Ein Buch über einen außergewöhnlichen Deutschen im 20. Jahrhundert: Baron aus uraltem Geschlecht, Beau im Berlin der 1930er Jahre, in dieser Zeit zweitbester Tennisspieler der Welt, für viele der eleganteste Spieler aller Zeiten. Selten ist ein Deutscher gewinnender aufgetreten. Der Hitler-Gegner musste 1938 ins Gefängnis wegen seiner Liebe zu einem Mann. Später heiratete er die reichste Frau der Welt, die Woolworth-Erbin Barbara Hutton, die ihn noch attraktiver fand als seinen Vorgänger Cary Grant. Gottfried von Cramm: ein Weltstar, geliebt und geachtet, über Jahrzehnte wahrgenommen als Gesicht eines Deutschlands, das man mögen kann. Der «schöne Deutsche» als ein Gegenbild zum «hässlichen Deutschen», als der wir lange Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg angesehen wurden.
Jens Nordalm konnte für das Buch das Privatarchiv der Familie von Cramm auf Schloss Bodenburg nutzen, mit Briefen und Aufzeichnungen des «Tennisbarons» und vieler seiner Angehörigen. Das Buch enthält zahlreiche Fotos, die zuvor noch nie veröffentlicht wurden.
Besprechung vom 16.10.2021
So scheinbar mühelos wie er spielte kein anderer
Biographie in pädagogischer Mission: Jens Nordalm erinnert an den Tennisspieler und Gentleman Gottfried von Cramm.
Von Helmut Mayer
Gottfried von Cramm, Spross aus niedersächsischem Landadel, war einer der besten Tennisspieler der Welt zu einer Zeit, als die Herren noch in langen Hosen, weiß oder cremefarben, zu ihren Matches antraten. Nicht alle zwar, schon in den Dreißigerjahren griff einer seiner berühmten Gegenspieler zu den Shorts. Aber von Cramm sollte man nie anders als im gewohnten tadellosen Outfit sehen, von seinen ersten Erfolgen auf der internationalen Bühne der großen Turniere Anfang der Dreißigerjahre bis zu seinen letzten Auftritten in den Fünfzigern. Die Berichte von seinen großen Matches lassen erkennen, dass er dabei schnell als der eleganteste unter den Topspielern wahrgenommen wurde, als Künstler des Spiels, dem es gelang, die hartnäckige Arbeit an der Technik und die schon damals erforderliche Athletik in der Perfektion und augenscheinlichen Leichtigkeit seines Spiels zum Verschwinden zu bringen.
Es ist schwer, liest man diese Berichte, aus denen auch Jens Nordalm in seiner Biographie Gottfried von Cramms zitiert, nicht an Roger Federer zu denken - als vielleicht letzten Vertreter solch makellos durchgehaltener Anstrengung, alle Anstrengung fast vergessen zu lassen. Wozu auch die ruhige Haltung auf dem Platz gehörte, keine Gesten oder sprechenden Blicke, schon gar keine Zorn- oder Jubelausbrüche, sondern wohl abgemessenes Verhalten und untadelige, sogar demonstrative Fairness noch in entscheidenden Szenen großer Partien. Ob in England oder Frankreich oder anderswo im Ausland: Das Publikum schloss diesen deutschen Spieler ins Herz, der in seinem bescheiden sicheren Auftreten auf und neben dem Platz den Tenniscrack als Gentleman verkörperte. Dass er auch noch sehr gut aussah, nahm sich wie eine natürliche Zutat aus.
Bei Jens Nordalm wandert die Zutat in den Titel: "Der schöne Deutsche". Wobei diese Schönheit hier freilich durchaus mehr meint als die körperliche Erscheinung, sie ist moralisch aufgeladen. Der Autor ist auch nicht bloß ein weiterer Bewunderer Gottfried von Cramms, er ist eher schon ein hingebungsvoller Adorant, und zwar einer in pädagogischer Mission: Den Lesern soll klar werden, dass hier an einen Mann erinnert wird, der die Welt für sich und damit auch für Deutschland einzunehmen wusste, eben ein strahlendes Gegenbild des "hässlichen Deutschen".
Das Buch, für welches der Autor auf Aufzeichnungen und Briefe im Familienarchiv zurückgreifen konnte, beginnt gleich mit einem hingerissenen Lob der in jedem Sinn - von eleganter Lebensart bis evangelischer Solidität - gediegenen Verhältnisse auf den Gütern der Familie, wo Gottfried mit seinen sechs Brüdern aufwächst. Eine Eloge auf die Mutter wird angestimmt, die eine eindrucksvolle Frau gewesen sein mag, selbst wenn man das den Exzerpten, die Nordalm aus dem Tagebuch dieser Gutsherrin zusammenstellt, unmittelbar kaum entnehmen kann. Muss man freilich auch nicht, denn der Autor bedeutet es dem Leser hinreichend, samt Hinweisen, mit welchen gekrönten oder fast gekrönten Häuptern Jutta von Cramm Tee trank.
Immerhin erfährt man daraus auch etwas über das familiäre Milieu, nähert sich auch langsam dem Tennis, das der junge Baron auf den heimischen Gütern lernt und für das er später erstklassige Lehrer bekommt, bis hin zu "Big" Bill Tilden, der den Neunzehnjährigen in die Technik seiner Top-Spin-Rückhand einweiht (die damals, 1928, gerade einmal knapp zehn Jahre alt war). "Rot-Weiß" Berlin wird sein Club, und nach Berlin zieht er auch zum Jura-Studium, das er dann - mit dem Segen der Eltern - recht schnell wieder lässt, um sich ganz dem Tennis zu widmen, als unentwegter Trainierer, der mehrere Stunden pro Tag an seiner Technik feilt.
