Deutschsprachige Lehrbücher der Botanik gibt es nicht viele und wenn man Botanik studiert, kommt man ganz sicher am "Klassiker" Strasburger mit fast 130jähriger Tradition nicht vorbei. Dieser ist und bleibt jedoch zwar für einschlägige Wissenschaftler unverzichtbar, ist und bleibt aber auch in großem Maße höchst wissenschaftlich, sehr umfassend und nur mit Schwarz-Weiß-Grafiken untersetzt. Außerdem umfasst dieses Werk die gesamte Botanik einschließlich Zellkunde, Stoffwechsel etc. Alles das braucht man zumeist nicht, möchte man sich fundierte Kenntnisse über die Gliederung des Pflanzenreichs aneignen und mit den Merkmalen der verschiedenen Pflanzen vertraut machen und diese sicher bestimmen. Für letzteren Zweck gibt es in vielen Ländern ausgezeichnete Exkursionsfloren, in denen der Exkurs in die Merkmale der einzelnen Pflanzenfamilien und allgemeine feldbotanische Kenntnisse immer eher kurz ausfällt.
Nun gibt es seit wenigen Jahren und soeben in 2. Auflage umfassend aktualisiert dieses wunderbare Buch zur Feldbotanik einheimischer Pflanzen des Schweizer Haupt-Verlages. Übersichtlich und logisch gegliedert, mit sehr guten Grafiken und Zeichnungen zu den verschiedenen Merkmalen und hervorragenden Fotos untersetzt wird ein Überblick über die bedeutendsten Familien und Gattungen der Höheren Pflanzen gegeben, der einfach fasziniert! Schon beim ersten Aufschlagen des Buches und ein erstes Blättern war ich begeistert und musste feststellen, dass es so etwas bisher nicht vergleichbar gab und dies bis zum Erscheinen der 1. Auflage 2018 im deutschsprachigen Raum völlig fehlte.
Es macht Spaß, auch als erfahrener Botaniker in diesem Buch nachzulesen, auch wenn man selbst (fast) alles weiß, und man kann dennoch auch noch neues lernen oder in Vergessenheit geratenes Wissen wieder auffrischen. Und wenn man sich das Buch unter dem Gesichtspunkt anschaut, dass man sich als unerfahrener oder noch lernender Berufs- wie Hobbybotaniker fundiertes botanisches Wissen aneignen will, kann man nur sagen, dass das mit diesem Buch ausgezeichnet gelingen kann. Der promovierten Biologin Rita Lüder ist hier gemeinsam mit dem Haupt-Verlag gelungen, Grundlagen der Feldbotaniker in höchstem Maße anschaulich und in Layout und Gestaltung sehr ansprechend zu vermitteln. Das Buch ist sehr modern gestaltet und mit vielen grafischen und farblichen Hilfsmitteln ausgestattet. Mit fast 900 Seiten ist es auch kein Taschenbuch für unterwegs, sondern ein "richtiges" und gewichtiges Lehrbuch für zu Hause. Es ist zugleich Lehrbuch für den Prüfungsstoff im Bereich Feldbotanik der in der BANU vereinigten, deutschen Naturschutz-Bildungseinrichtungen als auch vergleichbarer Schweizer Organisationen.
Auf den ersten 20 Seiten werden knapp, aber anschaulich einige der wichtigsten fachlichen Grundlagen der Botanik von Aufbau und Lebensformen der Pflanzen über die verschiedenen Organe der Pflanzen bis hin zu den Themen Naturschutz, Höhenstufen, Zeigerwerten, Lebensgemeinschaften sowie Systematik und Nomenklatur, Pflanzensystematik, Evolution und Stammbaum abgehandelt, kompakter geht das nicht.
Danach folgt der umfangreiche Hauptteil, in dem angefangen von den Bärlappgewächsen über Schachtelhalme und Farne bis zu den umfangreichsten Gruppen der Nackt- und Bedecktsamer alle (bedeutendsten) Pflanzenfamilien und Gattungen mit eindrucksvollen Grafiken, Zeichnungen und Fotos vorgestellt werden. Dies mündet jeweils in Portraits ausgewählter Arten, immerhin 800 sind es insgesamt im Buch. Auf jeder systematischen Ebene werden wichtige Merkmale anhand von Grafiken bezeichnet und immer anhand von in Fotos gegenübergestellten Beispielen Verwechslungsmöglichkeiten mit anderen Gattungen, Familien oder Arten aufgezeigt. Genial! So etwas hat es noch nicht gegeben und schöner und anschaulicher lässt sich Botanik nicht vermitteln.
Auf zitierte Quellen wird im Text bewusst verzichtet, im Anhang findet sich ein Verzeichnis weiterführender Literatur. Bei Nomenklatur und Systematik wurden die einschlägigen Werke der letzten 5 Jahre zugrunde gelegt. Bei den ständigen Veränderungen, die v.a. aufgrund aktueller molekulargenetischer Erkenntnisse zu verfolgen sind, fällt es einem ja selbst als gestandenem Botaniker schwer, immer auf dem neuesten Stand zu sein. Von daher dürfte sich auch die Kritik von selbsternannten "Perfektwissenschaftlern" diesbezüglich in Grenzen halten. Man muss nicht immer den neuesten Namen einer Pflanze kennen, man muss sie richtig erkennen!
Verlag und Autorin kann zu diesem ausgezeichnet gelungenem wie lehrreichem Buch nur gratuliert werden und man kann sich nur eine weite Verbreitung des Buches wünschen. Es ist jeden Cent des Anschaffungspreises wert. Übrigens ist die begleitende App "Feldbotanik-Artentrainer" im App-Store für 24,99 € erhältlich.
Frank Zimmermann