Schön ist es, von Rom zu träumen - aber wie wäre es, dort zu leben? Golo Maurer hat sich genau dazu entschlossen, und er zeigt die Stadt und das römische Leben, fern touristischer Pfade und aus eigener täglicher Erfahrung. Dabei führt der Weg durch sämtliche quartieri und über die berühmten sieben Hügel, am Tiber entlang und ins Gewimmel der Gassen. Was Zugezogene wissen sollten: dass casa weder nur «Wohnung» noch notwendig «Haus» bedeutet; worauf zu achten ist, damit die Spaghetti Vongole so betörend schmecken, wie sie es hier im besten Fall tun; was man über die italienische Politik erfährt, wenn man dem Taxifahrer aufmerksam lauscht. Und damit beginnt schon die Initiation in die römische Lebensart, zu der die Kunst des Fluchens ebenso gehört wie das si sta bene, das die Mentalität der Italiener auf unvergleichliche Weise ausdrückt.
Eine leichtfüßige literarische Erkundung, die spüren lässt, wie es ist, in Rom zu leben, vielleicht gar Römer zu werden - und zeigt, was den besonderen Zauber der Ewigen Stadt ausmacht. Ein Stadtverführer für all jene, die Rom wirklich kennenlernen wollen, ob vor Ort oder als Reisende im Geiste.
Besprechung vom 16.03.2024
Obacht auf die blanken Marmortische
Ein Autor, dem der Umstand wohlvertraut ist, dass Texte über Rom eine heikle Gattung sind, legt los: Bei Golo Maurer geht es gut gelaunt, nonchalant, ironisch und mitunter etwas redselig querbeet durch das Leben in der Ewigen Stadt.
Von Andreas Rossmann
Ein deutscher Kunsthistoriker schreibt ein Buch über Rom. Das ist an sich nichts Besonderes. In diesem Fall aber schon, denn Golo Maurer, so betont er es auch in der "Vorrede", führt den Leser nicht ins Kolosseum und nach Sankt Peter, zur Bocca della Verità und zum Trevi-Brunnen, sondern dorthin, wo die Römer - und seit vielen Jahren auch er - leben. Ein "richtiger" Römer sei er deshalb zwar noch lange nicht, doch erlaube das Dasein zwischen Tourist und Römer "eine ganz eigene Perspektive": "Man bekommt viel mit, ohne wirklich drinzustecken mit Haut und Haaren. Keine schlechte Voraussetzung für ein Buch über Rom." Mehr "mein barbiere Marcello" als Goethe - so gibt er "Entwarnung"!
Das weckt Erwartungen. Und das umso mehr, als Maurer es als Vorteil ansieht, dass er hier nicht vorübergehend lebt, sondern gekommen ist, um zu bleiben. Ohne Rückfahrkarte. Ebendas zeichnet ihn auch gegenüber Goethe und fast allen Landsleuten aus, die den Spuren dieser "Modellfigur" - so Maurer in seinem "Heimreisen" betitelten Buch über "Goethe, Italien und die Suche der Deutschen nach sich selbst" (2021) - gefolgt sind. Seit 2015 leitet er die Bibliothek des Max-Planck-Instituts für Kunstgeschichte, der "Bibliotheca Hertziana".
Das "Schlüsselerlebnis" dazu liegt dreißig Jahre zurück, als Maurer, und damit beginnt er seine zwischen Autobiographie, Stadtansichten, Tagesskizzen und Kulturkritik verlaufende Erzählung, sich nach einem missglückten Erasmus-Stipendium in Florenz "fast von einer Minute auf die andere" nach Rom abseilte. "Eine goldene Zeit", in lebhafter Erinnerung. Dann fällt Maurer erst einmal doch in die Rolle des (belesenen) Reiseführers, der erklärt, was es mit "colli" und "monti", "rioni", "quartieri" und "municipi" auf sich hat. Es folgt ein Diskurs über die Stadtviertel: wie sie sich und wie sich ihre Wahrnehmungen gewandelt haben, das Centro storico in den Sechzigerjahren avant la lettre gentrifiziert wurde und dass man in Roma Nord protzprolligen Großkotzen "im lila Lacoste-Hemd mit Taucher-Rolex" begegnet. Deren wohlstandsverwahrloster Nachwuchs stößt einen Exkurs über Schimpfwörter an, die Römer ständig im Munde führen.
"Das Thema ist wichtig", findet Maurer, "ein Kernstück gesellschaftlicher Kommunikation." Aber nicht so wichtig, dass er neben dem sprachlichen auch das nicht minder vulgäre gestische Vokabular ausbreitet. Schon ist er zurück bei der Frage "Wo wollen wir wohnen?" und klappert weitere Viertel ab: Prati, San Lorenzo, Trastevere, Monteverde, San Giovanni, Pigneto und schließlich Garbatella, wo, "wie man an Habitus und Sprechen deutlich erkennen kann", Giorgia Meloni aufgewachsen ist. Maurer findet das bemerkenswert. Aber nicht so bemerkenswert, dass er sich je dorthin ("irgendwo draußen im Süden" und "schlecht erreichbar") aufgemacht hätte.
Ein Detail von vielen, aber bezeichnend: Maurer gibt den Kenner mit einer Information aus der Zeitung, aber so weit, dass er ihr nachgeht und aus eigener Anschauung berichtet, reicht seine Neugier nicht. "Ich komme vom Thema ab": Das wiederholte Eingeständnis sanktioniert seine Neigung zur Abschweifung, die vieles anspricht und es dabei belässt. Die Wohnungsfrage wird auf dem Esquilin beantwortet, wo "die Großartigkeit Roms zumindest in Spuren überlebt hat". Maurer beschreibt Straßen, Plätze, Parks, den Verkehr, die bunte Vielfalt, polemisiert politisch erfrischend unkorrekt gegen die "Verbaumung der Altstädte" und lässt die neofaschistische Casa Pound nicht aus.