Aber auch das Berliner Nachtleben genießt er, zumindest bis Mitternacht, wird zusammen mit seiner ebenso adligen und sportlichen Ehefrau zum Vorzeigepaar der damaligen Lifestyle-Magazine und folgt irgendwann seiner Neigung zu Männern, die ihn einige Jahre später in die Hände der Justiz bringen wird. Nordalm schwelgt in der Evokation eines swingenden und freizügigen Berlins und folgt von Cramms schnellem Aufstieg an die deutsche und internationale Tennisspitze. 1932 rangiert er auf der Weltrangliste bereits auf dem achten Platz, 1934 wird er Meister in Roland Garros, zwischen 1935 und 1937 steht er dreimal im Finale von Wimbledon. Und wie es sich für einen Tenniskünstler wie ihn fast gehört, gilt als sein größtes Match - für viele Zeitgenossen noch Jahre später das größte der Tennisgeschichte überhaupt - eine Begegnung, die er knapp verlor: das Spiel gegen den Amerikaner Don Budge im Interzonen-Finale des Daviscups 1937 in Wimbledon.
Kurze Zeit darauf dann die Scheidung, die ersten drohenden Signale einer Anklage nach Paragraph 175, der Beginn einer sehr langen, meist auf Entfernung geführten Beziehung zu einer der reichsten Frauen der Welt, der Woolworth-Erbin Barbara Hutton, die erst achtzehn Jahre später, 1955, in eine Heirat mündet (als ihr sechster und vorletzter Ehemann wird er da unmittelbarer Nachfolger von Porfirio Rubirosa, den Nordalm schnöde bloß als "dominikanischen Diplomaten" vorstellt).
1938 folgt dann tatsächlich die Verurteilung wegen eines homosexuellen Verhältnisses, die ihn nicht nur einige Monate ins Gefängnis, sondern sogar noch nach dem Krieg um die Teilnahme an den großen Turnieren bringt. Dass dieser Prozess sich letztlich der deutlichen Reserve von Cramms gegenüber dem NS-Regime verdankte - er ging im Ausland öffentlich zum Ausschluss jüdischer Spieler auf Distanz -, ist zwar nicht zu belegen, aber wahrscheinlich. Eher spärlich sind die Quellen, die eine bescheidene aktive Unterstützung des knapp zwei Jahre zum Heer eingezogenen von Cramm für die Verschwörer vom 20. Juli belegen können. Für Nordalm spricht aus ihnen, dass er ein Helfer am Rande des Widerstandsnetzes in der Wehrmacht war.
Jedenfalls galt er den Alliierten als Mann, der sich nie auf das NS-Regime eingelassen hatte und auf den man setzen konnte. Er wurde nach dem Krieg Mitgründer des Evangelischen Hilfswerks, baute Sportvereine auf, spielte auch wieder, und selbst wenn er an die ganz großen Erfolge kaum mehr anschließen konnte, doch mit beeindruckenden Erfolgen. Anfang der Fünfzigerjahre kam die Existenz als Unternehmer hinzu, von Kontakten in der internationalen Tenniswelt auf den Weg gebracht.
Mit dem Unternehmer der späteren Jahre freilich verträgt sich der Biograph nicht mehr so ganz. Zwar zitiert er noch aus "bundesrepublikanischer Würdigungsprosa", aber darin erscheine nur ein "Baron in Phrasengewittern". In der Bundesrepublik war halt weniger Lametta, und der Adel, natürlich der richtige, kam auch nicht mehr recht zur Geltung. Alles zu bieder für den enthusiastischen Verehrer, der sich als Nostalgiker entpuppt. Moralisch mögen wir ja gestiegen sein, lässt er uns zuletzt noch wissen, aber "in Liebes- und Lebenskunst seither gesunken". Vermutlich deshalb mischt er sich noch in die zitierten Liebesbriefe von Cramms an Barbara Hutton mit schiedsrichterlichen Bemerkungen ein.
Gegen Begeisterung aufseiten eines Biographen ist nichts einzuwenden. Aber wenn sie gar zu deutlich an Nostalgien sehr einfachen Zuschnitts hängt, gerät die Sache etwas in Schieflage. Ganz im Gegensatz zur zu Recht gerühmten Contenance des Helden wird hier etwas zu viel herumgefuchtelt. Vor mehr als zehn Jahren erschien ein Buch über drei große Tennisspieler: Bill Tilden, Don Budge und Gottfried von Cramm (dt. 2009 unter dem Titel "Ich spiele um mein Leben"). Es hat, weil sein Autor Marshall Jon Fisher als Erzählfaden - à la John McPhee in "Levels of the Game" (dt. 1994) - die Beschreibung eines bestimmten Matches verwendet, nämlich das schon erwähnte von Budge gegen von Cramm im Daviscup von 1937, seine eigenen Schwierigkeiten. Aber sein Duktus ist der nun erschienenen Biographie Gottfried von Cramms vorzuziehen.
Jens Nordalm. "Der schöne Deutsche". Das Leben des Gottfried von Cramm.
Rowohlt Verlag, Hamburg 2021. 284 S., Abb., geb.
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