Besprechung vom 22.04.2024
Ackermanns Weg
Autobiographie als deutsche Kapitalismusgeschichte
Nur wenige Manager haben seit der Jahrtausendwende so viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen und so polarisiert wie Josef Ackermann. Der Schweizer an der Spitze der Deutschen Bank zwischen 2002 und 2012 wurde zum Gesicht einer Epoche mit ihren kühnen Träumen, abgrundtiefen Krisen, europäischen Zerreißproben und globalen Überschwängen. Jetzt hat der heute 76-Jährige eine ausführliche Autobiographie vorgelegt. Der Stoff lässt sich in drei Schichten unterteilen. Zunächst lernt man viel über den Menschen Ackermann. Die zweite Schicht birgt Einblicke in die praktische Finanzmarktökonomik und ihre Wandlungen seit den späten 1970er-Jahren. Drittens enthält das Buch zahlreiche Impulse zur angewandten Ordnungsökonomik, wie sie Ackermann an der Schnittstelle zwischen Politik und Finanzmärkten national und international praktiziert hat.
Die Geschichte des Landarztkindes aus dem Kanton St. Gallen begann nach behüteter Kindheit mit einem vierjährigen Militärdienst, der Persönlichkeit und Führungsstil prägte. Auf das zunächst auf Bankwesen ausgerichtete Studium in St. Gallen folgte 1977 dort eine Promotion in Volkswirtschaftslehre zu den Auswirkungen monetärer Phänomene in der Realwirtschaft bei Hans Christoph Binswanger, einem Kenner der ökonomischen Theoriegeschichte und Kritiker der vorherrschenden Geld- und Wachstumstheorien.
Nach zwei Jahrzehnten bei der Schweizerischen Kreditanstalt, die 2023 als Credit Suisse unterging, wechselte Ackermann 1996 nach Frankfurt zur Deutschen Bank. Der Einstieg des damals 48-Jährigen als jüngstes Vorstandsmitglied war nicht frei von interkulturellen Spannungen. Auch zweifelte er, ob das Geschäftsmodell der Bank mit ihren größtenteils aus Firmenbeteiligungen an der Deutschland AG stammenden Gewinnen international wettbewerbsfähig war. Das Image der Bank hatte außerdem unter den Vorgängern durch Hilmar Koppers Peanuts-Äußerung und Rolf Breuers Ausgliederung des Filialgeschäfts in die Deutsche Bank 24 gelitten.
Als Ackermann 2002 Sprecher des Vorstandes wurde, waren weitere Verwerfungen wie die gescheiterte Fusion mit der Dresdner Bank, das Interview Breuers über die nahende Pleite Leo Kirchs und vor allem der 11. September vorausgegangen. Zur chronischen Ertragsschwäche im wettbewerbsintensiven deutschen Kreditgeschäft und den mageren Erträgen im Assetmanagement angesichts der schwachen Aktionärskultur in Deutschland kam die Unternehmenssteuerreform von Rot-Grün hinzu, die massive Verkäufe von Beteiligungen auslöste und damit das Ende der Deutschland AG einläutete.
Ackermann trat den Chefposten mit der Vision einer global agierenden Universalbank an. Er strebte eine andere Ertragsstärke an, die nur mit einem neuen Geschäftsmodell erreichbar war. Anders als ihm oft vorgeworfen wurde, betont er die zentrale Bedeutung des Standorts Deutschland für dieses Geschäftsmodell, wofür die Übernahmen der Postbank und Sal. Oppenheim sprechen. Mit den Übernahmen der Investmentbanken Morgan Grenfell 1989 und Bankers Trust 1998 baute Ackermann das Investmentbanking auf. Ob das Ziel einer 25-Prozent-Eigenkapitalrendite angemessen war, kann der Leser womöglich besser reflektieren, nachdem man Ackermanns ausführliche Begründung kennengelernt hat. Der Erfolg der Bank gab zumindest bis zur Finanzkrise dieser strategischen Neuausrichtung recht.
Die Finanzkrise und die Eurokrise machen einen Großteil des Buches aus. Hier erlebt man einen deutlich selbstkritischeren Ackermann - sowohl was eigene Fehler als auch was Vergehen der Branche angeht. Er beschreibt, wie die überbordende Komplexität der Finanzinnovationen in Kombination mit mangelhafter Regulierung und fehlerhaften Bonusanreizen zu einem System führten, dessen Dynamik von vielen nicht mehr verstanden wurde und ab 2007 in mehreren Wellen explodierte. Auch reflektiert er mit Reue über die juristischen Nachwehen, an denen die Bank jahrelang zu leiden hatte. Der Leser bekommt plastische Eindrücke von neuralgischen Krisenszenen, gespickt mit persönlich gehaltenen Reminiszenzen.
Hier liegt auch die ordnungsökonomische Relevanz des Buches. Die Schnittstelle zwischen Politik, Finanzbranche, Regulatoren und Medien nimmt im Text einen wichtigen Platz ein, sowohl bei der akuten Bewältigung der Krisen als auch im Versuch einer anschließenden Neuordnung der Finanzbranche. Das normative Selbstverständnis des Autors zur Arbeitsteilung zwischen Staat, Finanz- und Realwirtschaft wird den Positionen seiner wichtigsten Gesprächspartner gegenübergestellt, auch in Sachen Bankenrettung.
Bei Autobiographien stellt sich naturgemäß noch mehr als sonst die Frage, ob der Autor selbstkritisch genug ist, ob es um mehr als die Pflege des eigenen Denkmals geht. Im vorliegenden Fall wird die Person Ackermanns wohl auch die Antwort auf diese Frage unter den Lesern polarisieren, wie er das schon in seinen aktiven Jahren tat. Mindestens genauso interessant ist die Frage, woher diese anhaltende Polarisierung kommt. Hat sie tiefere Gründe als das berühmt-berüchtigte Victory-Zeichen im Mannesmann-Prozess? War der forsche Schweizer für die Deutschen auch deswegen von Anfang an eine Provokation, weil er die antikapitalistische Mentalität weiter Teile der Bevölkerung und Medien herausforderte? Wenn dem so ist, so kann man dem Buch nicht nur kritische, sondern auch selbstkritische Leser wünschen. STEFAN KOLEV
Josef Ackermann: Mein Weg. Langen Müller Verlag, München 2024, 488 Seiten
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