Vom Viertel zur Wohnung. Bevor er einzieht, erklärt Maurer, was der Italiener unter "Casa" versteht und dass "palazzo" nicht unbedingt ein Palast ist, kommentiert Steuern, Staatsschulden, Politikverdrossenheit sowie die habituelle Klage über den "degrado", den Abstieg der Stadt. Populäre Vorurteile bestätigt er eher, als ihnen entgegenzutreten: So haben sich Schwarzbauten in Italien zum Umweltproblem ausgeweitet, doch endet nicht (mehr) jeder Fall früher oder später in der Amnestie, Bußgelder und Zwangsabrisse sind keine Seltenheit. Tropfende Altbauten, Kabel auf der Fassade, Rohrthrombose, Handwerker-Allüren, Improvisationsgeschick, Heizungsmisere: Maurer muss landestypische Unbill ertragen, die Klobrille rutscht sinnbildlich und pars pro toto. Seine Begeisterung für die "Hauptstadt der Welt" (Goethe) kann das nicht erschüttern, von den antiken Monumenten bis zur durch das "Häusermeer kurvenden" Stadtautobahn fasziniert sie ihn. Auch die "theatralischen Kulissen des Bahnhofs" gehören - "ich gestehe es ungern" - dazu: "Faschistische Märchen aus dem modernen Mittelalter". Das bringt es brillant auf den Punkt, weckt aber auch den Wunsch, der - Pardon! - Kunsthistoriker möge die Ambivalenz ausloten.
Die Polizei, ihre Organisationen und Zuständigkeiten, rechtsradikale Taxifahrer, Blaulichthysterie und Hubschrauberknattern, Tourismus-Terrorismus, Fußgängerzonen, U-Bahn-Phobie, Pizza und Pasta, Müllnotstand, Pressewesen, Mode - Maurer reiht eins ans Nächste, munter, querbeet und etwas beliebig. Amüsant wird es, wenn er nicht Vox populi und die Klatschpresse aufbereitet, sondern der eigenen Wahrnehmung vertraut: wenn er "auf den 71er" Bus wartet oder die "aristokratisch" mäandernde Linie 117 nimmt, wenn er darlegt, warum Trattorien mit blanken Marmortischen und Neonlicht Touristenfallen mit rot-weißen Karos und dreisprachiger Speisekarte vorzuziehen sind, auf dem Flohmarkt Schnäppchen jagt und eine "Salsiccia-Semmel mit Senf und krauti" verdrückt, am Tiber lustwandelt oder magische Meeresstunden am Strand von Ostia erlebt. Zu Hochform läuft Maurer auf, wenn er sich in Rage redet: "Ich verstehe ja, dass ein Volk, das in den Faltungen der Altertümer aufwächst und die Schönheit jeden Tag frei Haus bekommt, von einer Unruhe, von einer kollektiven Sehnsucht nach einer schönen Neuen Welt erfasst wird, wo alles hell und sauber ist, wo nichts tropft und zieht, muffelt und stinkt. Und doch ändert dieses Verstehen nichts daran, dass ich die millionenfachen, täglich ungerührt weiter begangenen Zerstörungen im Namen des Praktischen und Angenehmen für den größten, unwiederbringlichen Kulturverlust dieses alten Kulturlandes halte."
Wie Maurer die schleichende Gentrifizierung, die die Stadt aushöhlt und äußerlich lange nicht sichtbar wird, aufzeigt, bringt Anschauung und Analyse in Übereinstimmung. Anderes gerät verkürzt und fragwürdig. So würde er den Fußball, diesen "italienischen Dämon", am liebsten verbieten, und die hohe Wohneigentumsquote sieht er als Hemmnis einer dynamischen Entwicklung. "La Stampa" als "eine Art Kleinversion" des (neun Jahre jüngeren) "Corriere della Sera" abzutun, wird der Turiner Tageszeitung nicht gerecht, und wenn Maurer, in der "cronaca nera" mit ihren Skandalgeschichten blätternd, darauf kommt, dass 2022 in Italien 120 Femizide begangen wurden, ist das eine schockierende Nachricht. Dass es in Deutschland mit 181 "Opfern von vollendeten Tötungsversuchen", auch im Verhältnis zur Einwohnerzahl, mehr waren, erwähnt er nicht: Ohne den Vergleich bedient er das Vorurteil.
Das Buch ist, so zeigt sich hier, schnell geschrieben und schludrig lektoriert. Kluge Gedanken und originelle Beobachtungen wechseln mit Belanglosigkeiten und Eitelkeiten. "Romtexte sind eine schwierige Gattung, vielleicht die schwierigste", notiert Maurer kokett. Gut gelaunt, nonchalant, ironisch und mitunter allzu redselig erzählt er von Rom als "Stadt fürs Leben". Sogar den Neologismus "Sistabenismo" erfindet er dafür, ein Wohlergehen, in dem der Italiener, wie er kritisch anmerkt, sich einrichtet und stillhält, eine gesellschaftliche Übereinkunft und ein Garant der Stagnation, jede kleine Bar dient als Stützpunkt. Golo Maurer, das vermittelt er mit Emphase, sta benissimo a Roma, geht es sehr gut in Rom. Für einen Kunsthistoriker von nördlich der Alpen ist das nichts Besonderes: "Ich weiß es jetzt, dass ich außerhalb Roms nie mehr recht glücklich sein werde . . .", bekennt 1846 der junge Jacob Burckhardt.
Golo Maurer: "Rom". Stadt fürs Leben.
Rowohlt Verlag, Hamburg 2024. 336 S., Abb., geb.
© Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt.