Besprechung vom 12.06.2019
Lauter Lieblingskünstler
Das Buch "Faszination Farbe" legt einen Grundstein für das Museum Reinhard Ernst
Der Baubeginn des Wiesbadener Museums Reinhard Ernst steht zwar noch aus. Das Fundament für das Herzensprojekt des Namensgebers scheint aber schon gelegt. Diesen Eindruck vermittelt das vor kurzem erschienene Buch "Faszination Farbe" nicht nur im übertragenen Sinn. Denn im Hinblick auf Gewicht und Format könnte man den Folianten glatt mit einem Grundstein verwechseln. Er enthält einen Überblick über das Konvolut aus abstrakter europäischer, amerikanischer und japanischer Kunst der Nachkriegsdekaden, die der Limburger Unternehmer seit den achtziger Jahren zusammengetragen hat, und das, so der Plan, 2022 in unmittelbarer Nachbarschaft zum Landesmuseum ein eigenes, vom Pritzker-Preisträger Fumihiko Maki gestaltetes Haus erhalten soll.
Das Buch bündelt 160 der insgesamt etwa 750 Positionen, auf die Ernsts Besitz inzwischen angewachsen ist. Während der Tafelteil inhaltlich aufgebaut ist, sorgt der daran anschließende Abschnitt für bessere Übersicht. Wie es zum Standard eines soliden Sammlungskatalogs gehört, erscheinen dort Angaben zu Künstlern und Werken in alphabetischer Ordnung. Der in Bonn lehrende Kunsthistoriker Christoph Zuschlag, der sich schon früher für das Museumsvorhaben starkgemacht hat, gehört zu den drei Wissenschaftlern, die die zentralen Themenfelder der Kollektion mit jeweils einem Aufsatz näher beleuchten.
Ernst, der sich während seiner vielen Geschäftsreisen die Zeit zwischen zwei Terminen oder an Wochenenden mit Museumbesuchen vertrieb und auf diese Weise zur Kunst fand, muss also als Amateur im besten Wortsinn gelten. Umso bemerkenswerter, dass er sich nicht von den Angesagtheiten des Markts in Versuchung führen ließ und ein sicheres Gespür für Seriosität entwickelte.
Neben Hubert Berke, von dem er mittlerweile etwa 50 Werke und damit die wohl größte zusammenhängende Gruppe besitzt, bildete K. O. Götz den Grundstock der Sammlung. Folgerichtig wurde das deutsche Informel mit repräsentativen Arbeiten unter anderen von Willi Baumeister, Emil Schumacher oder Hann Trier zu einem ersten Schwerpunkt. Wer indes von abstraktem Expressionismus spricht, denkt dabei womöglich nicht sofort an Helen Frankenthaler. Ernst hingegen hat die Amerikanerin zu seiner Lieblingskünstlerin erklärt. Der Anblick ihrer farbintensiven Gemälde zeigt, dass ihr zu Unrecht nicht die gleiche Aufmerksamkeit zuteil geworden ist wie etwa Jackson Pollock, Sam Francis und nicht zuletzt ihrem vorübergehenden Ehemann Robert Motherwell, von dem Ernst ebenfalls Werke besitzt. Seinen guten Geschäftsbeziehungen nach Japan schließlich ist die starke Präsenz der Gruppe Gutai geschuldet, die hierzulande nur speziell Interessierten bekannt sein dürfte. Dem Image der Herkunftsregion entsprechend erinnern die oft wohlgesetzten Linien ihrer Kompositionen an Kalligraphie, sind darin freilich auch so manchem informellen Werk nicht unähnlich. Sie fügen sich daher so geschmeidig in Ernsts Besitz an westlicher Kunst, dass man beide oft kaum voneinander unterscheiden kann.
Warum es kaum damit getan wäre, die Sammlungsstücke in ein bereits bestehendes Haus zu integrieren, illustrieren zwei Fotos von Ernsts hochmodernem Depot anschaulich: Im Gegensatz etwa zu den Jugendstil-Pretiosen, die Ferdinand Nees dem Museum Wiesbaden überlassen hat und die dort demnächst zum Teil der Dauerausstellung werden, sind sie dafür schlicht zu groß. Noch bis zum 23. Juni zeigt das auch die anlässlich der Buchvorstellung im Museum Wiesbaden eingerichtete und auf zwei Räume begrenzte Ausstellung: Das Sammlungsprofil erschließt sich über eine zwangsläufig kleine Auswahl der monumentalen Exponate jedenfalls nur schwer. Mit der Publikation des Buchs "Faszination Farbe. Abstrakte Malerei. Die Sammlung Reinhard Ernst" (Hirmer, 59,90 Euro) erhält Ernsts von einem eindrücklichen Internetauftritt begleiteter Anspruch, dass seine Kunst ein eigenes Museum braucht, zusätzlichen Nachdruck.
KATINKA FISCHER
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