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Müll

Eine schmutzige Geschichte der Menschheit

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Mensch und Müll - das ist eine lange und innige Beziehung. Bereits die Neandertaler haben Dinge für nutzlos befunden, aussortiert und weggeworfen. Das alte Rom kämpfte ebenso mit Müllproblemen wie die Metropolen des 19. Jahrhunderts. Doch alles verblasst hinter den Abfallbergen der Gegenwart. Anhand der Produktion von und dem Umgang mit Müll schreibt Roman Köster eine erhellende Geschichte unserer Spezies und zeigt, wie sich das Leben mit dem Abfall von der Sesshaftwerdung bis heute verändert. Sein Buch bietet die erste durchgehend schmutzige Geschichte der Menschheit, denn weggeworfen wird immer.

In der Vormoderne waren Abfälle vor allem ein praktisches Problem. Sie lagen herum, rochen schlecht und behinderten den Verkehr. Im Zuge des starken und weltweiten Städtewachstums seit dem späten 18. Jahrhundert stieg die Aufmerksamkeit für durch Abfälle erzeugte hygienische Probleme, die die Ausbreitung von Typhus oder Cholera begünstigten. Heute hingegen ist der Müll von einer Frage städtischer Sauberkeit zu einem globalen Umweltproblem geworden. In seiner Globalgeschichte des Mülls von der Frühgeschichte bis heute geht Roman Köster den Ursachen dieser Entwicklungen nach und zeigt, wie sich das Wegwerfen, Entsorgen und Wiederverwerten im Lauf der Geschichte verändert hat. Denn der Müll und der Versuch, ihn zu beseitigen, prägten das Gesicht der Siedlungen und Städte sowie das Leben ihrer Bewohner - von der Steinzeit bis heute.

  • Weggeworfen wird immer
  • Leben mit Müll - von der Sesshaftwerdung bis heute
  • Wie der Umgang mit Abfall das Gesicht der Siedlungen und Städte prägte - und das Leben ihrer Bewohner
  • Eine Geschichte des Wegwerfens, Entsorgens und Recyclens
  • Von den Abfallproblemen alter Städte zu den Müllbergen der Gegenwart
  • Vorgeschichte und Ursachen der aktuellen Umweltprobleme

Inhaltsverzeichnis

Einleitung


I. Vormoderne
1. Frühgeschichte: Erste Erfahrungen mit dem Müll
2. Die Stadt: Ungesunder Ort und Evolutionsbeschleunigerin
3. Vom schwierigen und nützlichen Zusammenlebe mit Tieren in der Stadt
4. Das Diktat der Knappheit: Recycling in der Vormoderne
5. Exkurs: Hygiene eine saubere Geschichte?

II. Industriezeitalter
6. Die zweite Revolution: Industrialisierung und ihre Folgen
7. Die Erfindung der Müllabfuhr
8. Koloniale Städtehygiene: Macht und Modernisierung
9. Globale Kreisläufe: Recycling im Industriezeitalter

III. Massenkonsum
10. Die Entstehung der Wegwerfgesellschaft
11. Mülltonnen und «Männerstolz»: Die moderne Müllabfuhr
12. Beseitigen, entsorgen, behandeln, vergraben, verbrennen
13. Arm und reich: Recycling als Politik und Überlebensstrategie

Epilog: Ins Meer


Anmerkungen
Literaturverzeichnis
Abbildungsnachweis
Sachregister

Produktdetails

Erscheinungsdatum
31. Mai 2024
Sprache
deutsch
Auflage
2. Auflage
Seitenanzahl
422
Autor/Autorin
Roman Köster
Verlag/Hersteller
Produktart
gebunden
Abbildungen
mit 40 Abbildungen
Gewicht
674 g
Größe (L/B/H)
216/145/37 mm
ISBN
9783406805806

Portrait

Roman Köster

Roman Köster ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften und hat sich über die deutsche Abfallwirtschaft nach dem Zweiten Weltkrieg habilitiert.

