Eine bewegende Lebensgeschichte erzählt von der Tochter
1972 kommt der junge Ahmadjan aus Afghanistan nach Deutschland, um Künstler zu werden. Was folgt, ist eine bunte Irrfahrt; ein bewegtes Leben zwischen Kunst und Krieg, Heimat und Neuanfang, Flucht und Verantwortung, immer auf der Suche nach dem Glück.
Seine beeindruckende Biografie erzählt Ahmadjans Tochter Maren Amini in ihrer Graphic Novel entlang der alten persischen Sage der »Konferenz der Vögel« von Fariduddin Attar. Sie zeigt darin auch die Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Identität und der Geschichte Afganistans, einfühlsam, humorvoll und mit leichtem Strich.
Maren Aminis mit Spannung erwartetes Debüt »Ahmadjan und der Wiedehopf« wurde 2023 mit dem Comicbuchpreis der Berthold Leibinger Stiftung ausgezeichnet.
Besprechung vom 14.12.2024
Federleicht vom Schweren erzählen
West-östlicher Grenzgang in doppelter Hinsicht: Maren Amini zeichnet die Lebensgeschichte ihres Vaters
Nennen wir es das rechte Buch zu einer Zeit, von der sich erst noch herausstellen muss, ob sie uns zur rechten oder unrechten wird. Wie Syriens Zukunft aussieht, ist unsicher, aber um den Blick für Anzeichen des einen oder anderen zu stärken, taugt der Blick auf ein anderes Land, das in den letzten Jahrzehnten ähnlich bitter umkämpft war: Afghanistan. Und das eine ist wie das andere vor allem deshalb so sehr in den Fokus der hiesigen öffentlichen Aufmerksamkeit gelangt, weil die unmenschlichen Lebensbedingungen in den vielen Kriegs- und Umsturzjahren jeweils eine Massenflucht der Bewohner ausgelöst haben, die vor allem die unmittelbaren Nachbarstaaten belastet, aber auch viele Hunderttausende nach Deutschland gebracht hat. Einer von ihnen ist Ahmadjan Amini.
Er kam schon 1971, als damals achtzehnjähriger Kunststudent und somit freiwillig, nach Hamburg, kehrte sieben Jahre später in sein Heimatland zurück, doch angesichts des Bürgerkriegs und des russischen Einmarschs verließ er es 1980 wieder. Seitdem lebt er als Maler in Hamburg, engagiert sich für Hilfslieferungen und den Bau von Häusern und Schulen in Afghanistan, und er hat die Hoffnung auf eine abermalige Rückkehr nicht aufgegeben. Zum bislang letzten Mal zerstob sie durch den Wiederaufstieg der Taliban.
Amini ist mit einer Deutschen verheiratet, und 1983 kam seine Tochter Maren zur Welt. Sie ist eine der profiliertesten deutschen Cartoonistinnen geworden, im Ausland womöglich noch anerkannter als hierzulande, aber nun hat sie ein Buch gezeichnet, das ihren Namen in aller Munde bringen wird. Und den ihres Vaters, denn der steht schon im Titel: "Ahmadjan und der Wiedehopf". Ko- Autor des Bandes ist er auch, denn es enthält seine Geschichte, und einige seiner Bilder sind mit eingearbeitet, denn dieses Leben kann man ohne die Kunst nicht erzählen.
Es ist ein Comic und Maren Aminis erste Buchveröffentlichung dieser Art; vor einem Jahr gewannen sie und ihr Vater für das entstehende Werk mit dem Leibinger-Comicbuchpreis gleich die höchstdotierte deutsche Auszeichnung auf diesem Feld. Das hatte mit dem Thema zu tun, aber mehr noch mit der Form, die Maren Amini ihm gegeben hat: eine ohne Panel-Umrahmungen und somit so offen wie das Schicksal ihres Vaters gezeichnete Mischung aus Schelmengeschichte und Tragödie, die stilistisch ans Vorbild von Maren Aminis großer grafischer Liebe anknüpft, an die Figuren und Bildkompositionen des vor zwei Jahren gestorbenen Jean-Jacques Sempé.
Der verstand es meisterhaft, mit federleichtem Strich die schwersten Lebenssituationen darzustellen (und damit leicht zu machen), aber er beschränkte sich dabei auf Frankreich und New York. Maren Amini gelingt es nun, Sempés erzwestliches Cartoonverständnis mit jenen orientalischen Einflüssen zu verbinden, die ihren Vater geprägt haben: die Handwerkstradition seiner Vorfahren und die persische Literatur, besonders in Gestalt des mystischen Versepos "Die Konferenz der Vögel", das Fariduddin Attar vor mehr als achthundert Jahren geschrieben hat. Ihm verdankt sich die zweite Hälfte des Titels, der Wiedehopf - aus dem Klassiker als gewitzte Figur entnommen, wird das Tier zum regelmäßigen Kommentator und Ratgeber auf Ahmadjans Lebensweg, und für seine Darstellung hat Woodstock aus den "Peanuts" Pate gestanden, obwohl Maren Aminis kleiner gelber Vogel viel beredter ist. Doch die Zentralperspektive bleibt die von Ahmadjan, den wir von Kindesbeinen an begleiten: ins Pandschirtal und in die Weiten der afghanischen Bergwelt, die in hinreißenden Aquarellhintergründen mit der schwarz-weiß getuschten Hauptfigur kontrastiert, ins Kabul der frühen Siebzigerjahre, wo westliche Touristen den jungen Mann befremden, ins alternative Künstlermilieu Hamburgs, das noch viel befremdlicher erscheint, und dann bis zu einer Begegnung mit dem später unmittelbar vor den Attentaten vom 11. September 2001 ermordeten Mudschahedin-Anführer Ahmad Schah Massoud, den Ahmadjan bei der Überbringung einer Geldspende kennenlernt. Von ihm bekommt er den Rat: "Wenn du helfen möchtest, dann geh in dein Dorf zurück und schau aus dem Fenster. Da wirst du sehen, was zu tun ist."
Heute ist Ahmadjan Aminis Dorf erzwungenermaßen Hamburg, aber der Band hat trotz seines Themas nichts Bitteres, er steckt voller Liebe für Afghanistan. Und voller Selbstironie beider Autoren, auch seitens Maren Aminis, die sich anlässlich ihrer Geburt in einer bezeichnenden Vogelrolle aus Fariduddin Attars Buch porträtiert: als Pfau. Aber sie ist gar nicht eitel. Ihren ersten Comic stellt sie ganz ins Zeichen des Vaters. ANDREAS PLATTHAUS
Maren und Ahmadjan Amini: "Ahmadjan und der Wiedehopf". Mit Auszügen aus: 'Die Konferenz der Vögel' von Fariduddin Attar.
Carlsen Verlag,
Hamburg 2024. 240 S., Abb., geb.
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