Eine Flucht aus dem Iran und der Kampf um Identität und Anerkennung
Seit 1979, mit dem Sturz des Schahs, sind die Töchter der hochgestellten iranischen Familie Valiat im amerikanischen Exil. Ihre Mutter, die noch immer Heimat, Tradition und Stolz verkörpert, blieb damals allein mit der Enkelin in Iran zurück. Als bei dem alljährlichen Familientreffen in Aspen die Dinge aus dem Ruder laufen und die exaltierte Shirin erst gegen Kaution wieder aus der Arrestzelle entlassen wird, verändert sich etwas in den Frauen, jede muss sich schmerzlichen Fragen stellen: Wie sie zu ihren persischen Wurzeln steht. Und wer sie in Zukunft sein will. Die Exil-Iranerin Sanam Mahloudji legt ihren ersten Roman vor.
Wie soll man ein Leben führen, wenn man nicht dort ist, wo man hingehört? »Die Perserinnen« ist alles zugleich: Komödie, Drama und Farce. Ein intensives, ganz und gar unvergessliches Leseerlebnis.
Besprechung vom 09.07.2024
Große Krieger können so kleingeistig sein
Im Roman "Die Perserinnen" lässt die Exiliranerin Sanam Mahloudji ihre Figuren gegen Heldenmythen und Lügen aufbegehren
"Wir Iraner erschaffen gerne Mythen, wir sind Romantiker, wenn man so will." Genau von solchen Mythen werden Bita, Shirin, Sima, Niaz und Maman Elizabeth, die Frauen der Familie Valiat, ihr Leben lang verfolgt. Vom Mythos um den geheimnisumwobenen Vorfahren, der nur noch der "große Krieger" genannt wird. Von Iran der Vergangenheit, das in Shirins und Bitas Augen schon mehr Mythos ist als ein greifbares Heimatland, und nach dem sich Elizabeth sehnt, obwohl sie ihn nie verlassen hat. Und vom Mythos der perfekten Familie, der verzweifelt durch Lügen, Stille und räumliche Trennung aufrechterhalten wird.
Die iranisch-amerikanische Autorin Sanam Mahloudji schreibt in ihrem Debütroman "Die Perserinnen" über das Leben einer wohlhabenden iranischen Familie, die zu großen Teilen kurz vor dem Sturz des Schahs durch die Islamische Revolution aus Iran in die Vereinigten Staaten fliehen. Durch drei Generationen stolzer, schöner Frauen vermittelt Mahloudji die Fremdheit in der neuen Heimat und die widersprüchlichen Gefühle zum eigenen Herkunftsland. In immer wieder neuen Debatten um Heimat, Migrationshintergrund und Flucht hat der Roman Aktualitätsbezug, ohne zu sehr oder zu oft in Klischees zu verfallen.
Shirin, ihr Ehemann und Sohn, ihre Schwester Sima sowie deren Mann und Tochter Bita kommen 1978 aus Teheran nach Houston, Texas. Eigentlich soll der Aufenthalt ein kurzer sein, denn niemand sieht kommen, welche Folgen die Islamische Revolution, Khomeinis Machtübernahme und der Krieg gegen den Irak nach sich ziehen wird. Shirin und Simas Mutter, Maman Elizabeth, sowie Shirins kleine Tochter Niaz bleiben zurück in der Heimat. Niaz glaubt, ihre Mutter wollte sie nicht - nur eine der durch eine einzelne Person vermittelten Lügen, die die Zukunft der Familie bestimmen werden.
Sima lernt nie, sich in Amerika heimisch zu fühlen, und verbringt viel Zeit mit Bita und deren Nanny, bevor sie an Brustkrebs verstirbt. Shirin verabscheut all die anderen Perser in Los Angeles und New York. Als Valiat fühlt sie sich besser - eine Familie über allen anderen.
Viele Jahre später bietet Shirin während des jährlichen Urlaubs der Familie in Aspen einem Mann an, gegen 50.000 Dollar mit ihm zu schlafen. Das Geld hat sie angesichts des Familienvermögens und eines erfolgreichen Eventbusiness nicht nötig. Was sie dazu treibt, weiß sie selbst nicht genau. Fatalerweise gerät sie dabei an einen Polizisten. Eine Anzeige wegen Prostitution, die folgt, wird Auslöser für die Zusammenführung der entfremdeten Valiats: Shirin, Bita, Niaz und Elizabeth.
