"Marr's Guitars is not just a love-letter to Marr's beloved instrument; it's a historical reference." - Paste Magazine
Besprechung vom 02.02.2024
Nichts ist so magisch wie die E-Gitarre
Verlängerungen der eigenen Persönlichkeit: Johnny Marr präsentiert eine Auswahl seiner schönsten Instrumente.
Im Oktober hat der "Rolling Stone" ein Update seiner Liste der größten Gitarristen aller Zeiten veröffentlicht. Johnny Marr rangiert auf Platz 56. Vor ihm liegen unter anderen Jack White und Tom Morello. Django Reinhardt landete an 70., Bombino an 199. Stelle. Man sollte dieses Ranking also nicht zu ernst nehmen. Interessant daran ist jedoch, dass es eine verbreitete Haltung zu bestätigen scheint: Johnny Marr, Jahrgang 1963, Gitarrist der zwischen 1982 und 1987 aktiven, in Manchester gegründeten Band The Smiths, wird von Leuten, die sich beruflich mit Pop befassen, als sehr guter, wenn auch nicht herausragender Musiker wahrgenommen.
Auf der anderen Seite hat der Instrumentenhersteller Fender vor mehr als zehn Jahren ein von Marr mitentwickeltes Signature-Modell eingeführt, das auch heute noch erhältlich ist. Es handelt sich um eine nach den Vorstellungen des Künstlers modifizierte Jaguar. Mit der Gitarre lässt sich Marr zufolge alles spielen, was er am besten beherrscht: drahtig-funkelnde Arpeggios, aus dem Handgelenk geschüttelte Licks, im Studio gewobene und übereinandergelegte Klangteppiche, mit afrikanischen und karibischen Schnörkeln versehene Riffs und überraschende Akkordfolgen. Soli? Überbewertet.
In der Gitarren-Community gilt Marr als unantastbar, wovon man sich auf Youtube ein Bild machen kann. Er ist Gast bei Daniel Steinhardt und Mick Taylor in "That Pedal Show", lässt sich beim Einkaufen von Platten über die Schulter schauen und erzählt in einem Clip des Saitenproduzenten Ernie Ball, was gelungene Soundtexturen ausmacht und warum neben Glamrock der Produzent Phil Spector wichtig für sein Musikverständnis ist. Marr bekommt, kurzum, aus der Fachpresse zuweilen nicht den Applaus, der ihm zusteht, genießt dafür allerdings bei Leuten, die als Nerds bezeichnet werden und Inhalte für Nerds bereitstellen, höchstes Ansehen.
Diese Zielgruppe wird sich auch über den Bildband "Marr's Guitars" freuen. Der Musiker präsentiert Schmuckstücke aus seiner Sammlung, die Pat Graham eindrucksvoll ins Bild gesetzt hat. Wer bei einer abgewetzten Martin D-28 von 1971 mit Bund-Markierungen in Form sogenannter "snowflakes" ungerührt weiterblättert, wird das Buch nicht angemessen würdigen, kann aber immerhin nachlesen, dass Marr sich das Instrument 1984 gekauft und auf ihm "There Is a Light That Never Goes Out" geschrieben hat: "Für mich ist diese Gitarre untrennbar mit Leuten wie Joni Mitchell, Neil Young und Bert Jansch verbunden."
Die Maserung des Korina-Holzes einer vierzigjährigen Fender Telecaster, deren Saitenreiter und Tonabnehmer in extremer Nahaufnahme, der von feinen Rissen durchfurchte Lack einer 1952 gefertigten Gibson ES-295, die wie Bernstein leuchtenden Regler der Les Paul Gold Top von 1957, die Marr an Radiohead für die Aufnahmen zum Album "In Rainbows" verliehen hat, der Tremolo-Arm einer orangefarbenen Gretsch 6120 aus dem Jahr 1960, die Patina auf den Schrauben einer fast sechzig Jahre alten Fender Jazzmaster - es stimmt schon, Gitarren werden zum Spielen gefertigt, aber was sind das für Juwelen!
Zwar mag man die im Zuge der allenthalben zu vernehmenden Digitalisierungskritik vorgebrachte Rede von der Aura jener Dinge, die man berühren kann, nicht mehr hören. Doch angesichts einer 53er Les Paul in Sunburst-Optik, die Marr von The Who bekommen und 1993 an den noch unbekannten Noel Gallagher weitergereicht hat, der sie wiederum im Video zum Oasis-Song "Live Forever" benutzte, erscheint die Sache mit dem Anfassen und Anfassenwollen doch einleuchtend. Dasselbe gilt für die 1989 gebaute und mit drei Pickups ausgestattete Rickenbacker 370/12, die Marr häufig während seiner Zeit mit Modest Mouse und den Healers benutzte. Fotos, die den Musiker als jungen Mann, im Konzert oder bei den Aufnahmen vom "James Bond Theme" für "No Time to Die" zeigen, lockern die Anmutung des Bands auf.
