Germany's next Lovestory.
Leif Randt erzählt vom Glück. Von Tanja und Jerome, von Wirklichkeit und Badminton, von idealen Zuständen und den Hochzeiten der anderen. Eine Lovestory aus den späten Zehnerjahren. Tanja Arnheim, deren Debütroman PanoptikumNeu Kultstatus genießt, wird in wenigen Wochen dreißig. Mit Blick auf den Berliner Volkspark Hasenheide wartet sie auf eine explosive Idee für ihr neues Buch. Ihr fünf Jahre älterer Freund, der gefragte Webdesigner Jerome Daimler, bewohnt in Maintal den Bungalow seiner Eltern und versucht sein Leben zunehmend als spirituelle Einkehr zu begreifen. Die Fernbeziehung der beiden wirkt makellos. Sie bleiben über Text und Bild eng miteinander verbunden und besuchen sich für lange Wochenenden in ihren jeweiligen Realitäten. Jogging durchs Naturschutzgebiet und Meditation im südhessischen Maintal, driftende Dauerkommunikation und sexpositives Ausgehen in Berlin - Jerome und Tanja sind füreinander da, jedoch nicht aneinander verloren. Eltern, Freund*innen und depressive Geschwister spiegeln ihnen ein Leid, gegen das Tanja und Jerome weitgehend immun bleiben. Doch der Wunsch, ihre Zuneigung zu konservieren, ohne dass diese bieder oder schmerzhaft existenziell wird, stellt das Paar vor eine große Herausforderung.
Allegro Pastell ist die Geschichte einer fast normalen Liebe und ihrer Transformationen. Ein Roman in drei Phasen, beginnend im Rekordfrühling 2018.
Besprechung vom 08.03.2020
Gedämpfte Sorglosigkeit und postpragmatische Liebe
Wie Leif Randt das Lebensgefühl vieler junger Menschen trifft
In einer schönen Szene am Anfang dieses sowieso sehr schönen Texts nimmt Tanja Arnheim, Autorin eines Kultbuchs, an einem Sonntagnachmittag im Berliner Club Griessmühle eine halbe Pille Ecstasy und textet ihrem Boyfriend Jerome Daimler: "Einnahme am Tresen. 14 Uhr 14. Angenehme Gleichgültigkeit. Fernwärme soon." Der erfolgreiche Webdesigner hat angekündigt, zur selben Zeit in Offenbach ein ähnliches Experiment mit Ketamin durchzuführen und ebenfalls ein Rauschprotokoll zu verfassen. Aber als Tanja später in der Toilettenschlange wartet und auf ihr Handy schaut, hat Jerome bloß einen Sonnenbrillen-Emoji geschickt, was sie etwas enttäuscht.
Tanja und Jerome, die Hauptfiguren von Leif Randts neuem Roman "Allegro Pastell", führen eine überdurchschnittlich zufriedene Fernbeziehung zwischen Maintal und Berlin. Jerome, Mitte dreißig, lebt im Bungalow seiner Eltern in Südhessen, Tanja, sehr bald dreißig, schaut von ihrer Küche auf die Berliner Hasenheide. In einer Mail an Jerome nennt Tanja sie einmal "Glücksmenschen", so weitgehend sorgenfrei, dass die beiden einander fragen, ob das gute Verhältnis zu den Eltern problematisch und es biographisch sinnvoll sei, "die von chemischen Drogen induzierten Downs kennenzulernen".
Wer jetzt Berlin-Mitte-Roman schreit und darin materiell rundum versorgte Figuren vermutet, die an ihren Millennialproblemchen herumleiden, liegt auch richtig. Bloß, was kritisiert diese Art Kritik? Dass Randts Setting keine actionreiche Handlung verspricht und in "Allegro Pastell" im Vergleich zu anderen Romanen wenig passiert? Dass die Figuren (und deshalb natürlich auch ihr Erfinder) typisch selbstzentrierte Generationenvertreter sind, die sich bloß um sich und ihre Außenwirkung kümmern? Dass die Welt drängendere Probleme hat als die Frage, welcher Fleischersatzpattie in der Textur echtem Fleisch nahekommt? Stimmt alles, aber die interessantere Frage ist doch, wie Randt aus dem unspektakulären Szenario einen Roman gemacht hat, der vermutlich das Lebensgefühl vieler junger Menschen in Deutschland gut beschreibt.
