll man jemandem, der noch nie Feuer erlebt hat, brennende Haut erklären?" (S.229) ...Sophie Hardcastle erzählt in ihrem autobiografisch geprägten Roman die intensive Entwicklungs-, Leidens- und Heilungsgeschichte einer jungen Frau; die wir als Leser*innen über mehrere Jahre begleiten und deren Schicksal zu Herzen geht. Eine Frau, die auf der Suche ist, sich selbst findet, völlig gebrochen wird, sich verliert, sich wiederfindet, transformiert und heilt. Stück für Stück.Und obwohl auch mich diese Geschichte sehr bewegt hat, bleibe ich mit einem etwas zwiegespaltenen Leseerlebnis zurück. Beseelt war ich von den bildhaften und atmosphärischen Beschreibungen der Autorin - das Meer stets vor dem inneren Auge, die Synästhesie meisterhaft in die Erzählung als Stilmittel eingeflochten, das Wissen: Maggie, Mac, andere starke Frauen, die Energien des Universums (oder an was, Mensch auch immer glauben mag) - sie stehen hinter dir Olivia. Du bist nicht allein, du wirst gesehen, die stummen Schreie deiner Seele werden erhört.Doch es gibt leider auch eine Kehrseite; während der ersten 80 Seiten habe ich mich aufgrund des erzählerischen Stils des Öfteren gefragt, ob ich mich in einem Young Adult-Roman verirrt habe; etwas über-konstruiert, zu gewollt und für mich nicht ganz stimmig wirkten außerdem das spätere Einfließen weiterer Themenaspekte, die gesellschaftspolitisch und literarisch "en vogue" (das meine ich nicht so negativ, wie es vermutlich wirkt ;)) sind. All dies sind aber wirklich nur kleinere Kritikpunkte. Doch, was mir das größte Unbehagen bereitet und dies ist für mich ganz schwer zu formulieren, da ich um die autobiografische Prägung dieses Romans weiß: ich kann die leise Sorge nicht ablegen, dass die im Roman gezeichnete (sicherlich nicht vollendete) "Heilung" von Traumata/posttraumatischer Belastungsstörungen für Nicht-Betroffene falsche Erwartungen oder Vorstellungen implizieren könnte. Es ist eine vielschichtige und hochkomplexe Thematik, über die sich im Rahmen dieser Rezension nicht ausführlich schreiben lässt und sicherlich werden Traumata sehr individuell verarbeitet. Doch rein auf Gefühlsebene: mir war einfach nicht ganz wohl bei dieser Darstellung. Das ist sicherlich eine sehr subjektive Empfindung, aber mir war es wichtig sie dennoch zu benennen. Nichtsdestotrotz habe ich "Unter Deck" insgesamt gern gelesen, doch ein Highlight ist es für mich leider nicht geworden und ein kleiner Zwiespalt bleibt.Übersetzt aus dem australischen Englisch von Verena Kilchling.