Besprechung vom 15.10.2024
Eine phantastische Geschichte
Die Biographie über Xabi Alonso gewinnt ihren Unterhaltungswert aus den Abenteuern, die er erlebt hat.
Der Blick auf die beiden Autorennamen, die in diesem Herbst eine klaffende Lücke im Fußballbücher-Markt geschlossen haben, löst zunächst einmal Erstaunen aus. Der Franzose Cyril Collot und der Italiener Luca Caioli legen eine Biographie über Xabi Alonso vor, der in Spanien, England und Deutschland große Fußballerfolge feiern konnte. Man kann sich fragen, woher die Nähe der Autoren zu diesem ehemaligen Fußballprofi, zu dem Erfolgstrainer und dem Menschen Xabi Alonso kommen soll. Keiner der Autoren hat Alonso längere Zeit eng begleitet, gründliche Gespräche geführt oder große Recherchereisen unternommen. Und dennoch erzählen Collot und Caioli in "Xabi Alonso. Charismatisches Genie" eine fesselnde Geschichte. Weil das Leben des spanischen Welt- und Europameisters, der im Mai als junger Trainer Bayer Leverkusen zum deutschen Meistertitel führte, einen phantastischen Stoff liefert. Und weil die Autoren gar nicht erst versuchen, ihr Werk mit irgendwelchen kunstvollen Schnörkeln oder literarischen Kniffen zu verzieren. Sie erzählen einfach Alonsos Leben nach.
In ähnlichen Verfahren haben sie schon andere Sportlerbiographien verfasst, aber im Fall von Xabier Alonso Olano, der die Öffentlichkeit jenseits seines Arbeitsalltages bei Bayer Leverkusen kaum an sich heranlässt, gibt es derzeit kaum eine bessere Art, diesen Mann kennenzulernen. Der ehemalige Weltklassefußballer, der nach seiner unglaublichen Meistersaison in Leverkusen wohl schon jetzt als Weltklassetrainer gelten kann, ist eine Art Fußballglückskind. Aufgewachsen ist er als Sohn des ehemaligen Nationalspielers Periko Alonso, der bei der Weltmeisterschaft 1982 für Spanien spielte und gemeinsam mit Bernd Schuster sowie Diego Maradona unter dem deutschen Trainer Udo Lattek beim FC Barcelona im Einsatz war.
Später wurde Periko ebenfalls Trainer, tüftelte am Küchentisch zwischen Zetteln und Bleistiftnotizen an Taktiken. Xabi war gewissermaßen ab dem ersten Tag seines Lebens von niveauvollem und geistig durchdrungenem Fußball umgeben. Mit einer wahrlich außergewöhnlichen Beigabe: Trotz der Prominenz seines Vaters, der während der Kindheit und frühen Jugend seines begabten Sohnes unter anderem Real Sociedad trainierte, bewegte sich Xabi wie ein ganz normaler Junge durch San Sebastián und den lokalen Juniorenfußball.
Er kickte - übrigens gemeinsam mit seinem Freund Mikel Arteta, der heute den FC Arsenal trainiert - am Strand in der Bucht von La Concha in San Sebastián. Er spielte für Provinzklubs wie die Talentschmiede Antiguoko, die mit sehr einfachen Mitteln und Training am Strand erstaunlich viele Fußballprofis hervorgebracht hat. Mit dem Blick auf diese Kindheit wird ein Motiv eingeführt, das zu einem prägenden Element in Alonsos Biographie wird: Um sich auf die nächste Stufe zu entwickeln, war er immer knapp unterhalb jener Ebene unterwegs, wo ihn Ungeduld und ein größerer Ehrgeiz hätten hintreiben können.
Statt mithilfe der familiären Verbindungen zum Großklub Real Sociedad zu wechseln, blieb er bis zum Ende seiner Nachwuchszeit bei Antiguoko. Von dort ging er nach Liverpool, statt das Angebot von Real Madrid anzunehmen, wo Cristiano Ronaldo und Kaká gerade eine neue Ära begründen sollten. Als Trainer begann er bei der U 14 von Real Madrid, wechselte dann zur zweiten Mannschaft nach San Sebastián und von dort nach Leverkusen, obgleich jeweils auch andere Angebote von namhafteren Vereinen vorlagen. Er lebte mit seiner Frau, einer Kostümbildnerin, immer lieber unter Alltagsmenschen in den Innenstädten statt hinter einem hohen Zaun in irgendwelchen Nobelvierteln. Bodenständigkeit und Demut führen auf den Gipfel, lautet eine Kernbotschaft dieser Biographie, die ihren Unterhaltungswert aber aus den Abenteuern gewinnt, die Alonso erlebt hat.
Bei der WM 2010 zog er sich am Tag des Halbfinales durch einen Unfall mit einer Duschabtrennung eine tiefe Fleischwunde am Oberschenkel zu und ließ diese heimlich mit 14 Stichen vom Teamarzt nähen. Ohne dass Trainer Vicente del Bosque eingeweiht wurde, spielte er wenige Stunden später gegen Deutschland und zog ins Endspiel ein. Die Geschichte von diesem aberwitzigen Champions-League-Finale 2005, als Alonso mit Liverpool ein 0:3 gegen die AC Milan aufholte, ist auch nach 20 Jahren mitreißend. Man erfährt, dass Alonso Real Madrid aufgrund der komplexen Klubstrukturen während seiner Zeit dort gerne "Ministerium" nannte und dass Nationaltrainer del Bosque das Zusammenspiel Alonsos mit Busquets vom FC Barcelona damals als "Vereinigung der Seelen des spanischen Fußballs" beschrieb. Und selbstverständlich wird auch Alonsos Trainerkarriere mit dem Leverkusener Erfolgsjahr gründlich nacherzählt. Es ist zwar nur der öffentliche Xabi Alonso, den der Leser kennenlernt, aber der bietet auch als Protagonist einer Biographie ausgezeichnete Fußballunterhaltung. DANIEL THEWELEIT
Cyril Collot u. Luca Caioli:
Xabi Alonso. Charismatisches Genie.
Verlag Die Werkstatt, 240 Seiten
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