Leif Randt hat Tanja und Jerome einige seiner biographischen Daten mitgegeben. Er ist im selben Alter wie Jerome und kommt wie er aus Maintal bei Frankfurt, mit Tanja teilt er das Hobby Badminton, eine Sportart, die Randt mal als "auf eine positive Weise neutral" beschrieben hat. Wie Tanja Arnheim das fiktive "PanoptikumNeu" hat Leif Randt ein Buch geschrieben, das in einem bestimmten Kreis Kultstatus hat, sofern eben ein Buch 2020 Kultstatus haben kann, den Roman "Schimmernder Dunst über CobyCounty". Für Randts Debüt von 2011 und den Nachfolger "Planet Magnon" aus dem Jahr 2015 dürfte etwas Ähnliches gelten wie für Tanja Arnheims Kunst: "Tanja schrieb Texte, die vor allem Menschen berührten, die so ähnlich waren wie sie selbst."
Die ersten beiden Romane Randts spielten in der nahen Zukunft und sind oft als Dystopien gelesen worden, in vielen Rezensionen stand, dass diese Welt der unseren erschreckend ähnele. Seltsamerweise hätte dieser Analyse wohl weder die Bevölkerung von "CobyCounty" zugestimmt, einem Küstenort mit dauerhaft mildem Klima, der vage an Kalifornien erinnert, noch das Weltraumpersonal von "Planet Magnon", denn die meiste Zeit fühlen sich die Personen in Randts Büchern ziemlich gut. Ob trotz oder wegen der Überwachung, der Algorithmen und stimmungsmodifizierender Substanzen, die ihr Leben bestimmen, überließ Randt dem Publikum.
"Allegro Pastell", ein präziser Titel für die bekannte Randt-Stimmung, die gedämpfte Sorglosigkeit, spielt das erste Mal in Deutschland in der nahen Vergangenheit. Noch gründlicher als die Vorgänger hat Randt den Text von Wertungen bereinigt, so dass ein Urteil, welche der zwei Hauptpersonen sympathischer ist und wer am Ende die richtigere Entscheidung trifft und ob die beschriebene Realität generell etwas Schreckliches oder Ersehnenswertes ist, vor allem etwas über das Publikum verrät, das dann darüber urteilt.
Als angenehme Abwechslung zu einem Kulturpessimismus, der die Verrohung des Diskurses in den asozialen Medien bejammert und langweilt, fällt Randt mit seiner Lust auf neuere Technik wie Smartphones, Memes und Emojis auf. Als auf der Tanzfläche der Griessmühle die Partygäste Tanja anstarren und auffordern, ihr Handy wegzupacken, um ganz im Moment zu sein, denkt Randts Protagonistin: "Sie hatten keine Ahnung, dass dies gerade für Tanja der schönste Moment war - high auf das Tor zur Welt in ihrer Hand blicken, mit denjenigen kommunizieren, die sie am meisten mochte, auf die Weise, die sie am besten beherrschte."
Ähnlich wie die Irin Sally Rooney in ihren Büchern ignoriert Randt nicht, dass Menschen heute viel über Messenger kommunizieren, und er hat das Maß gefunden, E-Mails und Emojis in einen Roman zu integrieren, ohne dass der zwanghaft nach Gegenwart klingt. Ob man Randts Sound mag, dürfte sich auf der ersten Seite zeigen, vielleicht schon im dritten Satz. Denn als Jerome in der Anfangsszene Tanja am Frankfurter Hauptbahnhof abholt, hält er "eine Tüte mit frischen Backwaren in der Hand". Nun wissen alle, die mal ein Regelbuch von Wolf Schneider oder Bastian Sick gelesen haben, dass "Backwaren" für den ernsthaften Schreiber eine Todsünde sind, vergleichbar mit der Verwechslung von "scheinbar" und "anscheinend", ein furchtbarer Fauxpas. Sei konkret! Schreibe anschaulich! Vielleicht Laugenzopf. Oder wenigstens belegtes Käsebrötchen. Nie, niemals Backwaren.