Dabei führt der Roman nicht linear von der Flucht bis ins eigentliche Handlungsjahr 2005. Auf verschiedenen Handlungs- und Zeitebenen eröffnen die Kapitel die Perspektiven der Valiat-Frauen, die Mythen und bisher gelebte Ideale entzaubern.
Die ins Alter gekommene Elizabeth hängt ihrer ersten und vielleicht einzigen großen Liebe, Ali Lufti, nach und erfährt in anderen Kapiteln als junge Frau die blutige Wahrheit über ihren Großvater, den "großen Krieger", inmitten ihres privilegierten Lebens in Teheran. Bita schmeißt in den USA heimlich ihr Jurastudium und verschenkt das gesamte Erbe ihrer Mutter Sima, weil sie glaubt, dieses sei mit zu viel Familienstolz und blutiger Geschichte behaftet. Niaz gründet in Teheran eine Untergrundrebellion, deren Tätigkeit sie ins Gefängnis bringt. In der Debatte um die Rolle Irans im Nahostkonflikt ist "Die Perserinnen" damit auf abstrakte Weise noch aktueller, als es konkret der Fall ist.
In der Gegenwart kommen alle zusammen, um Shirin zu unterstützen. Das tun sie jeweils auf ihre Art und Weise. Bita vermittelt Shirin eine Anwältin und appelliert an ein gemäßigtes Verhalten. Elizabeth will Shirin durch einen Shoppingtrip nach New York ablenken und beruhigen - ein paar Klischees vom Reichtum müssen eben doch für die Geschichte herhalten. Und Niaz lässt Shirin, ihre für sie eigentlich fremde Mutter, endlich an sich heran.
Appelle an ein Leben in und für die Gegenwart treten im Roman besonders eindrücklich und markant hervor, wenn die Frauen aus dem Sinnieren über sich selbst und ihre Welt hinaustreten und zum Leser sprechen oder, wie Sima, aus dem Jenseits heraus über die Vergangenheit oder die Existenz nach dem Tod schreiben. "Die ganzen Geschichten von Verwandten, Ahnen, Helden . . . Aber mit diesen Imperien, meine Lieben, ist es längst vorbei. In Wirklichkeit war das alles schon passé, als ich geboren wurde, bevor auch nur einer von euch überhaupt existierte. Das Einzige, was zählt, sind wir", schreibt oder denkt Shirin, nachdem Lügen sie alles hatten hinterfragen lassen.
"Die Perserinnen" zeigt durch ungeschönte Facetten, wie drei Generationen iranischer Frauen lernen, dass sie mehr sind als die Summe aus Familien- und Nationalgeschichte, Stolz und Reichtum. Elizabeths Lügen über die Familie, die im Roman nach und nach aufgedeckt werden, haben über die Jahre eine Macht aufgebaut, die die Familienmitglieder aus Respekt vor Geschichte und Heldenmythen aneinanderbanden und doch voneinander isolierten. Elizabeths Rolle wird schon durch die Erzählform des Romans gespiegelt: Als Einzige wird ihre Geschichte vom allwissenden Erzähler in der dritten Person wiedergegeben. Neben der dadurch entstehenden Distanz gewährt diese Perspektive auch einen exklusiven Einblick in das Wieso und Warum hinter Elizabeths Unwahrheiten.
Wie sehr sie durch diese Lügen und Isolation abgestumpft worden sind, realisieren Shirin, Bita, Elizabeth und Niaz spät, aber gerade noch rechtzeitig für einen Neuanfang. Subtil und dennoch klar zeigt Mahloudjis Roman, wie die Wahrheit den Frauen metaphorische Lasten von den Schultern nimmt. Sie finden zu sich selbst: Weit weg von Heldenmythos, Schönheitsideal oder Gesellschaftsklasse. LAURA ALBERMANN
Sanam Mahloudji:
"Die Perserinnen". Roman.
Aus dem Englischen
von Katharina Martl.
Piper Verlag, München 2024. 448 S., geb.
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