Landolf Scherzer hat bei Reisen den Zufall auf seiner Seite. Kaum ist er auf Kuba, stirbt Fidel Castro, und er erlebt er ein Land im Ausnahmezustand. Um so drängender wird die Frage, wie die Ideale der Revolution in der Gegenwart bestehen. Wer in Kuba viel fragt, dem wird wenig erlaubt, lernt Scherzer schon am ersten Tag in Havanna. Also macht er es bei seinen Recherchen wie die Kubaner, er geht Umwege und improvisiert. Jede Busfahrt, jeder Einkauf, jeder Spaziergang beschert ihm überraschende Begegnungen und Lebensberichte. Er bewundert, wie unkonventionell die Kubaner den problematischen Alltag meistern und wie ungebrochen der Stolz auf die Revolution und ihre Errungenschaften ist. Aber mit Schlitzohrigkeit und Optimismus allein lassen sich die Konflikte, die die Öffnung Kubas mit sich bringt, nicht lösen. Was also muss bewahrt, was soll verändert werden?
Besprechung vom 17.01.2019
Und jetzt alle einmal lächeln
Auswärtige Schriftsteller, die nach Kuba reisen, haben auf dem Hinflug oft Übergepäck: Von Toilettenartikeln bis zu verbotenen Büchern gibt es vieles, was Freunde auf der maroden Insel bitter benötigen. Der in Thüringen lebende Autor Landolf Scherzer, 1988 überregional bekannt geworden durch ein sympathisierendes Porträtbuch über einen Bad Salzungener SED-Funktionär, hat auf seiner ersten Kuba-Reise jedoch anderes dabei - etwa eine "fleischlose Wurst für die seit einem Jahr hier in Havanna Marxismus studierende Julie" und fünfzig Euro, die er im Auftrag der Thüringer Parlamentsabgeordneten Ina Leukefeld einer Kubanerin überreichen soll. Die für die Linke im Erfurter Landesparlament sitzende Abgeordnete Leukefeld ist ebenfalls eine ehemalige SED-Funktionärin, von der Stasi als IM "Sonja" geführt. Entsprechend liest sich dann der kubanische Reisebericht Scherzers, eine Art sozialistischer Realismus post mortem, in dem die regimetreuen Gesprächspartner andauernd lachen oder lächeln, wenn sie etwas erklären, mitunter jedoch auch - so viel Subjektivität darf graduell sein - zögern oder schmunzeln, um dann dem nicht zu kaschierenden Planwirtschafts-Desaster im Einparteienstaat doch noch etwas Positives zu entlocken. Derlei gilt für Scherzer als Exempel "kubanischer Lebensfreude", illustriert mit selbstgefertigten Fotos, deren ungelenke Symbol-Didaktik ebenfalls wie aus der Zeit gefallen scheint. Doch kaum ist der bei aller naturalistischen Beschreibungsfreude bemerkenswert nicht-neugierige Autor in Havanna angekommen, stirbt der Langzeit-Diktator Fidel Castro. Wie gut, dass es da in der Calle 18 diese hilfsbereiten Straßenkehrer gibt! "Ich erzähle ihnen, dass ich mit meinen Gedanken an Fidel am Meer allein sein möchte. Doch sie raten mir, lieber in die Berge zu fahren. In der Sierra Maestra würde ich dem Comandante en jefe näher sein als am Meer." Nach allerlei Begegnungen, etwa mit kubanischen DDR-Fans, kommt Senor Scherzer doch noch ans Meer, wo er prompt auf einen venezolanischen Hugo-Chávez-Fan trifft: "Gemeinsam trinken wir aus Pappbechern den ersten Schluck Rum auf Venezuela, auf Fidel, auf Kuba und auf Chávez!" Inzwischen hat der Reisende auch einiges gelernt. So erfährt er, dass das einst in der DDR erschienene Aufklärungsbuch "Mann und Frau intim" des ostdeutschen Sexualwissenschafters Siegfried Schnabel "im revolutionären Kuba sehr begehrt war". Auch über Santeriá lässt er sich informieren, denn: "Ich hatte angenommen, dass die Kubaner früher vor allem Katholiken waren und heute zum großen Teil Atheisten sind. Und nun eine afrikanische Religion auf Kuba?" Der Leser reibt sich die Augen: Es ist, als wären die Bücher von Hans Christoph Buch und Hubert Fichte, von Alejo Carpentier oder Reinaldo Arenas nie erschienen. Was bleibt, ist das Mysterium, wie der renommierte Aufbau Verlag ein solch peinliches Werk veröffentlichen konnte.
mart
"Buenos Días, Kuba. Reise in ein Land im Umbruch" von Landolf Scherzer. Aufbau Verlag, Berlin 2018. 367 Seiten, 57 Fotos. Gebunden
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