Ein Buch wie in Stein gemeißelt, mehr als eine Dystopie, eine nachdrückliche Warnung, eine Rede, eine Aufforderung zum Denken und Handeln, das Lied des Propheten. Parallelen lassen sich zu Krisensituationen, Gewalt, Terror, Totalitarismus ziehen und es zeigt sich, die Möglichkeit der Eskalation ist in jedem Land gegeben, hier treffen wir auf Irland als den Terrorstaat, vom Ausland aus der Ferne betrachtet.
Die grandiose, märchenhafte, poetische Sprache Paul Lynchs lässt den Roman fast wie ein Werk aus der Antike erscheinen, ein Epos, das den Menschen an sich in das Zentrum stellt, das sich mit dem Wesen von Gemeinschaft, Gesellschaft und kulturellen Errungenschaften auseinandersetzt. Die Sprache ist ein wahrer Genuss, voller Anmut und Schönheit, Parallelen zum Alten Testament werden deutlich. Aber welche biblischen Plagen und Katastrophen werden hier beschrieben!
Die Ausgangslage, die Normalität, verwandelt sich im Laufe des Romans in den Ausnahmezustand, die Grausamkeit der Situation und die immer beängstigender werdende Atmosphäre im Land werden extrem intensiv dargestellt, sie sind körperlich spürbar und das ohne exzessive Darstellungen von Gewalt oder blutigem Gemetzel.
In der Rolle Eilishs, der Protagonistin, erleben wir die schleichende Umwandlung eines demokratischen Staates in eine faschistische Diktatur, in einen Unrechtsstaat, der sich Spitzeln und einer bewaffneten Miliz bedient und seine Bürger einschüchtert, quält und erpresst, sobald sie sich nicht an seine Regeln halten. Eilish, deren Ehemann Larry von der Geheimpolizei festgenommen wird, mit der wir uns identifizieren, glaubt zu Beginn an die Vernunft und das Positive im Menschen, aber schnell ist sie von der Situation überfordert und verdrängt die erschreckende Realität. Sie ist jedermann, Stellvertreterin für den Glauben an Humanismus, das Wahre, das Gute und die Vernunft.
Eilish finds herself, wishing for a stop to spring, for the days decrease, for the trees to go blind again, for the flowers to be taken back into the earth, for the world to be glassed to winter.
Mark, ihr 16-jähriger Sohn dagegen, ist schon realistischer, er hat sich den oppositionellen Jugendlichen angeschlossen, die gegen das neue Regime protestieren und kämpfen wollen: They hunted us down, everything has changed now, dont you see, there can be no going back.
Die persönliche Frage steht nicht im Vordergrund, wie man sich in welcher Situation entscheiden würde, sondern es geht um die Allgemeingültigkeit der Schrecken des Krieges, die vielen Einzelschicksale, die ständigen Entscheidungen, die es zu treffen gibt. Es gibt kein richtig oder falsch mehr für den Einzelnen, nicht jede Entscheidung kann revidiert oder bewertet werden, es ist einfach der totale Ausnahmezustand, aus seinem vorherigen Leben ist man nicht für diese Situation gewappnet. Der Fall der Familie ist kein Einzelschicksal. Angst vor Veränderung, Angst vor Verlust, Hoffnung, Erstarrung, Flucht, Panik all diese Gefühlsregungen werden von den unterschiedlichen Figuren in unterschiedlichem Ausmaß durchlebt und man richtet sich in dem Schrecken ein und der Mensch gewöhnt sich an den neuen Status Quo.
Eine der Hauptaussagen des Romans ist im letzten Kapitel enthalten, diese schreckliche Tatsache, dieses Nebeneinander von Normalität in dem einen Land und Krieg in dem anderen, diese disparaten Lebenswelten, der pure Antagonismus. Das Glück, auf der einen Seite oder anderen Seite der Welt zu wohnen, das unverschämte Glück, im Paradies oder das Unglück, in der Hölle zu leben
Paul Lynchs Werk hat zu Recht den Booker-Prize gewonnen und es wird neben Orwells 1984, Atwoods Handmaids Tale und Kafkas Prozess seinen Platz einnehmen.