»Viele Geheimnisse sind es nicht, die man haben darf. «
In der Stille des Neujahrsmorgens sichtet Ulf, Jagdleiter in Hälsingland, einen Wolf. Stolz streift der Einzelgänger, der erst kürzlich eine Ricke gerissen hat, durch das verschneite Moor. Doch dem Jagenden droht selbst Gefahr: Zwei Wölfe dürfen in der Provinz geschossen werden, und so wahrt Ulf das Geheimnis ihrer Begegnung. Während seine Frau Inga den in Gedanken an das Tier verlorenen Mann liebevoll drängt, nochmals seine Jagdtagebücher durchzulesen, eskaliert Ulfs Konflikt mit den jüngeren Kameraden. Denn die sind nur auf Blut und Trophäen aus. Ein feinsinniges und packendes, großes Alterswerk!
»Wolfslichter ist die Schmelze oder die Quintessenz von Kerstin Ekmans Werk. « Svenska Dagbladet
»Dieser Roman ist so faszinierend - man vergisst förmlich, dass man ein Buch liest. « P1
»Kerstin Ekmans Roman ist wie eine schillernde Wolke. In ständiger Wandlung erzählt er vom Altern, von einer Begegnung, die die Weltanschauung eines Menschen verändert, von der Macht der Erinnerung und der Vorbereitung auf den Tod. « Dagens Nyheter
»Ein aufschlussreicher Roman über den Konflikt zwischen uns Menschen und der Welt, in der wir leben. Eine melancholische, sehr berührende Geschichte. « Aftonbladet
Kulturpreis der Stiftung Natur & Kultur 2023
Norrlands litteraturpris 2022
Literaturpreis des Nordischen Rates 2022 (Shortlist)
Besprechung vom 26.08.2023
Der Mann und der Wolf
Weit entfernt von Jagdromantik: Ein schwedisches Epos von Kerstin Ekman, die morgen neunzig wird
Die große Romanautorin der schwedischen Sprache hat ein rares Meisterwerk vorgelegt - es handelt vom Wald, von der Liebe und von einem Wolf. Rar ist es wegen seiner konzisen, fast lakonischen und keine einzige Silbe verschwendenden Sprache, die eine wunderbar geschlossene Binnenlogik zusammenhält und die Gewichte der genannten Themen auf höchstem sprachlich intellektuellen Niveau ausbalanciert hält.
Ich-Erzähler und Hauptperson ist Ulf Norrstig, ein pensionierter Forstmeister in Hälsingland, einiges nördlich von Stockholm, doch gerade eben erst die Mitte des langen Landes Schweden. Dort beginnen die richtigen Wälder, deren Größe und Ausmaß nur in Skandinavien vorkommen, sonst nirgendwo mehr in Europa. Norrstig hat sich in seinen Wald aufgemacht, auf Skiern zu einer auf einer Höhe gelegenen Lichtung, wo er einen alten marzipantortengrünen Wohnwagen als eine etwas verkommene Jagdhütte stehen hat (das Bild ist komisch; die schwedische sogenannte princesstårta ist mit giftgrünem Marzipan bedeckt). Seine Meditation über die Jagd ist simpel und sehr klar, sie beschließt den allerersten Absatz des Romans: "Die meisten wollen schießen, solange der Zeigefinger den Abzug drücken kann. Solange das Glied sich aufrichtet, lebt und tötet man."
Auf Skiern geht Norrstig einer Wolfsfährte nach; neben der Skispur hatte er die Spur einer großen Hinterpranke entdeckt. Der alte Jäger kann Fährten lesen, er erschließt, dass der Wolf eine Ricke gerissen und das Revier ausgiebig markiert hat. Dieser Wolf ist ein einsamer Stromer, auf der Jagd nach Beute und/oder Paarung. Wegen der markanten Hinterpfote, auf die zu schließen die gesichtete Fährte zuließ, nennt der alte Jäger den Wolf Hochbein. Und beschließt, von dem Tier nichts zu erzählen. Weder will er Angst verbreiten noch zulassen, dass die Jagdgenossenschaft sich um die Genehmigung zum Abschuss bemüht. Im Erzählfluss entsteht eine Parallelführung zwischen Wolf und altem Jäger, die allerdings allein durch die Erfahrung Norrstigs und seine mit dieser verbundenen Interpretationsmöglichkeiten des Verhaltens von Hochbein gestützt wird und nie dazu führt, dass Hochbein menschliche Züge und Regungen bekäme, jene gar geschildert würden. Weiter entfernt von Jagdromantik und Wolfsschauder als Ekman kann man gar nicht sein.
Der Roman hat drei thematische Ebenen: Norrstigs Liebe zu und Ehe mit Inga, seiner Frau, einer ebenfalls bereits pensionierten Sprachenlehrerin, die Geschehnisse in der Jagdgenossenschaft sowie Wald, Umwelt und Klimawandel.
