«Grandios, wie es Lina Wolff gelingt, ihre Leser:innen zu hypnotisieren, sie in dieses teuflisch konstruierte Beziehungslabyrinth hineinzuziehen.» Le Monde
«Lina Wolff gehört in den Kanon zeitgenössischer feministischer Literatur und ergänzt ihn auf coole, intelligente und streitbare Weise.» The Guardian
Schonungslos, schillernd und mit tiefschwarzem Humor schildert Lina Wolff die dämonischen Abgründe einer Beziehung und bringt dabei die Realität ins Wanken. Der Teufelsgriff ist ein Buch für unsere Zeit.
Eine Frau entflieht ihrem Alltag und zieht nach Florenz. In der südlichen Stadt wirkt alles fremd und verlockend zugleich, die Ziegeldächer, die Kirchtürme, die Liebespaare, der Mann, den sie kurz nach ihrer Ankunft kennenlernt. Sie denkt, dass sie selbst aus einer kargen Gegend kommt, dass sie viel zu lernen hat und dass er derjenige sein könnte, der den gefrorenen Boden in ihr auftaut. Im Gegenzug hat auch sie ihm etwas beizubringen. Der Roman ist die Geschichte der beiden, ihrer Körper und ihrer Seelen. Über ihren Griff nach ihm und seinen immer festeren Griff nach ihr. Den Teufelsgriff.
Besprechung vom 05.12.2024
Die Geschichte einer sexuellen Hörigkeit
Lina Wolffs Roman "Der Teufelsgriff"
Dies ist ein Roman über das, was man eine toxische Beziehung nennt. Und wer eine solche Beziehung literarisch hochelegant und gleichzeitig angemessen trocken und nüchtern geschildert bekommen möchte, der sollte sich diesem Buch der 1973 geborenen schwedischen Übersetzerin und Autorin Lina Wolff anvertrauen.
Der Roman spielt zu großen Teilen in Florenz, wohin es eine junge Frau verschlagen hat. Das Erste, was ihr bei der Ankunft in Florenz auffällt, sind die Liebespaare und deren offenherziger Sex, dessen Geräusche an den Abenden die Stadt erfüllen. Der Mann, sie wird ihn einige Seiten später den "Reinlichen" nennen, da er sich - der später von ihm Minnie genannten Frau angenehm - körperlich sehr sauber hält, zieht sie in den sprichwörtlichen Bann, es gelingt ihm, eine Atmosphäre brunftiger Abhängigkeit zwischen beiden zu schaffen. Diese basiert auf Eifersucht und Selbstmitleid, je was für einen der beiden gerade am besten passt. Der Reinliche steigert seine Beschimpfungen von Minnie Tag für Tag; die Resultate seiner sexuell gesteuerten Gewaltverherrlichung lassen sich an den zunehmenden blauen Flecken seiner Partnerin ablesen. Parallel dazu malträtiert er die von seinen Gewaltübungen stetig abhängiger werdende Partnerin mit seinem eigenen promisken Verhalten, dessen ausschließliche Steuerung durch sein primäres Geschlechtsteil er gerne und gründlich thematisiert. So weit, so schwer erträglich.
Ein Amerikaner aus New Orleans, Ben, taucht auf, Minnie beginnt eine Affäre mit ihm, erst aus Rache, dann von Begehren unterfüttert. Ben überredet sie, erfolglos zunächst, mit ihm nach New Orleans abzuhauen. Doch der Reinliche plagt, malträtiert und prügelt weiter, hält inne, jammert mit schlechtem Gewissen über sich und sie; schließlich schickt er Minnie zu einer Psychologin, der dottoressa. Die erkennt sofort, wie die Sache bisher gelaufen ist und vor allem: wie sie weiterlaufen wird. Sie macht Minnie nichts vor und gibt ihr den naheliegenden Rat, sich unmittelbar vom Reinlichen zu trennen und die Chance, nach New Orleans zu gehen, zu nutzen. Nach ein paar weiteren Gewaltexzessen, deren Einzelheiten die Leserschaft Gott sei Dank nicht erfahren muss - es reicht, die Resultate erzählt zu bekommen - schafft Minnie den Absprung ins Flugzeug nach Louisiana.
Dort läuft es in jeder Hinsicht anders, als sie es sich vorgestellt und Ben ihr in Aussicht gestellt hatte. Die schon gut funktionierende Sklavin landet in halbkriminellem Zwangsmilieu und will zurück zum Reinlichen. Alles endet in grauenvollem tödlichen Chaos.
Zu welchem Zeitpunkt geriet das alles aus der Spur? Minnie versucht, sich Klarheit darüber zu verschaffen, doch es gelingt ihr nicht. Sie ist sich nicht darüber im Klaren, welchen gewaltigen Griff nach dem Reinlichen sie zu Beginn getätigt hatte und zu welchem erheblich gewalterfüllteren Griff, jenem "Teufelsgriff" des Buchtitels (der im Original nicht anders lautet), sie das führte. Wann verlieren in einem solchen Szenario, einem derartigen Exzess, alle Beteiligten, vor allem die beteiligte Frau, ihren Kompass mit einer eindeutigen Nadelausrichtung nach Norden? Der Roman ist zu klug, um einen eindeutigen Wendepunkt dafür anzubieten, toxische Verhältnisse und damit verbundene sexuelle Hörigkeiten sind nicht mit den Eindeutigkeiten verbunden, die wir uns vielleicht wünschen würden, um für uns die Sache erklärt zu bekommen.
Das liegt nicht daran, dass die Reflexion des Ganzen, wenigstens in kleinen Ansätzen, hier sehr nachvollziehbar der beteiligten Frau vorbehalten ist. Der Reinliche ist, wie so oft die Kerle in solchen Geschichten, neben seiner gewaltgesteuerten Raffinesse, vor allem reichlich blöd, nachgerade dämlich. Die Autorin erzählt von dieser Dämlichkeit jedoch lückenlos unempathisch, sie entschuldigt damit nichts. Doch was wir aus dem wirklich kunstvoll ausbalancierten Text mitnehmen, ist die Erkenntnis, dass Gewalt sich mit nahezu ekelerregender Präzision entfaltet. Dass sie gut funktioniert, wissen wir seit Jan Philipp Reemtsmas Forschungsarbeiten zur Gewalt. Wie man von ihr und ihrer Komplexität angemessen erzählen kann, belegt, sehr beeindruckend, dieses übrigens untadelig übersetzte Buch. STEPHAN OPITZ
Lina Wolff: "Der Teufelsgriff". Roman
Aus dem Schwedischen von Stefan Pluschkat. Rowohlt Verlag, Hamburg 2024. 256 S., geb.
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