Pressestimmen

Roman Kösters Buch trifft den Nerv der Zeit.
Süddeutsche Zeitung, Lea Hampel

Exzellentes Buch
Frankfurter Allgemeine Zeitung, Kai Spanke

"Das ideale Medium für verdrängte Themen, die kaum stattfinden. In Zivilisationsgeschichten wie Roman Kösters Müll. Eine schmutzige Geschichte der Menschheit` zeigt jedes gute Sachbuch, was es nicht ist - eine Fernsehreportage, die einen mit ihren Bildern plump überwältigt.
DIE WELT, Marc Reichwein

[Köster] beschreibt in seinem Buch die lange und innige Beziehung zwischen Mensch und Müll. Er zeigt auf, wie bereits die Neandertaler Sachen weggeworfen haben. Er beschreibt, warum die meisten archäologischen Funde Abfall sind. Und er erklärt, weshalb all das verblasst hinter den Abfallbergen der Gegenwart.
NZZ, Florian Schoop

"Ein erhellendes Buch, das drastisch vor Augen führt, wie sehr unser Alltag und unsere Lebensweise untrennbar mit Abfall verbunden sind.
Der Standard, Klaus Taschwer

Allerhand Wissenswertes Liest sich mit Gewinn Dass es dabei ohne übertriebenen Appellcharakter zugeht, zeugt von einem Problembewusstsein, das Handlungsbedarf nicht mit Aktionismus verwechselt.
Der Tagesspiegel, Maximilian Mengeringhaus

Köster erzählt so locker, dass man ihm gern folgt. Er hat nichts unter den Tisch fallen lassen. Speiserückstände, das Meer als Deponie und der Massenkonsum der Wegwerfgesellschaft kommen vor. Dabei gelingt es ihm immer wieder, die Sache anschaulich zu machen.
Redaktionsnetzwerk Deutschland, Ronald Meyer-Arlt

"Eine kluge schmutzige Geschichte der Menschheit.

Die Presse, Anne-Catherine Simon

Eine riesige und bewundernswerte Arbeit ... diese Globalgeschichte des Mülls liefert nicht nur ein umfassendes Bild historischer Entwicklungen, sondern zugleich Handreichungen für die einschlägige Systemanalyse unserer Gegenwart.
SWR2 Buchkritik, Eberhard Falcke

Wir reden gern vom Müllhaufen der Geschichte`, auf den Überkommenes, Veraltetes geworfen gehört. Dass der Müllhaufen selbst eine Geschichte hat, eine weit zurückreichende und oft übelriechende zumal, davon berichtet der Historiker Roman Köster in seinem Buch.
Bayern2 Kulturwelt, Knut Cordsen

Köster möchte die Wurzeln unserer gegenwärtigen Müllprobleme, die dramatischer kaum sein könnten, freilegen.
börsenblatt, Matthias Glatthor

Müll ist unsere einzige wachsende Ressource.
Hollis Dole, Unterstaatssekretär des US-Innenministeriums, 1969

Wie umfassend der Blick des Forschers ist, zeigt sich bei der Lektüre Immer wieder räumt Köster mit Stereotypen auf.
Neue Zürcher Zeitung, Valeria Heintges

Ein toller Text über unsere Beziehung zu allen Formen des Abfalls und über den Wert und das nicht so werte dessen, was wir unaufhörlich produzieren und wegwerfen.
BR Jazz & Politik, Lukas Hammerstein

Müll ist nach wie vor ein hochkomplexes Problem, das immer wieder neuer Ideen bedarf. Apokalyptisch ist es nicht, wie dieses sehr lesenswerte Buch eindrücklich vermittelt.
spektrum.de, Hans-Martin Schönherr-Mann

Wer die Geschichte der Menschheit wirklich verstehen will, muss auch durch den von ihr produzierten Unrat durch. Ein erhellender Überblick.
Kleine Zeitung, Martin Gasser

Wer wir sind, zeigt sich besonders daran, was und wie wir wegwerfen. Der Blick in die Tonne verrät eben mehr über uns, als uns manchmal lieb ist.
ZEIT ONLINE, Claas Oberstadt

Die Stärke dieser überaus fundierten Globalgeschichte des Mülls ist dabei nicht thesenhafte Zuspitzung, sondern die differenzierte Problematisierung von vermeintlich Naheliegendem.
Philosophie Magazin, Ronald Düker

Ohne Zweifel wichtiger Beitrag zur ,garbology'.
Journal für Kunstgeschichte, Peter Krieger

Roman Köster zeigt, wie Müll im Laufe der Geschichte zum Katalysator für sozialen Wandel, technologische Innovationen und kulturelle Veränderungen wurde.
Handelsblatt

Besprechung vom 14.10.2023

Die Vermüllung der Welt

Was der Konsum übrig lässt: Roman Köster erzählt die Geschichte des Abfalls von der Vormoderne bis heute. Dabei beschreibt er nicht nur, was Menschen jeweils als dreckig empfanden, sondern auch, wie unsere Hinterlassenschaften von einem häuslichen zu einem globalen Problem wurden.

