Besprechung vom 13.12.2018
Vier Elemente und die Metaphysik des Kochens
Es ist eine interessante Frage, wann jemandem ein echtes Verständnis des Kochens zuzuschreiben ist. Sobald er in der Lage ist, komplizierte Rezepte nachkochen zu können? Vermutlich würde man dies verneinen und darauf bestehen, dass ein wahres Verständnis mehr erfordert: die Fähigkeit, sich von Rezepten zu lösen und kreativ deren strengen Vorgaben zu überwinden - und zwar, indem man die allgemeinen Grundprinzipien des Kochens verstanden hat, würde die amerikanische Köchin Samin Nosrat hinzufügen, denn genau diesen Fundamenten der Kochkunst hat sie ihr Buch gewidmet. In reduktionistischer Manier ganz im Stil griechischer Naturphilosophen hat sie in jahrelanger Kochpraxis auf der ganzen Welt ihre eigene Vier-Elemente-Lehre entwickelt und auf die Probe gestellt. Ihre These: Alle großen Köche nutzen bewusst oder unbewusst Salz, Fett, Säure und Hitze als Leitlinien ihres Tuns. Salz zur Geschmacksvertiefung, Fett als Verstärker und für die Konsistenz, Säure für Frische und Balance und Hitze zur Festlegung der Textur. Der erste Teil des Buches ist der Theorie dieser vier Elemente gewidmet. Die Rezepte im zweiten Teil sind dann mehr Anschauungsmaterial denn Selbstzweck. Wie im Physik-Praktikum ist der Leser angehalten, sich experimentell durch stetiges Probieren und Abschmecken das implizite Wissen und die Techniken des Kochens innerhalb des theoretischen Rahmens selbst zu erschließen. Selbstermächtigung ist damit Ziel des Programms, das nebenbei zeigt, dass Kochen und Denken eine durchaus enge Verbindung eingehen können.
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"Salz Fett Säure Hitze" von Samin Nosrat. Verlag Antje Kunstmann, München 2018. 492 Seiten. Gebunden
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