Die Vertrautheit des alten Paares, der pragmatische Umgang Ingas mit der Angina Pectoris ihres Mannes Ulf, das unbeirrbare Zusammenstehen von Mann und Frau gegen die Welt dort draußen, vor den Fenstern des alten Familienbesitzes, in dem sie wohnen, der Umgang in ihrer Familie, die Beziehungen zu ihren Kindern und die sensible Zärtlichkeit, die sie miteinander teilen - alles zeugt davon, dass es gut ist und eigentlich gar nicht anders sein kann. Wobei die lakonische Erzählweise hochkomisch sein kann. Witzig der Zusammenstoß des alten Forstmeisters, der gerade einen Elchkopf auskocht, um das Geweih präparieren zu können, mit einer neuen Schwiegertochter, die angesichts des Anblicks der auskochenden Augen des Elchschädels einen Schreikrampf kriegt, der das Abendessen infrage stellt, worauf sie von Inga den Hinweis bekommt, dass es Forelle mit Hollandaise zu essen gäbe und (Subtext) sie sich nicht so haben solle.
Norrstig ist langjähriger Vorsitzender der örtlichen Jagdgenossenschaft (in Schweden ist die Jagd überwiegend genossenschaftlich organisiert; man erfährt darüber einiges im Buch einschließlich der fast atavistischen Verhaltensmuster, wenn es ans Verteilen des Fleisches geht). Einen Angina-Pectoris-Anfall auf dem Hochsitz, beim Ansitz, und den dadurch verpassten Schuss auf einen Elch, nimm Norrstig zum Anlass, den Vorsitz der Jagdgenossenschaft abzugeben - sein Wunschkandidat Evert wird nicht gewählt, zum Zuge kommt Ronny, von dem Ulf gar nichts hält und den er als jagdlichen Rivalen erlebt. Der weiß auch um den Wolf Hochbein.
Die Rivalitäten in der Jagdgenossenschaft und deren Generationenwechsel (die jungen wollen vor allem eines: Wild abknallen) führen bei Ulf zur Frage nach dem richtigen Wald. Im Sommer des im Roman erzählten Jahres brechen große Brände aus - welcher Wald hält dem Feuer besser stand? Von seinen Vorvätern weiß Norrstig, dass sie sogenannten Plenterwald bewirtschafteten und anbauten; in ihm gibt es im Gegensatz zum immer noch weitgehend üblichen gleichförmigen Altersklassenwald auf kleinem Raum alte und junge Bäume verschiedener Arten und Dicke nebeneinander. Plenterwald verjüngt sich stetig; Bäume aller Dimensionen sind kleinstflächig bis einzelstammweise vermischt. Im Plenterbetrieb werden einzelne Bäume gefällt und so ein permanenter Hochwald geschaffen. Man kann "Wolfslichter" auch ausschließlich als Umweltroman lesen.
Aber das griffe zu kurz, einen Reim darauf, warum Hochbein doch noch erlegt wird und was Wölfe machen, wenn Schafszäune nicht richtig gesetzt sind, machte man sich dann nicht. Und der hungrige Bär, der einen der Jagdgenossen anfällt und übel zurichtet, bevor er vertrieben und später erschossen wird, hat mit der Umweltthematik im engeren Sinne ebenfalls wenig zu tun. Auch Norrstigs Referenzlektüre "Aufzeichnungen eines Jägers" von Turgenjew nicht. Apropos Referenzlektüre: Die große Wolfsjagd aus "Krieg und Frieden" bildet sicher einen der literarischen Echoräume von Ekmans Roman.
Die Übersetzung des mit jagdlich-forstlichem Vokabular gespickten Buches ist untadelig; zu fragen bleibt nur, warum der schwedische jägmästare, der auch in Schweden das höchste akademische Examen in der wissenschaftlichen Forstwirtschaft abgelegt hat, mit "Förster" übersetzt ist; nichts gegen den Revierförster, aber der ist kein Akademiker. Die Übersetzung des originalen Romantitels "Löpa varg" ist schwierig, eigentlich ist damit eine schamanistisch-atavistische Übung benannt, man läuft einem Wolf hinterher und kommt wolfsähnlich zurück. Doch "Wolf laufen" hätte im Deutschen eine komische Note, und die Wolfslichter, also die Augen von Hochbein, verbinden Ulf Norrstig mit ihm, seit er sie einmal zu Beginn des Romans im Fernglas erblickt hat.
Mit "Wolfslichter" hat sich Kerstin Ekman, die am morgigen Sonntag neunzig wird, einen bedeutenden Platz in der Reihe der großen skandinavischen Erzähler gesichert; unter den gegenwärtigen Autoren wäre allenfalls der Finnlandschwede Kjell Westö zu nennen, der solch ein Erzählen ähnlich gut beherrscht. STEPHAN OPITZ
Kerstin Ekman:
"Wolfslichter". Roman.
Aus dem Schwedischen von Hedwig M. Binder. Piper Verlag, München 2023. 208 S., geb.
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