Von Kai Spanke

Von Kai Spanke

Kurz vor Beginn des Zweiten Weltkriegs unternahm Aldous Huxley einen Strandspaziergang mit Thomas Mann in Santa Monica. Während sich die beiden über Shakespeare austauschten, bemerkten sie, dass der Sand mit kleinen weißlichen Objekten übersät war. Man mochte, so Huxley, an tote Raupen denken, doch ein zweiter Blick offenbarte, dass es sich um Millionen benutzter Kondome handelte - vom Abflussrohr am Hyperion Beach in Richtung Ozean gespült. Viele Einwohner von Los Angeles entsorgten die Präservative offensichtlich in der Toilette, nicht im Hausmüll. Über die Motive lässt sich nur spekulieren, allerdings liegt die Vermutung nahe, es könnte darum gegangen sein, die Spuren des Akts zu beseitigen.

Roman Köster erzählt diese Anekdote in seiner Abhandlung über die Geschichte des Mülls. Sie zeigt, dass Plastik im und am Meer schon ein Problem darstellte, bevor computergesteuerte Produktionstechniken, Massenmedien und die Werbeindustrie die Kommerzialisierung des Konsums auf das heute vertraute Niveau brachten. Von den Fünfzigerjahren an verschärfte sich die Misere zusehends. Der Archäologe Thor Heyerdahl wies 1969 darauf hin, dass im Pazifik immer mehr Plastik herumschwimme. Wenig später fand der Biologe Theodore Merrell Plastik an den Stränden unbewohnter Inseln in der Nähe von Hawaii. Anschließend zeigte sich, dass der Kunststoff eine weite Reise hinter sich hatte, denn ins Wasser gelangt war er an der japanischen Küste.

Das Meer ist eine beliebte Müllhalde. Die Briten entsorgten den radioaktiven Abfall ihrer Atomkraftwerke in der Irischen See, die Sowjetunion nutzte die Arktische See als Deponie ihres Unrats. "Zu 60 Prozent ist der Müll im Meer jedoch Mismanaged Waste", so Köster, "also Müll, der nicht richtig eingesammelt und entsorgt wird." Auf der Oberfläche des Plastiks sammeln sich Bakterien, die es zersetzen und absinken lassen. Die Reaktionen darauf - von Politikern und der Öffentlichkeit - sind meistens absehbar und illustrieren, dass Müll heute besonders in seiner Rolle als Umweltverschmutzer wahrgenommen wird. Das versteht sich nicht von selbst. Kehricht hat zwar zu allen Zeiten Probleme erzeugt; die jedoch waren unterschiedlicher Art und abhängig vom historischen Moment.

In der Vormoderne führte Abfall vor allem zu praktischen Schwierigkeiten sesshafter Menschen. Es ist etwas anderes, ob man Dinge wegwirft und weiterzieht oder ob man mit den eigenen Hinterlassenschaften lebt. Fäkalien, Essensreste, kaputtes Werkzeug oder Asche wurden mithin von dem Moment an zu einem Störfaktor, da sich erste Siedlungen etablierten. Neolithische Dörfer waren Archäologen zufolge regelrecht vollgemüllt. Das dürfte verschiedene Tiere angelockt haben, die wiederum potentielle Krankheitsüberträger gewesen sind. So wird auch ersichtlich, warum die Bevölkerung nach der Sesshaftwerdung nur langsam gewachsen ist, obwohl die neue Lebensweise den Alltag erleichterte. Keime und Epidemien sind schuld. "Erst als die Menschen zunehmend Resistenzen gegen häufig vorkommende Krankheiten ausbildeten, stieg die Bevölkerungszahl dauerhaft an."

