Eine herzerwärmende Vorlesegeschichte, die zeigt, wie aus Fremden Freunde werden und eine Familie zusammenwächst.
Als Levi mit seiner Familie in das neue Haus zieht, ist er begeistert: Er bekommt sein eigenes Zimmer, und der Garten ist endlich groß genug für ein Trampolin. Und: In dem Haus lebt ein Gespenst! Leider findet Levis Familie das überhaupt nicht lustig. Das Gespenst geht durch Wände, spielt um Mitternacht lautstark Trompete und versteckt gerne Dinge. Deshalb beschließt Levis Familie: Das Gespenst muss gehen! Aber ist das wirklich die beste Lösung?
Besprechung vom 24.07.2023
Einen Fehler muss man wiedergutmachen
Soziale Parabel oder einfach nur ein schönes Kinderbuch? "Das Gespenst will bleiben" von Jess Rose erzählt vom Ende eines Zerwürfnisses.
Noch bevor das Gespenst auftaucht, ist die Irritation da (für Erwachsene, für Kinder kaum). Wer zieht da ein in das alte Haus? Der Vater, tiefschwarzer Vollbart, breite Koteletten, hat eine hellere Gesichtshaut als seine Kinder und seine Frau. Die Großmutter trägt ein locker umgebundenes Kopftuch, wie es in ländlichen Regionen vor allem des nahen oder mittleren Ostens für ältere Frauen üblich ist. Dabei atmet die Szenerie deutlich britischen Charme. Wer also parkt hier den Umzugswagen vor dem englischen Back-to-Back-Reihenhaus Nr. 21 und trägt dann hinein: Matratze, Bügelbrett, Katzentasche?
Protagonist der Geschichte ist Levi. Er freut sich, dass es im neuen Haus der Familie endlich ein zweites Klo gibt und er nicht immer warten muss, bis sein Vater geduscht hat. Und im Garten ist genug Platz für ein richtiges Trampolin. Levi ist auch der Erste, der bemerkt, dass ein Gespenst im Haus wohnt. Da steht es schon, etwas scheu im Fußballtor, spielbereit, mit Levis rotem Ball in den Händen.
Das Gespenst ist freundlich, aber eben ein wenig anders. Es braucht nicht so viel Schlaf und spielt nachts Trompete, es geht durch Wände und auch durch die geschlossene Tür, es versteckt gerne Dinge. Außer Levi mag niemand es leiden, auch Herr Schnurre, der selbst anders ist und dauernd schwarze Pfotenabdrücke auf dem hellen Teppich macht, meint, dieses blasse Wesen ablehnen zu dürfen. Als das Gespenst einmal höflich mit Zylinder und Geschenk die Großmutter begrüßt und sie damit furchtbar erschreckt, ist klar: Es muss fort. Zunächst bittet die Familie es zu gehen, dann macht man Krach, um es zu verscheuchen. Schließlich kommt der Vater auf die Idee, seine Sachen auf den Gehsteig zu stellen, wie Sperrmüll. Mit dem Schild "Zu verschenken". Jetzt gibt das Gespenst auf. Eine Doppelseite zeigt es am äußersten rechten Bildrand, wie es, Koffer und Trompete unterm Arm, sich mit einem weißen Taschentuch die Backe trocknet, während auf dem linken Bildrand Vater und Katze abziehen. Der Vater verschwindet im Hausflur, die Katze mit kaltem Blick auf der Straße.
Jess Rose erzählt die Geschichte in einfachen Sätzen. Aber ihre Bilder (in Pastellfarben, hellem Blau, Rosa, Gelb, Grau) führen weiter und öffnen, ohne dass alles eigens gesagt wird, andere Nuancen. Als das Gespenst gehen muss etwa, deutet sich in Form eines Halloweenkürbisses auf dem Türvordach des Nachbarhauses schon eine Wende an.
Zunächst triumphiert die Familie; nur Levi (wie sein hebräischer Name sagt, der "Treue", der "Anhängliche") vermisst das Gespenst. Über vier Seiten hinweg macht er sich Gedanken, wie es dem Gespenst geht - und man sieht es auf dunklem Hintergrund einsam mit Koffer und Trompete auf einer Parkbank sitzen. Und traurig murmelt Levi vor sich hin; er hat das Gefühl, dass das Gespenst zu Unrecht vertrieben wurde, und will es seiner Familie sagen, aber keiner hört ihm zu.
Währenddessen macht er äußerlich eine Metamorphose durch. Er hat schon das Halloween-Gespensterkostüm an, das schwarze mit dem aufgemalten Skelett, und die Mutter möchte ihm gerade die weiße Gespenstermaske geben, da schreit Levi: "Stooooopp! Wir haben einen Fehler gemacht! Das Gespenst hat hier zuerst gewohnt!" Und die Familie, die auf den vorangegangenen Bildern schon zunehmend nicht mehr so fröhlich schien, hat es endlich begriffen: "Wenn man einen Fehler gemacht hat", sagt der Vater und öffnet die Tür, "dann muss man ihn wieder gutmachen."
Alle brechen auf, um das Gespenst zu suchen. Aber es ist Halloween, die Straßen sind voller Gespenster. Gespenster, die wie das Gespenst der Familie aussehen. Andere Gespenster mit Skelettkostümen, mit Hüten. Selbst ein Hund trägt eine Gespenster-Bauchschärpe. Levi und seine Familie laufen durch die ganz Stadt, zeigen Bilder, auf denen sie das Gespenst gezeichnet haben mit der Überschrift "Habt ihr mich gesehen?"
Endlich finden sie es, wie es verloren dasteht. Sie bitten es, "zu uns" zurückzukommen. "In dein Zuhause", ergänzt die Mutter. Da sagt es seinen Namen: Benjamin, aber die Freunde würden ihn Benni nennen. Nun lebt Benni als neues Familienmitglied in seinem alten Haus. Und auch Vater und Mutter hören gerne, wenn er von früher erzählt, aus den Zeiten der Musketiere oder Gespensterritter. In seinen langen Nächten spielt Benni nicht mehr Trompete, sondern strickt. Und er bemüht sich, die Türen zu öffnen. Was meist gelingt. Wenn da nicht gerade so eine Keksdose auf dem Tisch steht und man sich doch ganz leicht mit einem Griff durch die Wand bedienen könnte. Was die Großmutter dann doch erschreckt. Aber eigentlich kennt sie das ja mittlerweile.
Jess Rose ist ein zartes, empathisches, humorvolles Bilderbuch gelungen über das ernste Thema vom Bleibendürfen und Zuhausesein, das Erwachsene auch gerne als eine soziale, eine politische Parabel lesen mögen. ANGELIKA OVERATH
Jess Rose: "Das Gespenst will bleiben".
Aus dem Englischen von Susanne Weber. Magellan, Bamberg 2023. 32 S., geb., 15,- Euro. Ab 4 J.
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