Ursprünglich ein Eintreibelied von Hirten zu milchwirtschaftlichen Zwecken, avanciert der Schweizer Kuhreihen (Ranz des vaches) in den Jahrzehnten um 1800 zum intellektuellen Anschauungsobjekt in Medizin und Ästhetik. In der Folge sind auch Dichter und Komponisten fasziniert von seiner Wirkung, und er hat Teil an einem neuen Musikverständnis, das in den ambitioniertesten Formulierungen der romantischen Kunstmusik Ausdruck findet.In methodisch ungewöhnlicher Zusammenführung literarischer und musikalischer Analysen rekonstruiert Rafael Rennicke die Geschichte des neuzeitlichen Nachdenkens über die Macht der Musik, Erinnerungen und Heimweh zu wecken. Sie nimmt ihren Ausgang von Rousseaus Diskussion des Kuhreihens im Dictionnaire de musique und hat ihre wichtigsten Protagonisten im Dichter Senancour und den Komponisten Persuis, Rossini und Liszt, die als Erinnerungspoeten die im Hören erlebte Wirkung unwillkürlicher Erinnerung mit einem neuen Effektbewusstsein willkürlich herstellen.Ihren Höhepunkt erreicht die Geschichte romantischer Kuhreihen-Rezeption im Werk von Berlioz. Rennickes Neudeutung der Scène aux champs zeigt, warum dieser zentrale Satz der epochalen Symphonie fantastique mit einem Ranz des vaches eröffnet und schließt und als Musterfall einer Musik mit Erinnerungswirkung auch Eingang findet in den Grand traité d'instrumentation: Berlioz verknüpft ihn dort unmittelbar mit der Begründung einer musikalischen Erinnerungspoetik der Moderne.Ausgezeichnet mit dem Jacques-Handschin-Preis 2020 der Schweizerischen Musikforschenden Gesellschaft.
Jetzt reinlesen:
Inhaltsverzeichnis(pdf)