Der Geograph William E. Doolittle vermutet, schon frühzeitliche Menschen könnten gelernt haben, dass Fäkalien und Küchenabfälle das Pflanzenwachstum befördern. Ist also der Garten als wichtige kulturelle Schöpfung nur entstanden, weil man die eigenen Exkremente hinters Haus gekippt hat? Möglich, Belege dafür gibt es aber keine. Sehr wohl gesichert ist, dass an vielen Orten der Vormoderne die vom Müll ausgelösten Kalamitäten ernst genommen wurden. Uruk, die größte Stadt Mesopotamiens, verfügte über ein Kanalsystem, die Maya hatten Plätze für organischen Unrat, im altägyptischen Herakleopolis wurden etwa 2170 vor unserer Zeit die Abfälle der Eliten in den Nil gekippt, Troja besaß einige Hundert Jahre später eine Art Mülldeponie.

Dem zum Klischee gewordenen Hinweis, vormoderne Städter hätten ihren Müll einfach aus dem Fenster befördert, begegnet Köster mit Argwohn. Angesichts der umfassenden von ihm ausgewerteten Forschung ist das verständlich, denn Entsorgungslösungen, so die Diagnose, wurden allenthalben gesucht und oft genug auch gefunden. Dass die Stadt dabei im Mittelpunkt steht, obwohl der Urbanisierungsgrad in der Vormoderne niedrig war, ist kein Hinweis auf einen Kurzschluss, sondern dem Umstand geschuldet, dass Müll im ländlichen Raum in einem weit geringeren Maße zur Herausforderung wurde. Der Autor erweist sich als ausgesprochen kundig auf den Gebieten der Stadtgeographie, -planung und -ökologie: "Es war insgesamt das Zusammenspiel von Klima, Topographie, Bevölkerungsdichte, baulicher Gestaltung, Wirtschaftsstruktur und Außenbeziehungen, die bestimmten, wie dringend Lösungsstrategien für urbane Abfälle gefunden werden mussten."

Müll in der Vormoderne war nicht das, was heute in die Tonne wandern würde. Tatsächlich handelte es sich in erster Linie um menschliche und tierische Fäkalien. Die Trennung von Exkrementen, Abwässern und festen Stoffen setzte sich erst im neunzehnten Jahrhundert durch, wobei etwa in Florenz und Bologna schon während der Frühen Neuzeit zwischen nassen und trockenen Senkgruben unterschieden wurde. In Rom nutzte man die hügelige Topographie, um über die Cloaca Maxima Abwässer in den Tiber abzuschwemmen.

Solche Praktiken beförderten vom späten achtzehnten Jahrhundert an zunehmend das Bewusstsein für Hygiene und Krankheiten wie Typhus oder Cholera, an deren Stelle später übrigens von belasteten Böden und Gewässern ausgelöster Krebs als "genuine Krankheit des Umweltzeitalters" treten wird. Um 1900 gab es dreizehn angelsächsische, elf deutsche, sechs italienische, fünf belgische und vier russische Zeitschriften, die sich in erster Linie mit Aspekten der Städtehygiene auseinandersetzten.

Die Bakteriologie war bald zur Stelle und präsentierte im ausgehenden neunzehnten Jahrhundert schlagende Argumente für die Bedeutung pathogener Keime. Damit schien sie die Vermutung zu bekräftigen, die "Städtehygieniker ohnehin von den unteren sozialen Schichten hatten, und sie bestärkte das Gefühl moralischer Überlegenheit, das sich im 20. Jahrhundert immer wieder zu rassistischer Eugenik steigern sollte". Im Übrigen ließe sich Städtehygiene durchaus als "koloniales Projekt" verstehen: "Sicher war es eine praktikable Unterwerfungsstrategie, Chinesen oder Inder als schmutzig zu portraitieren und aus den daraus resultierenden zivilisatorischen Unterschieden das Recht abzuleiten, über fremde Völker zu herrschen." Zur Wahrheit gehört gleichwohl auch, dass "imperialistisch bedrängte Gesellschaften" hygienische Ideale adaptierten.

Jedenfalls hat die Bakteriologie gelehrt, dass von Abfallhaufen, Ungeziefer und Dung Gefahr ausgeht. Unter anderem deswegen sind Tiere langsam aus urbanen Regionen verschwunden. Für städtische Transporte waren Pferde lange unerlässlich, aber ein ausgewachsenes Exemplar produziert zwanzig bis vierzig Kilogramm Fäkalien am Tag. Die Fliegenplage war da nur eine Frage der Zeit. Daher überstieg in New York schon 1912 die Zahl der Autos die der Pferde. Das allerdings lässt keine Rückschlüsse auf andere Gegenden zu. Bis in die Zwanzigerjahre hielten sich Menschen in Neapel Kühe - im vierten oder fünften Stock ihrer Wohnungen. Zur gleichen Zeit waren Schweineherden in mexikanischen Städten kein seltener Anblick. Eine Geschichte des Mülls ist immer auch eine Geschichte der Tierhaltung.

