»Die beste Geschichte Indiens, die jegeschrieben wurde. « Australian Book Review
In diesem souveränen Überblick werden fünf Jahrtausende indischer Geschichte lebendig: Von den Anfängen der menschlichen Zivilisation über die Entstehung von Buddhismus und Hinduismus, das Mogulreich und die Kolonialzeit führt uns John Zubrzycki bis in Indiens dynamische Gegenwart. Nicht zuletzt gibt er Einblicke in die Zerrissenheit der modernen indischen Republik, die seit kurzem das bevölkerungsreichste Land der Erde ist.
»Erstaunlich, wie Zubrzycki 5000 bewegte Jahre indischer Geschichte auf unter 300 Seiten erzählt, ohne Wichtiges zu übergehen oder die Vielschichtigkeit der Gesellschaft zu missachten. «
The Hindustan Times
Besprechung vom 30.11.2024
Der Islam war kein Fremdkörper
Guter Blick für das Wichtige: John Zubrzycki zeigt, dass sich eine überzeugende Darstellung der Geschichte Indiens auf recht knappem Raum unterbringen lässt.
Von Axel Michaels
Von Axel Michaels
Kann man die fünftausend Jahre lange Geschichte Indiens auf dreihundert Seiten bringen? Von Mohenjo-Daro bis Modi, vom Buddhismus bis zu Bollywood, von der ältesten Zivilisation bis zur größten Demokratie der Welt? Der australische Historiker und Journalist John Zubrzycki hat mit seinem Buch gezeigt, dass es geht. Es trägt den schlichten, aber anspruchsvollen Titel "Geschichte Indiens". In der Originalfassung heißt es nicht weniger kühn "The Shortest History of India". Gordon Kerr brauchte für seine "Short History of India" keinen Superlativ, sondern nur hundertachtzig Seiten, und Dietmar Rothermund, Deutschlands bekanntester Indienhistoriker, kam in seiner "Indischen Geschichte in Grundzügen" sogar mit hundertsechzig Seiten aus.
Die Schwierigkeit einer Geschichte Indiens, ob lang oder kurz, liegt darin, aus der geographischen, kulturellen, religiösen und linguistischen Komplexität des südasiatischen Landes das Wichtige auszuwählen. Zubrzycki ist dieses Kunststück gelungen. In zehn Kapiteln behandelt er die Harappa- beziehungsweise Industalkultur, das vedische und klassische Zeitalter, religiöse Revolutionen wie den Buddhismus oder den Einfluss des Islam mit den glorreichen Moguln, die Ostindien-Kompanie und die britische Kronkolonie mit ihren Händlern und Söldnern, die Eroberungswellen durch Griechen, Muslime, Briten, Franzosen oder Portugiesen, die Ausplünderung des Landes, den langen Freiheitskampf und die Schaffung des Nationalstaats sowie das "neue Indien" nebst einem Ausblick auf die Zukunft.
Es ergibt bei einer so dezidiert kurzen Geschichte wenig Sinn, auf Lücken hinzuweisen. Sie sind unvermeidlich. Die bloße Wissensvermittlung für die Perioden der indischen Geschichte kann heute zudem durch einen Blick ins Internet ergänzt werden. Wichtiger ist, eine "Idee Indiens", die sich durch die Geschichte zieht und in ihr entwickelt, zu erfassen. Dafür braucht es lesbare Bücher und nicht nur Nachschlagewerke.
Zubrzycki beginnt daher klugerweise mit Jawaharlal Nehrus "Entdeckung Indiens" - so der Titel eines von Nehrus besten Büchern. Der ehemalige Ministerpräsident charakterisiert darin Indien als "ein von unsichtbaren Fäden zusammengehaltenes Bündel von Widersprüchen" und als "einen Mythos und eine Idee, einen Traum und eine Vision". Die Frage ist also, ob Zubrzycki es vermochte, einen oder mehrere rote Fäden zu finden, die das bizarre Indienbild der Antike oder das der idealisierenden Romantik bis hin zum überzeugten Selbstbild Indiens als große Hindu-Nation oder spirituelle Führungsmacht zu einer kohärenten Geschichte Indiens bündeln.
Zunächst hat es den Anschein, der Autor zeige eher die divergierenden Entwicklungen auf, indem er zu Recht darauf hinweist, dass die Geschichte Indiens lange Zeit die Geschichte eines Subkontinents ist, der heutige Nachbarländer einschließt, und dass es keine gesamthaft "indische Kultur" gab. Stattdessen erfasst er die zahlreichen Migrationen und rivalisierenden Dynastien und ihre Großreiche. Bis 1947, das Jahr, in dem Indien unabhängig wurde, war das heutige Territorium Indiens nie geeint, selbst während der britischen Vorherrschaft behielten viele Fürstentümer ihre Autonomie.
