Besprechung vom 15.11.2022
Hör aufs Bauchgefühl
Katja Lewina sinniert über Beziehungsunfähigkeit
Als sie beschließt, ihre Exfreunde zu kontaktieren, befindet Katja Lewina sich eigentlich in stabilen Verhältnissen. Sie hat eine Tochter aus einer früheren Beziehung und führt schon seit einigen Jahren eine offene Ehe mit einem deutlich älteren Mann. Wie lebendig diese Ehe noch ist, dazu macht sie selbst ein paar skeptische Andeutungen, aber es gibt jedenfalls gerade keinen großen Umbruch in ihrem Leben. Nur die einsetzende Erkenntnis, dass vielleicht nicht an allen gescheiterten Beziehungen ihre Partner schuld waren.
"Schon in derart jungen Jahren kam meine ganze Beziehungsunfähigkeit zum Tragen. Andere waren zärtlich verknallt, ich schien einfach nur ein Arschloch gewesen zu sein." Mit dieser Feststellung macht Lewina sich daran, ihre Verflossenen zu kontaktieren, und dass sie sich selbst stark in der Verantwortung für das Scheitern der Beziehungen sieht, ist dabei dringend notwendig. Denn bei einigen hat sie verbrannte Erde hinterlassen, und nicht alle begrüßen ihre Kontaktaufnahme.
Lewinas Reise beginnt auf der Toilette. Dort sitzt sie und schreibt einem ihrer Exfreunde eine Whatsapp-Nachricht: "Ich schreib ihm das, während ich mich entleere." Ein Detailreichtum, der sich im ganzen Buch fortsetzt. Wer sich für explizite Beschreibungen von Körperfunktionen und Sex nicht begeistern kann, sollte sich die Lektüre sparen. Das gilt auch für alle, die klassische Sachbücher bevorzugen: "Ex" ist mit gutem Willen als erzählendes Sachbuch einzuordnen, aber als fachliche Unterfütterung genügen eingestreute Zitate von Eva Illouz eigentlich nicht.
Das Konzept dieses Buches ähnelt dem Film "Broken Flowers", in dem Bill Murray einen Mann spielt, der zu seinen ehemaligen Partnerinnen reist. Er stellt erst dadurch seine Fehler fest; Lewina ist damit schneller. Allerdings ist sie auch schnell damit, ihre eigenen Fehlschlüsse zu verallgemeinern. "Ein:e Partner:in soll uns bitte alles sein: Muse, Sexgött:in, Mutter, Vater, Kind und Haustier, Partner:in in Crime und Gute-Laune-Maschine in einem, und wenn eins davon nicht hinhaut, dann war er:sie es eben nicht", schreibt sie. "Und so stürzen wir uns kopflos in Beziehung um Beziehung, produzieren wir Ex um Ex um Ex." Wer ist wir, könnte man da fragen, aber die Antwort ist offensichtlich.
Die Autorin findet jedenfalls, man sollte herausfinden, was man aus Trennungen gelernt hat und was man künftig besser machen kann. Worin der Charme liegt, das erst Jahre später zu machen, verrät sie nicht. Dafür nimmt sie die Leser mit zu ihrem Therapeuten, bei dem sie versucht, ihre Beweggründe zu erkennen und zu analysieren. Und sie beginnt direkt wieder eine Beziehung mit einem ihrer Exfreunde, aber diesmal macht sie es richtig, findet sie. Oder zumindest richtiger.
Das liest sich meist unterhaltsam, aber der Erkenntnisgewinn ist gering. Besonders unangenehm wird einem das an jenen Stellen vor Augen geführt, an denen die Autorin für sich einen neu gewonnenen Expertenstatus reklamiert. Über ihren Mann schreibt sie: "Was auch immer noch passiert, wie auch immer unsere Beziehung sich verändern mag: Wir werden einander immer wichtig bleiben. Das, meine sehr verehrten Leser:innen, ist wahre Liebe." Ach so. Am Ende überrascht sie noch mit fünf "Learnings". Eines davon lautet: "Unser Bauchgefühl lügt nicht." Und schließlich folgt ein Aufruf: "Ruft eure Ex an! Ihr könnt nur gewinnen." Mag sein. Aber was? JULIA BÄHR
Katja Lewina: "Ex". 20 Jahre, 10 Männer und was alles so schiefgehen kann.
Dumont Verlag, Köln 2022. 208 S., geb.
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