Mitte des neunzehnten Jahrhunderts kamen mehr und mehr kommunale Müllabfuhren auf: Hierzulande war Frankfurt am Main 1873 "Vorreiter", Mannheim zog 1880 nach, Hamburg 1886, Dortmund 1889. Was Köster über die Entwicklung der Mülltonne zu berichten weiß, wäre eine eigene kleine Monographie wert. So fällt etwa in Ländern, deren Einwohner vor allem mit Kohle heizen, viel heiße Asche an, weswegen sich für ihre Entsorgung Behälter aus verzinktem Stahlblech empfehlen. Von einer Standardisierung war man zu dieser Zeit freilich weit entfernt. Das sollte sich erst nach dem Zweiten Weltkrieg ändern, als die Menschheit "global in ein neues Müllzeitalter" eingetreten ist.

Heute hat der täglich produzierte Plastikmüll das Gewicht von ungefähr hundert Eiffeltürmen. "Werden keine drastischen Maßnahmen ergriffen, fallen weltweit im Jahr 2050 etwa 3,4 Mrd. Tonnen Hausmüll an, also noch einmal etwa 75 Prozent mehr als gegenwärtig." Angesichts dieser Zahlen lässt sich ermessen, wie wirksam Kampagnen gegen Plastikmüll tatsächlich sind. Und was gut gemeinte Schlagworte und Nachhaltigkeitsmaximen wie "Zero Waste" ausrichten können. Köster schreibt: "Gerade weil wir den Müll zwar selbst produzieren, aber nicht aus freien Stücken, legen Abfallströme offen, wie der Kapitalismus offensichtlich daran scheitert, die Produktion unseren Bedürfnissen anzupassen."

Insofern ist es wenig ertragreich, darauf hinzuweisen, die Menschen im Mittelalter hätten bereits Recycling betrieben. Schon richtig, Fleisch wurde nicht weggeworfen, Lumpen wurden gesammelt, Fäkalien dienten als Dünger. Das lag indes nicht an fortschrittlichen Reflexionen, sondern war eine Reaktion auf die vorherrschende Knappheit aller Dinge. "Würden die Azteken heute leben, würden sie genauso viel wegwerfen wie wir."

Aber wie viel ist das genau? Müll zu messen ist Köster zufolge ein "Verzweiflungsgebiet der Statistik". Er fällt in Millionen von Containern an, er landet auf Deponien und in der Natur. Zudem sei unklar, was als Müll gefasst wird. Ist der Abfall eines Restaurants privater Müll oder Gewerbeabfall? In Japan ist alles Müll, was nicht recycelt wurde, woanders werden die Müllmengen in der Regel vor dem Recycling angegeben.

Was sich mit Sicherheit sagen lässt, ist, dass das Volumen des Mülls seit Kriegsende stärker angestiegen ist als sein Gewicht - weniger Asche und organisches Material, mehr Verpackungen. Und die bestehen oft aus Kunststoff. Eine Plastikflasche ist im Meer erst nach hundert bis tausend Jahren abgebaut. Die Weg-werfwindel löst Hygieneprobleme, lässt sich jedoch nur schwer recyceln. Und Recycling wiederum erzeugt chemische Verbindungen, die sich nur unter hohem Aufwand in Stoffkreisläufe zurückführen lassen. Nach der Lektüre von Roman Kösters exzellentem Buch wird man Hollis Dole, dem ehemaligen Unterstaatssekretär des amerikanischen Innenministeriums, zustimmen wollen, der einmal sagte: "Müll ist unsere einzige wachsende Ressource."

Roman Köster: "Müll". Eine schmutzige Geschichte der Menschheit.

C. H. Beck Verlag, München 2023. 422 S., Abb., geb.,

© Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt.

