Eine ungewöhnliche, schillernde Frauenbiographie: Das erste Leben der späteren Verlegerin Inge Feltrinelli
Die junge Inge Schönthal stolpert eher in ihren Beruf als Fotografin, als dass sie ihn sich ausgesucht hat. Und doch ist es eine Fügung des Schicksals, als sie in Hamburg bei Rosmarie Pierer die Kamera zum ersten Mal in die Hand nimmt. Es klickt - und Inge stürzt sich fortan mit Mut, Ehrgeiz und Durchhaltevermögen in die männerdominierte Welt des Fotojournalismus der 1950er-Jahre. Mit ihrem Gespür für Motive und Menschen und einer großen Portion Abenteuerlust erobert sie in atemberaubendem Tempo die Konferenzräume großer Zeitschriften, sie reist für Fotoreportagen um die halbe Welt, verbringt auf Kuba Zeit mit Hemingway, porträtiert Picasso in Frankreich, erwischt Greta Garbo an einer Ampel in New York und hält in Hamburg Einzug in die intellektuellen Zirkel der pulsierenden Stadt. Bis eine folgenreiche Begegnung beim Verleger Heinrich Maria Ledig-Rowohlt mit dem italienischen Verleger und glühenden Kommunisten Giangiacomo Feltrinelli ihrem Leben eine andere Wendung gibt.
«Inge Feltrinelli war die letzte Königin der Verlagswelt». (FAZ)
«Wenn sie kam (meist orange gekleidet), ging ein Sonnenstrahlen von ihr aus. Die vor Lebenslust sprühende, die lustige und laute, schicke, unkonventionelle, charmante, exzentrische Inge». (Susanne Schüssler, Die Zeit)
«Inge Feltrinelli witzug, schnell, frivol wie immer». (Fritz J. Raddatz, Tagebücher)
Besprechung vom 12.10.2024
Sie war bestimmt kein kleines Häschen
Mit Hemingway in Kuba: Marco Meier erzählt von den frühen Lebensstationen der Verlegerin Inge Feltrinelli.
Von Anna Vollmer
Dass Inge Feltrinelli eine bewegte Biographie hatte, deutet sich schon dadurch an, dass Marco Meiers kurzweiliges Buch über die Verlegerin zwar nicht einmal die ersten dreißig Jahres ihres Lebens umfasst, aber annähernd vierhundert Seiten lang ist. Anschaulich erzählt er darin - man muss dem Verlag übrigens danken, nicht den italienischen Originaltitel "Ingemaus" beibehalten zu haben - von der Zeit, als Feltrinelli noch Schönthal hieß, in Deutschland lebte und als Fotografin und Reporterin arbeitete. Mit gerade einmal Anfang zwanzig reiste sie um die Welt und fotografierte einige der berühmtesten Menschen ihrer Zeit: Ernest Hemingway, Greta Garbo, später kamen Picasso, Audrey Hepburn und Simone de Beauvoir dazu. Da hatte sie ihren späteren Ehemann, den Verleger und Kommunisten Giangiacomo Feltrinelli, noch nicht kennengelernt und ihre Karriere als wohl bedeutendste europäische Verlegerin noch gar nicht begonnen.
Auch nach heutigen Standards wäre das ein beeindruckender Lebensweg, und Feltrinelli eine erfolgreiche Frau. Für die Fünfzigerjahre war diese Leistung aber geradezu spektakulär, auch deshalb, weil nichts an ihrer Herkunft auf einen solchen Werdegang hingedeutet hatte. Über die Frage, warum sie es dennoch schaffte, spekulierte Feltrinelli als junge Frau selbst. In den Notizen für ein nie verwirklichtes Buchprojekt mit dem Titel "Wie werde ich Reporterin?" schreibt sie: "Einige Leute behaupten, meine beruflichen und gesellschaftlichen Erfolge verdanke ich meinem Aussehen, meinem Charme und meiner Jugend." Daran mochte sie selbst allerdings nicht glauben. Denn sie kenne "hübschere, jüngere und charmantere Frauen, die brennend gern erleben möchten, was ich erlebt habe, und die es dennoch weder geschafft haben noch - nach meiner Schätzung - jemals schaffen werden. [...] Beziehungen? Gewiss, ich habe Beziehungen. Aber als ich anfing, hatte ich sie nicht".
Feltrinelli kam aus einer durchschnittlichen deutschen Familie. 1930 wird sie als Inge Schönthal in Essen geboren. Der Vater, ein Jude, ist in einem Unternehmen tätig, das Arbeitskleidung herstellt. Als 1935 die Nürnberger Gesetze erlassen werden, verdankt sie es vor allem ihrer nichtjüdischen Mutter, dass ihr Leben den Umständen entsprechend normal weitergeht - und die Familie am Ende den Holocaust überlebt. Trudel Schönthal ahnte, was die Zukunft bringen würde, weigerte sich, ihre Tochter auf eine jüdische Grundschule zu schicken, und kämpft so lange für ihr Anliegen, bis der Fall auf dem Schreibtisch des Reichsministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung liegt und ihre Tochter eine deutsche Schule besuchen darf. Ihrem Mann verschafft sie die Möglichkeit einer Ausreise in die Niederlande, von wo aus er weiter in die USA emigriert. Die Eltern lassen sich scheiden, und die Tochter wird ihren Vater erst viele Jahre später wiedersehen. Kurz darauf heiratet die Mutter einen Wehrmachtsoffizier, dessen Stellung die Familie zumindest eine Zeit lang davor bewahrt, genauer unter die Lupe genommen zu werden.
