Besprechung vom 11.02.2024
Postironische Stimmungen
Zwischendystopischen Gefühlen und lustigenKatzenvideos: "Content", Elias Hirschls Roman über dieGeneration Z
Der Unterschied zwischen klassischem Boomer-Humor und dem Humor der Generation Z wird oft als der zwischen Ironie und Postironie beschrieben. Ironie: Ich liebe diese Bluse (will sagen: Diese Bluse ist erkennbar hässlich, ich liebe diese Bluse nicht). Postironie: Ich liebe diese Bluse (will sagen: Diese Bluse ist zwar erkennbar hässlich, aber ich trage sie dennoch vollkommen ernst gemeint. Vielleicht liebe ich diese Bluse tatsächlich). Postironie ist also "ironischer Ernst", am Ende ist sich niemand mehr sicher, auf welcher Stufe von Ernsthaftigkeit das Gesagte steht. Voilà, Sie haben Internethumor verstanden!
Als "postironisch" könnte man aber auch die Stimmung in Elias Hirschls neuem Roman "Content" verstehen. Die Figuren, das sind Social-Media-Redakteure, Start-up-Gründer, Twitter-Berühmtheiten, Gagschreiber für Late-Night-Shows oder Fahrradlieferanten von Food-Apps, kurz: Vertreter des digitalen Prekariats. Im Zentrum der Geschichte steht eine namenlose Ich-Erzählerin, die beruflich lustige Elf-Punkte-Listen (wie etwa "Die 11 besten Promitrennungen" oder "11 schockierende Verwendungszwecke für sprechende Papageien") für eine Medienfabrik schreibt, deren Geschäftsmodell sie selbst nicht versteht, denn "Wert" im klassischen Sinn wird hier keiner produziert.
Die Stimmung an diesem digitalen Fließband bewegt sich irgendwo zwischen Witz und Albtraum. Die Arbeitskollegen der Erzählerin verbringen ihre Zeit vor allem damit, für Onlinevideos Gegenstände in Hydraulikpressen, Standmixer oder Mikrowellen zu stecken. Und wenn es der Trend diktiert, werden schon mal alle Büroutensilien als Kuchen nachgebacken: "Zur Hochphase der Is-it-Cake-Ära sei es im Büro unerträglich gewesen, sagt Marta. Überall habe sie versehentlich in Kuchen gegriffen. Wenn sie sich morgens an ihren PC setzte und zur Maus griff. Kuchen. Ihre Tasse mit dem kalten Kaffee vom Vortag: Kuchen. Einmal sei sogar ihr ganzer Schreibtisch samt Computerbildschirm und Tastatur aus Kuchen gewesen, sagt Marta. Sie habe etliche Minuten gedacht, ihr Computer sei kaputt, bis sie feststellte, wie weich und köstlich er war."
Was Hirschl beim Bachmannpreis letztes Jahr zwar den Publikumspreis einbrachte, aber doch noch nach arg zeitgeistiger Gegenwartssatire klang, ist hier nun vollständig zur Dystopie ausgearbeitet und entwickelt gerade dadurch einen Sog. Die Handlung spielt in der Nähe stillgelegter Kohlezechen. Immer wieder stürzen unterirdische Hohlräume ein, Kohlebagger stehen funktionslos in der Gegend herum; fast so beiläufig, wie die Ich-Erzählerin sich Zigaretten anzündet, kommt es regelmäßig zu kleineren Erdbeben. Es entsteht eine fast Beckett-hafte Szenerie an diesem Nicht-Ort, mit Figuren, die lustigen Content produzieren, sinnlose Gespräche führen und manchmal ohne konkreten Anlass in Tränen ausbrechen.
Fast abergläubisch suchen die Figuren nach letzten verstehbaren Kausalitäten im längst unverständlich gewordenen Algorithmus und nach Möglichkeiten, sich noch irgendwie als wirkmächtig zu erfahren. Als einer Mitarbeiterin des Unternehmens bewusst wird, dass von ihren Elf-Punkte-Listen am Ende kein Wort im fertigen Artikel landet, erklärt sie, "dass sie dennoch mit ihrer Wortwahl die Arbeit der Zensoren und Graphiker beeinflussen könne und indirekt, quasi in homöopathischen Dosen, auch die Gesellschaft verändern werde. Ihre Wörter, die das Korrektorat allesamt ausfiltere, hinterlassen Erinnerungsspuren im Text." So funktioniert wohl magisches Denken in der digitalen Entfremdung.
Das mag alles dystopisch und bedrückend klingen. In weiten Teilen ist es tatsächlich vor allem eines: sehr, sehr lustig. Der Roman findet absurde kleine Bilder und Seitenstränge, die schon für sich eine eigene Geschichte wären und - fast verschwenderisch - kurz für zwei oder drei Seiten aufgenommen und dann wieder fallen gelassen werden. So erzählt etwa das Tinder-Date der Protagonistin mehrmals vom Tod der eigenen Mutter. Nur laufen diese Geschichten dann immer wieder auf einen Elevator Pitch seiner neuen Start-up-Idee hinaus: "Vor fünf Minuten hatte sie die Eieruhr gestellt, sagt er gedämpft in meinen Bauch. Vor fünf Minuten hatte sie noch gelebt. Hätte ich doch nur damals schon versucht, die Lieferzeit meines Unternehmens auf fünf Minuten zu reduzieren, weint Jonas. Wäre mir die Perfektionierung der logistischen Prozesse nur damals schon so am Herzen gelegen wie heute." Nachdem er ein Start-up für Wasserpumpen erfunden hat und ihr wieder eine enthusiastische Nachricht schreibt, sagt die Erzählerin nur: "Ich lege das Handy weg, bevor Jonas wieder seine Mutter umbringt."
Selbst solche kleinen Grausamkeiten sind so überspitzt, dass man nicht anders kann, als darüber zu lachen und zugleich immer wieder über dieses Lachen zu erschrecken. Gerade in seiner scheinbaren Banalität, in diesem Hin-und-hergerissen-Werden zwischen Untergangsbeobachtung und lustigem Katzenvideo, bringt der Roman die Gegenwart vielleicht sogar besser auf den Punkt als andere Dystopien, die weit größere Geschütze auffahren. Elias Hirschls "Content" ist eine Hiobsbotschaft, überbracht als Meme. MANUEL PASS
Elias Hirschl: "Content". Roman. Zsolnay, 224 Seiten
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