Als Absolvent des Studiengangs "Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus" dürfte auch Leif Randt schon mal von dieser Regel gehört und sie mit Absicht gebrochen haben. Vielleicht haben seine Figuren schon so viele herzhafte Backwaren in der Werbung gesehen, dass sie das Wort erst ironisch und dann selbstverständlich verwenden. Vielleicht will Randt zeigen, dass er die Regeln kennt und dass sie ihm egal sind. Aber das klingt viel zu anstrengend, nach Erzähltheorie und Schreibseminar. Dabei ist "Allegro Pastell" lässig und lustig, und wenn man die besten Sätze textmarkert, sind die Seiten bald neongelb. Sätze wie: "Mittlerweile hatte Jerome das Gefühl, einer sehr kleinen Generation anzugehören, die fast nur aus ihm selbst bestand, und für diese Generation waren Facebook-Profile, Dating-Apps und Spekulationen auf Kryptowährungen gleichbedeutend mit einer emotionalen Nähe zur CDU."
Der Plot ist schnell zusammengefasst. Tanja hat "eine Art Blackout" und will eine Kontaktpause, Jerome kommt damit besser klar als erwartet, dann treffen die beiden einander wieder, und gerade als man zu wissen glaubt, wie es ausgeht, bekommt Randt ein überraschend rührendes Ende hin. Ob die beiden je ihre Idealkonstellation in einer Beziehung erreichen und ob die Ausdifferenzierung der Liebe in ein Stufenmodell, vom Langzeitschwarm zum Jetzt-wieder-Boyfriend, wirklich befreit oder am Ende bloß die bürgerliche Ehe als subversiver Akt bleibt, löst Randt nie auf, wie auch.
"Post Pragmatic Joy" hat Randt seine Art des Erzählens genannt, das Ideal: "Sachen so sagen, wie sie sind, ohne darunter leiden zu müssen." Da denkt man erst mal: Ist klar. Ziemlich überspannt. Aber Randt meint das völlig ehrlich. Dass Leute bei ihm Badminton spielen und Jever Fun trinken und über vegane Burger und die Vorteile von Damenfahrradsatteln reden - nichts davon ist ironisch gemeint. Wenn Tanja Jerome ihren "Boyfriend" nennt, insinuiert Randt nicht, dass Tanja sich über Jerome lustig macht, die Beziehung abwertet oder das nicht ernst meint. Randt insinuiert nichts. Tanja ist bloß eine Person, die englischsprachige Serien schaut und "Boyfriend" vielleicht für passender oder leichter als "Freund" oder erst recht "Lebenspartner" hält.
Postpragmatisch sind auch Tanja und Jerome. Natürlich wissen sie um Scheidungsraten, außereheliche Affären und viele weitere Faktoren, die Zweifel aufkommen lassen am Konzept dauerhafter Monogamie. Sie haben einen Pragmatismus gegenüber allen und allem entwickelt. Tanja sucht nach einer Person, die ihr "maximal ähnelte und die zugleich wenig von ihr verlangte", Jerome wünscht Tanja nicht ein schönes neues Jahr, sondern "das bestmögliche". Aber hinter dem Pragmatismus schimmert die Sehnsucht nach etwas, das sich ihrer Kontrolle entzieht, nach der "postpragmatischen Freude". Die Suche nach ihr hat Leif Randt genau beschrieben, und seine Sprache macht "Allegro Pastell" zu einer sehr schönen, zarten Lovestory.
FLORENTIN SCHUMACHER
Leif Randt: "Allegro Pastell". Roman, Verlag Kiepenheuer & Witsch, 288 Seiten
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