Im Vorwort bemerkt Hans Zimmer, nichts von dem, was Menschen bislang konstruiert haben, sei so magisch wie die E-Gitarre. Deren eleganter Minimalismus - ein Stück Holz, sechs auf einen Hals gespannte Saiten, Magneten und Verkabelungen - lasse der Individualität des Spielers genau den Raum, der nötig ist, um den eigenen Ton zu finden. Gewährsmänner gibt es ausreichend: Nur Prince klingt wie Prince, nur Nile Rodgers klingt wie Nile Rodgers, nur Tom Verlaine klingt wie Tom Verlaine. Und nur Johnny Marr klingt wie Johnny Marr. Als Zimmer die Musik für Christopher Nolans Film "Inception" komponierte, hatte er tagelang den "perfekten Sound" im Kopf, bevor der Groschen fiel: Johnny Marr plus Orchester.
Dabei darf man nicht vergessen, dass die Kombination von E-Gitarren und Streichern mit Vorsicht zu genießen, weil in der Regel an Klebrigkeit nicht zu überbieten ist, siehe Metallica. Marr jedoch stand zeit seines Musikerlebens nie unter Kitsch- oder Pathosverdacht. Wann immer es bei den Smiths in dieser Hinsicht heikel wurde, lag das an den Texten von Morrissey. Dass eine Gitarre Emotionen ausdrücken, sie verstärken und ihnen eine Form geben kann, dass man sich ihr entfremden und sie später wieder für sich entdecken mag, ist Marr ebenso bewusst wie der seltsam symbiotische Zustand, bei dem das Instrument zur ästhetischen Verlängerung der eigenen Persönlichkeit wird: "Gitarre zu spielen hat mich zu dem gemacht, der ich bin."
Als Marr das letzte Mal nachgezählt hat, war er im Besitz von 132 Gitarren. Darunter gibt es welche, die eher als Arbeitsgeräte herhalten, und solche, deren Wert sich nicht mit Zahlen beziffern lässt, etwa Bryan Ferrys Hagström EDP46 De Luxe, die seit sechs Jahren Marr gehört und im Innenteil des Roxy-Music-Albums "For Your Pleasure" (1973) zu sehen ist. Smiths-Fans dürften sich besonders über die exzellent erhaltene Epiphone Casino freuen. Das Instrument von 1963 kam beim Tremolo-Riff des ursprünglich als B-Seite veröffentlichten Tracks "How Soon Is Now?" zum Einsatz. Bemerkenswert ist auch die mit einem Effektmodul ausgestattete Gretsch Super Axe (1977), auf der Marr "What Difference Does It Make" und "This Charming Man" geschrieben und mit der er "Hand In Glove" eingespielt hat.
Im Gespräch mit Martin Kelly erzählt Marr, dass er im Alter von fünf Jahren seine erste Gitarre bekam, erworben in einem Laden, der sonst Wischmopps und Besen im Angebot hatte. Während sich seine Klassenkameraden später als Cowboys verkleideten und mit Spielzeugpistolen durch die Gegend liefen, klammerte sich Johnny an sein Instrument, "es war gewissermaßen mein bester Freund". Von dort aus nahm eine Obsession ihren Lauf, deren künstlerischer Ausdruck unverwechselbar ist: Marr spielt Rhythmusgitarre und zugleich Melodien, deren Pointiertheit jedes Solo ersetzt. Motown lässt sich darin genauso entdecken wie Patti Smith, Iggy Pop und die New York Dolls. Ausgangspunkt ist keine Musiktheorie, vielmehr entstand Marrs klangliches Vokabular, indem er experimentierte und bei jenen Akkorden verweilte, die sich so anhörten, "wie ich mich fühlte".
Die zwei Gitarren, die man am ehesten mit Johnny Marr verbindet, sind die Gibson ES-355 (1960) und die Rickenbacker 330 (1982). Beide befinden sich, wie auf Pat Grahams Bildern zu sehen ist, in hervorragendem Zustand. Die eine empfiehlt sich dank ihrer Humbucker-Pickups für druckvollen Rock, die andere für einen runden, glockenklaren Klang, der unter dem Begriff "Jangle" bekannt geworden ist und mit Tom Petty oder R.E.M. assoziiert wird. In den Händen von Johnny Marr klingen beide nach Johnny Marr. Wenn er musiziert, fügen sich Töne und Akkorde wie Puzzleteile ineinander, ob er nun bei den Pretenders aushilft oder Songs mit The The aufnimmt. Er gehört, das versteht sich von selbst, mindestens in die Top Twenty der größten Gitarristen aller Zeiten. KAI SPANKE
Johnny Marr: "Marr's Guitars".
Thames & Hudson, London 2023. 288 S., Abb., geb.
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