Diese Dinge erzählt Marco Meier recht flott, ohne auf die emotionalen Umstände, die all das mit sich gebracht haben muss, allzu ausführlich einzugehen. Zwar werden die Ängste der Familie erwähnt, doch liegt der Fokus eher auf dem Glück, dem Schlimmsten entkommen zu sein. Der Vater ist irgendwann weg und wird dann lange Zeit auch nicht mehr erwähnt. Feltrinelli, schreibt Meier an einer späteren Stelle, als er genauer auf Zweifel, Unsicherheiten und Verluste der jungen Frau eingeht, habe einen "hervorragenden Abwehrmechanismus" entwickelt, mit den schmerzhaftesten Momenten des Lebens fertig zu werden: "Wenn man sich nicht mehr erinnern will, muss man nur aufhören, sich zu erinnern."
Das passt zu einer Frau, die sich, so klingt es bei Meier, mit Niederlagen und Widrigkeiten nicht lange aufhält. Die, wenn überhaupt, nur kurz verzagt und neue Pläne macht, sobald ihr das alte Leben nicht mehr gefällt: "Sie hat keine Angst vor kühnen Taten, und sie hat keine Angst vor ihren eigenen Ideen." Ein Jahr vor dem Abitur bricht sie die Schule ab und trampt mit ihrem Fahrrad im Gepäck nach Hamburg. Innerhalb kürzester Zeit ist sie mit den wichtigsten Figuren der Presselandschaft bekannt. Schon drei Jahre später besucht sie Hemingway in Kuba, wohnt wochenlang bei ihm und seiner Frau und schießt ein paar der berühmtesten Aufnahmen des Autors.
Es ist bemerkenswert, dass Meier Inge Feltrinelli konsequent "Inge" oder "die junge Reporterin" nennt. Möglicherweise weil er darauf hinweisen möchte, wie viel Feltrinelli schon in jungen Jahren gelang. Aber auch wenn man dem Autor nicht vorwerfen kann, Feltrinellis Leistungen vor ihrer Verlagskarriere schmälern zu wollen - immerhin hat er ihnen ein ganzes Buch gewidmet -, drängt sich doch der Eindruck auf, er wolle stets das Mädchenhafte ihres Wesens betonen. So endet das Buch denn auch wie folgt: "Das Mädchen aus Göttingen ist endgültig verschwunden. Inge Feltrinelli tritt auf die Bühne." Als hätte man nur mit Ehemann Anrecht auf einen Nachnamen.
Ja, Feltrinelli war charmant und jung, am Anfang ihrer Karriere vielleicht auch ein bisschen naiv. Ab und an bekommt die "Constanze", die Zeitschrift, für die Feltrinelli hauptsächlich arbeitet, Post von Lesern, die sich über den oberflächlichen Ton ihrer Reportagen beschweren. Doch die Auszüge ihres geplanten Buchs und ihre Briefe illustrieren ihr Selbstbewusstsein - und den Wunsch, sich in der männerdominierten Pressewelt zu behaupten: "Ich bilde mir nicht ein, eine große Starreporterin zu sein. Aber ein kleines 'Häschen' bin ich auch nicht mehr." In einem Brief an ihren künftigen Ehemann heißt es: "All diese Männer, die dauernd etwas von mir wollen, mich besuchen, ständig anrufen, mich anflirten und anmachen. Nicht, daß ich mich nicht selber wehren könnte, oh, nein, ich kann das perfekt - fast so gut wie Madame de Staël, die das Talent besaß, Männer, die einmal in sie verliebt waren, zu Sklaven ihrer Freundschaft zu machen."
Gern hätte man ein bisschen mehr gelesen über die Atmosphäre jener Zeit und das Umfeld, in dem sich Feltrinelli bewegte. Zwar erwähnt Meier, in welch einer Aufbruchstimmung sich die Presselandschaft damals befand, welche Bedeutung dabei der Stadt Hamburg zufiel und dass Feltrinelli eine Ausnahmeerscheinung war. Doch gerade weil diese Rolle wohl auch sie selbst beschäftigte - in ihrem Buchentwurf hat sie ein Kapitel mit dem Titel "Ich als Frau" geplant -, wären mehr Einblicke und Vergleiche mit dem Leben anderer Frauen in dieser Zeit aufschlussreich gewesen.
Meier bezieht sich vor allem auf Tagebuchaufzeichnungen, Briefe und Texte. Darin findet sich auch Feltrinellis Antwort auf die Frage, warum ausgerechnet sie es zu solchem Ruhm brachte. Am Alter lag es nicht, glaubt sie, wohl aber an einer Eigenschaft, die gern mit Jugend in Verbindung gebracht wird: "Ich habe das Staunen nicht verlernt. Daran wird's liegen."
Marco Meier: "Inge Feltrinelli". Das erste Leben.
Aus dem Italienischen von Julika Brandestini und Verena von Koskull. Rowohlt Verlag, Hamburg 2024. 384 S., Abb., geb.
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