Besprechung vom 20.02.2024
Leben und Literatur
Rüdiger Safranskis Kafka-Lektüre
Die Publikationen zu Kafka sind längst zu einer kaum noch zu überschauenden Menge geworden, das Jubiläumsjahr - Kafka starb 1924 - bringt viele weitere Titel hervor, und so tut, wer dazu noch beitragen will, gut daran, sein Vorhaben zu begründen. Das weiß auch Rüdiger Safranski, Biograph von Nietzsche, Goethe, Schopenhauer, Schiller, Hoffmann, Heidegger und Hölderlin, und spricht von "einer einzigen Spur im Leben Franz Kafkas", die sein Buch verfolge und die "die eigentlich naheliegende" sei: "Das Schreiben selbst und sein Kampf darum".
Naheliegend in der Tat, Kafkas Hingabe an sein Schreiben ist seit Jahrzehnten zum Topos geworden, was andererseits umso mehr Anlass sein kann, diesen Topos zu beleuchten und herauszufordern. Safranski steuert dazu die Anekdote bei, geschöpft aus Kafkas Tagebuch von 1911, wonach der Zeichner und Tucholsky-Freund Kurt Szafranski durch sein Grimassieren Kafka an dessen eigene "starke Verwandlungsfähigkeit" erinnerte, "die niemand bemerkt. Wie oft mußte ich Max nachmachen." Safranski ergänzt dazu die Beobachtung, "das mimetische Verlangen" treibe "einen über sich selbst hinaus und lässt einen teilnehmen an einem anderen Leben und ist auf diese Weise auch verknüpft mit dem Schreiben" - besonders dazu hätte man sich noch etwas mehr gewünscht, denn Kafkas Schreiben steht oft genug im Ruf, ganz aus der Person des Autors geschöpft zu sein und weniger aus der Nachahmung anderer.
Safranskis Buch, das nicht als Biographie etikettiert ist und Kafkas Leben tatsächlich vor allem dazu in Erinnerung ruft, um sich dem Schreibprozess des Autors zu widmen, konzentriert sich dann auch auf die äußeren und inneren Bedingungen, die diesen Prozess ermöglichen und formen. Dabei kommt der Begegnung mit Felice Bauer 1912 in Safranskis Darstellung eine besondere Bedeutung zu, denn der Beginn des Briefwechsels mit der jungen Frau, mit der er sich später verloben wird, ist "der Augenblick eines schöpferischen Durchbruchs, wie ihn Kafka bisher noch nicht erlebt hatte" und der die Erzählung "Das Urteil" zur Folge hat.
Zugleich erkennt Safranski in Kafkas Verhältnis zu Felice Bauer und einigen ihrer Nachfolgerinnen an Kafkas Seite eine Ambivalenz, die mal das Schreiben begünstigt und dann wieder ihm entgegensteht. Das bekannte Zitat Kafkas, er habe "kein litterarisches Interesse sondern bestehe aus Litteratur", das gleich zu Beginn von Safranskis Buch mehrfach zitiert und dann auch paraphrasiert erscheint, gibt den Blickwinkel auf den Autor vor. Seine Abkehr von der äußeren Welt, die dann allmählich in der inneren des Schreibens aufgehe, ist ein Erzählstrang, den das Buch verfolgt, auch wenn man dagegen einiges einwenden könnte: Freundschaften und Verlobungen, Reise- und Auswandererpläne von Südamerika bis Palästina und nicht zuletzt Kafkas ausgezeichnete Haltung im Brotberuf, die Safranski ja auch herausstellt. Und dass der sterbende Kafka wieder zuließ, was auch der ganz junge Autor erlaubte, dass man ihm beim Schreiben zusah - was bedeutet das für das Spannungsverhältnis zwischen Ich und Welt?
Die Stärken dieses überraschend schmalen Bandes sind die Interpretationen der Werke, die sich jeweils kapitelweise an kurze biographische Skizzen anschließen und einleuchtend die generelle Notwendigkeit des Schreibens im Sinne der jeweiligen Lebenssituation Kafkas neu bestimmen, was der Autor mit vielen Detailbeobachtungen am Text plausibel macht.
Seine Schwächen sind leider in der Form zu finden. Das betrifft nicht nur Rechtschreibfehler, sondern auch an einigen Stellen die Grammatik. Von "einem Mädchen, die . . ." ist die Rede, oder: "Kafka hatte mit Zustimmung Hofmannsthals dessen 'Lord Chandos'-Brief gelesen" - musste er da um Erlaubnis fragen? Schwerer wiegt Safranskis Neigung, Kafka-Zitate häufig im direkten Anschluss mit eigenen Worten wiederzugeben oder Sachinformationen in unmittelbarer Nähe zu wiederholen, ganz so, als hätte der Autor keine hohe Meinung vom Gedächtnis seiner Leser. TILMAN SPRECKELSEN
Rüdiger Safranski: "Kafka". Um sein Leben schreiben.
Hanser Verlag, München 2024. 256 S., geb.
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