Besprechung vom 11.12.2024
Auf den Spuren des Phosphors
Die Mineralien nicht zu vergessen! Kerstin Hoppenhaus führt durch die biogeochemischen Verflechtungen unseres Planeten.
Vieles kommt in Kerstin Hoppenhaus' Buch zusammen: lebhafte Reportagen und etwas anstrengende Chemievorlesungen, eindringliche Appelle und ökologische Theorierundschauen, historische Exkurse und humoristische Einlagen. Die Wissenschaftsjournalistin, Regisseurin und Biologin geht aufs Ganze, um die Leserin und den Leser quasi in die letzten Dinge einzuführen: Alles auf unserem Planeten - der Globus selbst, Materie, Erde und Lebewesen - sei "biogeochemisch" miteinander verflochten, vom Atom bis zur Atmosphäre. Und darum ist alles von Zerstörung bedroht.
Die Autorin fängt im Kleinen an mit drei chemischen Elementen: Stickstoff, Phosphor, Kalium. Hauptsächlich aus den Mineralsubstanzen dieses "elementaren Dreigespanns" setzt sich der Industriedünger zusammen, der ab Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts die "Grüne Revolution" ermöglicht habe. Aus den drei Elementen wird noch vieles andere produziert, was Hoppenhaus zu streifen sich nicht versagen kann: Batterien etwa oder Schwarzpulver. Ohne Mineralien gäbe es eigentlich nichts, auch uns nicht, oder wie die Autorin es formuliert: "Wir sind wandelnde, sprechende Mineralien."
Ohne den Einsatz von Kunstdünger und die Züchtung von potenten Weizen- und Reissorten wäre die Erdbevölkerung nicht zu ernähren - wobei, wie Hoppenhaus anfügt, noch immer und sogar wieder mehr Menschen an Hunger leiden, aber nicht weil zu wenig Nahrung vorhanden wäre, sondern weil diese am falschen Ort produziert und zu viel davon weggeworfen werde.
Die Grüne Revolution hat, das ist nicht unbekannt, ihre dunklen Seiten. "Wir düngen nicht einfach nur Felder und Gärten, sondern wir greifen in die großen biochemischen Stoffströme der Erde ein." Die koloniale Jagd nach den Rohstoffen Phosphor und Kalium verwüstete etwa im Pazifik ganze Landstriche. Hoppenhaus schildert das Schicksal der Insel Banaba: Der britische Industriemagnat William Lever häufte sich mit dem Abbau von Phosphor ein Vermögen an, die Eingeborenen wurden vertrieben. Phosphor ist nicht nur ein Grundstoff für Dünger, sondern eben auch für Batterien, die immer gefragter sind.
Vor allem aber belastet der übermäßige Einsatz von Industriedüngern die Umwelt, wie man herkömmlicherweise sagen würde. Hoppenhaus spricht vom "Erdsystem", zu dem natürlich auch die Menschen gehören. In den Meeren kommt es zur Eutrophierung, zur Anreicherung von Nährstoffen, die das ökologische Gleichgewicht aus dem Lot bringt. Massenhaft vermehren sich Algen und entziehen dem Wasser Sauerstoff. Zusammen mit der Klimaerwärmung, die die Wassertemperatur erhöht, werden die Meere für die Fische zur "Todeszone". Besonders betroffen ist die wenig fluktuierende Ostsee. Die Dorsche dort können kaum mehr atmen, sie werden immer kleiner.
Dazu kommt, dass die neuen Hochertragssorten den Dünger, vor allem den Stickstoff, immer schlechter aufnehmen würden. Dies hat zur Folge, dass die Landwirtschaft immer mehr davon einsetzt, um die Erträge zu steigern, was wiederum dazu führt, dass die Böden noch mehr übersättigt sind und die Belastungen weiter zunehmen, weil der Dünger ins Grundwasser, in die Flüsse und Meere sickert.
Diese Zusammenhänge sind nun keine Neuigkeit, aber Hoppenhaus geht das Düngeproblem "systemtheoretisch" an. Eine Menge ökologischer Theorien, zuvörderst die altehrwürdige "Gaia-Hypothese", werden von ihr referiert. Zudem führt sie das Konzept der "neun planetaren Grenzen" von Johan Rockström an. Laut dem Agrarwissenschaftler hat die Menschheit bereits mehrere rote Linien überschritten, besonders bei den Kreisläufen von Stickstoff und Phosphor. Dass die Menschen ihr Überleben noch sichern können, wird demnach ungewiss. Und auch die Philosophin Jane Bennett und ihr "vitaler Materialismus" haben einen Auftritt: Wir sollten unsere Aufmerksamkeit auch der schlichten Materie zuwenden, ohne die wir nichts wären, den Salzen zum Beispiel, die durch unsere Körper gehen und die sich, wie wir, stets verändern.
Zwei Wege schlägt Hoppenhaus zur Bearbeitung der Probleme vor. Zum einen müsste die Düngepolitik global angepasst werden. Die überfetteten Böden des Westens sollten weniger Düngemittel erhalten und unter Nahrungsknappheit leidende Länder, die oft mit nährstoffarmen Böden zu kämpfen hätten, mehr. Zum anderen optiert sie für das mittlerweile oft ins Spiel gebrachte und auch schon einige Male etablierte Vorgehen, natürliche Entitäten zu juristischen Person mit - freilich von Menschen - einklagbaren Rechten zu machen. So könnten sich, meint sie, etwa die erstickenden Fische wehren.
Man muss Hoppenhaus' Ansatz nicht vorbehaltlos zustimmen, um ihr doch beizupflichten, dass die drängenden Probleme, auf die sie eingeht, mit einer unterkomplexen Sicht auf die Welt zu tun haben - die zu korrigieren ihr Buch nahelegt. URS HAFNER
Kerstin Hoppenhaus: "Die Salze der Erde". Was drei chemische Elemente mit Kolonialismus, Klima und Welternährung zu tun haben.
Hanser Verlag, München 2024.
336 S., geb.
Alle Rechte vorbehalten. © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main.Es wurden noch keine Bewertungen abgegeben. Schreiben Sie die erste Bewertung zu "Die Salze der Erde" und helfen Sie damit anderen bei der Kaufentscheidung.