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Von Bellis-Perennis am 25.06.2024

Ein interessantes Sachbuch

Wenn heute Archäologen mit glänzenden Augen auf Bruchstücke von Keramik und Glas, Knochenreste oder bearbeitetes Metall stoßen, ist die Freude groß. Dass sie dabei häufig in den Abfallgruben der früherer Generationen stöbern, ist den Fachleuten klar. Denn weggeworfen hat man unnütze oder beschädigte Dinge schon immer. Das meiste jedoch wurde wieder verwertet. So hat man schon in der Frühzeit Metallteile eingeschmolzen oder zerbrochene Keramik als Straßenbelag verwendet. Intakte Gebrauchsgegenstände oder Schmuck findet man nur mehr selten, als Grabbeigaben etwa. So gesehen, könnten unsere Müllhalden das El Dorado für Archäologen der fernen Zukunft sein, oder? Historiker und Autor Roman Köster erzählt eine spannende, gut lesbare Geschichte des Mülls von der Vormoderne bis heute, von Knochenresten bis zu Plastikmüllstrudeln. Er zeigt auch, dass Recycling keine neue Idee ist, sondern etwa in der DDR große Bedeutung hatte. Er streift auch das Sammeln von Metallen während der Weltkriege, als man Kirchenglocken, Türbeschläge oder Denkmälern von unliebsamen früheren Helden eingeschmolzen hat, um Kriegsmaterial für den aktuellen Krieg zu fertigen. Auch das groß angelegte Sammeln von Schmuck, das unter dem Motto Gold gab ich für Eisenin die Geschichte eingegangen ist, wird erwähnt. Nicht erwähnt wird, das zu allen Zeiten als Leichenfleddern bekannte, Absuchen von Schlachtfeldern, um brauchbare Uniformen und Waffen einer Wiederverwendung zuzuführen. Dass hierbei Geld oder Schmuck den Besitzer gewechselt hat, ist eine andere Geschichte. Interessantes gibt es auch zur Geschichte der Müllabfuhr zu lesen: Dass viele Städte schon früh Müllsammler beschäftigt haben, um die noch unbefestigten Straßen halbwegs sauber zu halten. Dass die Vereinheitlichung von Müllsammelgefäßen und Müllsammelfahrzeugen einen großen Schritt zur Abfallbeseitigung beigetragen hat. Köster weist darauf hin, dass die Müllabfuhr oft in privaten Händen (und damit manchmal im Argen) lag. Heute ist sie zu überwiegendem Teil unter kommunaler Verwaltung. Meine Meinung: Das Buch ist höchst informativ. Allerdings springt der Autor immer wieder durch Zeit und Raum. Und das, wie das Beispiel Stadthygiene zeigt, innerhalb weniger Sätze von Paris zum revolutionären China ins postkoloniale Indien nur um anschließend im Zarenreich zu landen. Das lässt das Buch manchmal unstrukturiert erscheinen. In seinem letzte Kapitel widmet er sich der Verschmutzung der Meere durch Plastikmüll. Hier glaubt er den Beginn des Desasters benennen zu können: 1969 hätte der bekannte Forscher und Reisende Thor Heyerdahl bei einer Kajak im Pazifik größere Mengen Kunststoff beobachten können. Woher dieser schwimmende Müll wohl kam? Der Autor bietet, wie er in seiner Einleitung darstellt, eine globale Geschichte des Müll. Dabei spannt er den zeitlichen Bogen von der Frühgeschichte bis in die Gegenwart. Er erklärt das Wachstum einiger Städte ab dem Mittelalter, dass Stadtmauern Fluch und Segen gewesen sind und welchen Anteil der Müll an Seuchen wie Pest und Cholera hat(te). Wie mit den Müllbergen umgehen? Deponieren? Verbrennen? Oder doch gar nicht erst entstehen lassen? Leider gibt es hier kein Patentrezept. Dies ist alles sehr interessant, zumal sich im Anhang dazu ein Literaturverzeichnis von 35 Seiten und Anmerkungen von 60 Seiten finden, um zusätzliche Informationen zu erfahren. Diese Fülle an Informationen überfordert den interessierten Laien möglicherweise ein wenig. Zahlreiche Abbildungen ergänzen dieses Sachbuch zur Geschichte des Mülls. Fazit: Ein sehr interessantes Buch zur Geschichte des Mülls von der Frühgeschichte der Menschheit bis zur Gegenwart. Gerne gebe ich hier 4 Sterne.
LovelyBooks-BewertungVon Bellis-Perennis am 25.06.2024
Ein informatives Sachbuch