Kein Wohlfühl-Roman, aber nach meiner Ansicht ist es einer ihrer besten Bücher. Brillant geschrieben!
Vorweg: kein Wohlfühl-Roman, wird nicht mein Lieblingsbuch von Mareike Krügel werden, aber nach meiner Ansicht ist es eines ihrer besten Bücher:Martina, meist alleinerziehende Mutter von Annalena, nimmt in ihr geerbtes Haus auf dem Land Kasia und ihr Kind auf, nachdem die Ich-Erzählerin bei der Ablieferung ihrer Tochter im Kindergarten Danas Mutter in einem schlechten Zustand vorfindet. Sie erkennt in ihr eine Frau, die von ihrem Mann geschlagen wird, hakt jedoch nicht nach, entscheidet sich, zu helfen und zu urteilen, gefangen in eigenen Erfahrungen und einem kindlichen Trauma, das sie veranlasst, sich selbst zu verletzen und Befriedigung in passivem Sex zu suchen. Tod und Suizid ist ein latentes Thema in Martinas Betrachtung der Welt. Sie scheint nicht ihre eigene Sprache gefunden zu haben, zitiert lieber andere, und verweist auf Max Frisch' Tagebuch und den Gedanken, neue Räumen nach Selbsttötungsmöglichkeiten abzusuchen. "Es hatte mich beruhigt, schließlich war er [Frisch] ziemlich alt geworden. Und letztendlich war es nichts anders als auf Notausgänge zu achten."Ihre Selbstablehnung zieht sich durch jede Zeile des Romans und es fiel mir manchmal schwer, Martinas Gedankenwelt auszuhalten. Leider fand ich mich manchmal wieder.Wie die Protagonistin sich schilderte, den Blick auf sich selbst, ist so brillant erzählt, dass es mir schwerfiel, sie gern zu haben, was für mich normalerweise Voraussetzung ist, um einen Roman zu mögen. "Mein Körper ließ grundsätzlich alles über sich ergehen. Er war ein alter Recke, obwohl er erst dreißig Jahre alt war. In ihm war gelebt und gestorben worden, alle Eingänge waren zu Ausgängen geworden und umgekehrt ..."Auch wenn ich zu Anfang dachte, Martina habe keine eigene Sprache außer der Selbstverletzung, wird bald deutlich, welche das ist. Andere Rezipierenden haben es als Humor Mareike Krügels bezeichnet, der in den anderen Roman präsenter ist. Ich nenne es Martinas Sarkasmus, der messerscharf seziert, mit welchen Vorurteilen und aktiven Vorverurteilungen wir in einer patriarchalen, noch dazu einer konservativen Dorfgemeinschaft zu tun haben.Das Gefüge aus sozialen Strukturen, die alle miteinander verwoben sind, vor allem die männliche Gemeinschaft der Feuerwehr, ist realistisch bedrückend, Martinas Hilflosigkeit bis zuletzt erahnbar, das Ende als roter Faden in der Geschichte angelegt. Doch halt! Stopp! Am Ende ist die Protagonistin nicht (mehr) Opfer, sondern entscheidet selbst, findet den Weg nach draußen.Mein Resümee: erschütternd, wutmachend, brillant erzählt. Danke, liebe Mareike Krügel, für dieses Buch.