Eher unauffällig fließt in Zubrzyckis meist stichhaltige Analysen ein Thema ein, das vielleicht einer der roten Fäden sein könnte: Indiens Resilienz gegenüber Einflüssen und seine zwischen Ignoranz und Toleranz schwankende Wahrnehmung anderer Kulturen und Religionen. Dies gelingt dem Autor, weil er den vom zwölften bis zum siebzehnten Jahrhundert dominanten Islam nicht, wie oft in der Geschichtsschreibung Indiens, als Fremdkörper, sondern als zu Indien zugehörig darstellt. Und indem er die integrativ-tolerante und nicht nur ikonoklastische Seite des Islam aufzeigt, der zu keinem Zeitpunkt einen breiten Religionswechsel anstrebte und die Tempel vor allem zerstörte, um an die Reichtümer zu kommen. Es ging den islamischen Herrschern mehr um wirtschaftliche Vermehrung als um religiöse Bekehrung. Die Bevölkerung kannte dieses Vorgehen von den Hindu-Herrschern, denen es weitgehend egal war, ob die Untertanen Hindus, Buddhisten, Jainas oder Muslime waren, solange sie die Steuern zahlten.
Erst die Briten, so der Autor, charakterisierten ab dem neunzehnten Jahrhundert die muslimischen Herrscher als destruktiv und despotisch, nicht zuletzt um ihre eigene Herrschaft als gerecht und wohlwollend erscheinen zu lassen. Dabei beruhte die britische Herrschaft trotz mancher Segnungen weitgehend auf rassistischer Arroganz und Erniedrigung. In ihrer Selbstwahrnehmung, ausgedrückt in zahlreichen Geschichtsbüchern, haben die Briten und mit ihnen die Missionare Indien zivilisiert und von barbarischen Traditionen wie Witwenverbrennung, Kinderheirat und dem gnadenlos ausbeuterischen und diskriminierenden Kastensystem befreit. Dabei zeigen sie Indien aber als schwaches Land, das nur ein elitäres, aber kein demokratisches Bildungssystem, keine funktionierenden Verwaltungsstrukturen und keine gerechte Justiz hatte. Es musste demzufolge mit starker Hand regiert werden und eine Bürokratie erhalten, die noch heute das Land lähmt.
Zubrzycki zeigt im letzten Kapitel, dass die Jahrhunderte der Kolonialisierung schwerwiegende Rückwirkungen hatten, und bringt die politische und gesellschaftliche Situation des "Neuen Indien" auf den Punkt. Er fasst die Absichten der regierenden Bharatiya Janata Party (BJP) zusammen, das Unrecht der Vergangenheit wiedergutzumachen: Geschichtsschreibungen und Lehrpläne werden neu geschrieben, und Kritiker der Partei, sowohl im In- als auch im Ausland, werden ins Visier genommen.
Dabei ist er offen in seiner Kritik an Indien: Die politischen, sozialen und religiösen Spannungen und die Bestrebungen Neu Delhis, die "Idee Indiens" auf ein hinduistisches Gesellschaftsmodell zu reduzieren, schadeten Indiens Ruf als säkularem, demokratischem und vielfältigem Land und verhinderten oder verzögerten, dass Indien sein noch vielfach schlafendes Potential ausschöpft. Dazu gehörten Indiens Bildungssystem (von der Mitte des nächsten Jahrzehnts an wird das Land mehr englischsprachige Bürger haben als die USA), der nahezu unerschöpfliche Arbeitsmarkt, die Bodenschätze, der noch lange nicht erschlossene Markt für Konsumgüter, der hohe Wachstumsraten garantiere, und vieles mehr. Zubrzycki kritisiert das Abdriften in eine Diktatur der Mehrheit und schließt sich der Meinung des indischen Politikwissenschaftlers Sumit Ganguly an, Indien als funktionierender Staat werde nur dann überleben, wenn es seine inhärente Diversität bewahre.
Bedauerlich sind in dieser anregenden, flüssig und bisweilen unterhaltsam geschriebenen Geschichte Indiens Mängel, die sich hätten vermeiden lassen, wenn indologischer Sachverstand hinzugezogen worden wäre: Inkonsistenzen und Fehler in der Schreibung (Ghandi statt Gandhi), unsinnig anglisierte Wortschöpfungen (aryanisch statt arisch), die erratische Verwendung der Sonderzeichen (Gita statt Gita) oder der falsche Gebrauch des grammatischen Geschlechts (das statt der Dharma). Bedauerlich ist auch, dass das knappe Literaturverzeichnis keine Hinweise auf deutschsprachige Publikationen enthält, dass es keine Nachweise gibt und der Autor auf Fußnoten selbst dann verzichtet, wenn er wörtlich zitiert.
John Zubrzycki: "Geschichte Indiens".
Aus dem Englischen von Karin Hielscher. Reclam Verlag, Ditzingen 2024. 351 S., Abb., geb.,
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