Besprechung vom 12.01.2022
Fischer im Unwetter
Frostig: Einar Kárasons Roman "Sturmvögel"
Stürme gehören seit jeher zur Literatur und erst recht zu dem, was man sich mit ernster Stimme in Island erzählt, dem Land der Fischer. "Die Seefahrt", raunt Einar Kárason in seinem historischen Roman "Sturmvögel", "war in Island so gefährlich wie in anderen Ländern das Soldatenleben in Kriegszeiten." Die Mutter von Lárus, eines achtzehnjährigen Jünglings, der sich im Februar 1959 an Bord des Trawlers Mávur befindet, habe bereits den Tod von drei Verwandten im Meer verkraften müssen. Und allein das historisch bezeugte Unwetter, von dem "Sturmvögel" handelt - ausschließlich handelt, sollte man betonen, denn mit Ausnahme kurzer Rückblenden, in denen Lárus und ein lebensmüder "Bootsmann" die Mávur besteigen, schüttelt das Buch uns durch -, kostete mehr als zweihundert Seeleute das Leben.
Gehören zu ihnen auch die Männer der Mávur, 1200 Seemeilen südwestlich von Island? Das ist die Frage. Wobei die Gestalten nicht richtig zu fassen sind. Kárason hat seine Helden einfach nur nach ihren Funktionen wie "Kapitän", "Steuermann" oder "Funker" benannt, selbst der Name des unerfahrenen Lárus, die einzige Ausnahme, spielt hier auf eine Gattung von Möwen an, und "Möwe" ist die Übersetzung von "Mávur".
Auf diesem Wege hält der schmale, nach Abschluss von Kárasons umfangreicher Isländer-Saga "Die Sturlungen" geschriebene Roman respektvoll Abstand zu den wahren Geschichten, von denen er inspiriert wurde; die erfundenen Personen können stellvertretend für alle stehen, die auf den Meeren ihre Arbeit verrichteten, und der Kunstgriff ergibt obendrein einen leicht archaischen, melancholischen Ton. Den Gewalten, die den Atlantik beherrschen, bedeutet ein Menschlein nicht viel. Fischer sind Vögel, sind Fische, alles ist eins.
Für ein gutes Ende des Dramas an der Neufundlandbank spricht die Erzählperspektive: Der Icherzähler muss den Sturm überlebt haben. Diese Gewissheit verliert sich jedoch, weil er ein passiver Beobachter ist, der sich über seine Rolle an Bord bis kurz vor Schluss ausschweigt und an seine Anwesenheit selten erinnert.
Und erst recht die Umstände, in denen sich die Mávur befindet, geben wenig Anlass zu Hoffnung. Das Schiff ist von Eis wie mit Glas überzogen, eine "massive, bizarr geformte Skulptur aus Kristallglas". Mit jeder Welle, jedem Brecher ergießt sich neues Wasser über das Deck, das bei den lausigen Temperaturen augenblicklich gefriert und an einigen Stellen des Schiffes, den Pfeilern und Winden, riesige Klumpen geformt hat. Immer wieder müssen die Fischer hinaus, ein lebensgefährliches Rutschen und Hangeln. Sie bekämpfen das Eis bei heftigstem Seegang mit Äxten und Stangen und purer Gewalt.
Ohne Erfolg. Bald sind die beiden Rettungsboote derart vereist, dass ihr Gewicht das Boot in Seitenlage noch tiefer hinunterdrückt als ohnehin. Die Fenster der Brücke sind weiß oder zersplittert. Und der Sturm aus Nordnordwest, der bereits andere Schiffe auf den Meeresgrund zog, nimmt kein Ende. Die Männer hatten bereits vorher, als sie "tonnenweise Rotbarsch aus dem Meer holten, manchmal von ihm gestochen wurden und Wunden davontrugen, die sich nicht selten entzündeten", die Grenzen ihrer Kräfte erreicht. Sie können sich trotz des Essens, das der Schiffskoch in rauen Mengen zubereitet, kaum mehr auf den Beinen halten, und hoffen inständig, dass der Dieselmotor durchhält.
Das Reizvolle an "Sturmvögel" ist nicht bloß die schlichte Handlung, die augenblicklich in medias res geht, auf den Überlebenskampf der Fischer beschränkt bleibt und ohne intellektuelle Schnörkel auskommt (nur für die Bedeutung von Büchern auf See ist natürlich Zeit) - es ist Kárasons Blick fürs Detail, von der Zigarette, die bei Sturm angezündet werden will, über die vielen Handgriffe an Deck bis zu dem heißen Ofenrohr, das neben der einzigen intakten Toilette entlangführt. Man nimmt die Erzählung wie in Zeitlupe wahr, und doch geht es atemlos von einer Welle in die nächste. Ein Roman wie ein scharfes Glas Brennivin: ein kleiner Kurzer für zwischendurch. MATTHIAS HANNEMANN
Einar Kárason: "Sturmvögel". Roman.
Aus dem Isländischen von Kristof Magnusson. Btb Verlag, München 2021. 142 S., geb.
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