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Besprechung vom 29.10.2024
Die düsteren Staaten von Amerika
Trump ist nicht an allem schuld. Stephan Bierling zeigt, wie Republikaner und Demokraten sich zu "programmatisch homogenen Kampfverbänden" gewandelt haben.
Es gab eine Zeit, in der der konservativste Demokrat und der progressivste Republikaner kaum voneinander zu unterscheiden waren. In der Pragmatismus und Kompromisse die amerikanische Innen- und Außenpolitik bestimmten. Und in der selbst Obama sich für seine Gesundheitsreform noch an Ideen orientierte, die der republikanische Gouverneur Mitt Romney in Massachusetts ausgebrütet hatte. Diese Zeit ist vorbei. Und kaum mehr vorstellbar.
Heute gilt: "Die parteipolitische Polarisierung ist das zentrale Problem für die Funktionstüchtigkeit des amerikanischen Staatswesens, mehr noch, sie ist eine Bedrohung der Demokratie an sich." Das zumindest ist die sehr glaubwürdige These von Stephan Bierling, Professor für Internationale Politik und transatlantische Beziehungen an der Universität Regensburg. In seinem Buch "Die Unvereinigten Staaten von Amerika" führt er durch das politische System der USA und zeigt, woher die Unversöhnlichkeit beider Lager kommt, wie sie alle Bereiche des amerikanischen Staates durchdrungen hat und was das für diese älteste noch existierende Demokratie der Welt bedeutet.
Demnach gibt es nicht den einen Grund dafür, warum die parteipolitische Debatte so aus dem Ruder laufen konnte, dass sie die Demokratie bedroht. Und schon gar nicht ist es Donald Trump allein, der oft als Vater allen Übels herhalten muss - es aber mitnichten ist. Vielmehr ist es ein Zusammenspiel vieler Faktoren, angefangen bei der Präsidialdemokratie an sich. Diese ist dem Buch zufolge "inhärent instabil", weil sich Exekutive und Legislative kompromisslos bekämpfen und gefährliche Außenseiter ins Präsidentenamt gelangen können.
In den USA ist das demnach gut gegangen, solange die Parteien "weltanschaulich heterogene Sammelbecken" waren. Das allerdings änderte sich laut Bierling im Laufe der vergangenen vierzig Jahre massiv. Die Parteien entwickelten sich immer mehr zu "programmatisch homogenen Kampfverbänden". So entdeckten die Republikaner schon zu Zeiten von Präsident Richard Nixon spalterische Themen wie Abtreibung, Waffenbesitz und angeblichen Wahlbetrug für sich. Mehr als zwei Jahrzehnte lang hofierte die Partei demnach "fundamentalistische Christen, libertäre Staatsskeptiker und rechtsradikale Weiße". Trump war Brandbeschleuniger dieser Entwicklung - und Nutznießer. Doch auch die Demokraten haben sich verändert. Unter dem Einfluss von "Sozialisten und Kulturkriegern" - so Bierling - bewegten sie sich weg von zentristischen Positionen, wie sie Obama noch vertrat. Seit der Präsidentenwahl von 2016 konnten "ideologische Randgruppen" ihren Einfluss in den Parteien massiv ausweiten. Während Parteien so immer schwächer wurden, stieg laut Bierling die Parteibindung - und damit der Groll gegenüber der anderen Seite. Medien, weltanschauliche Interessengruppen und das Auseinanderdriften der Lebenswirklichkeiten verschärften die Entwicklung.
Mittlerweile hat die parteipolitische Polarisierung alle Akteure, Institutionen und Verfahren der amerikanischen Demokratie erfasst. Bierling zählt sie akribisch auf, ihre Geschichte, ihre Wandlung, ihre neue Rolle. Und er zeigt: Die Polarisierung macht weder vor grundlegenden demokratischen Instrumenten wie Wahlen halt noch vor den Bundesstaaten und dem Kongress, der die Gegensätze sogar noch verschärft. Selbst der Supreme Court, wichtiger Bestandteil des amerikanischen Systems der Checks and Balances, ist zunehmend politisiert - was seinem Ansehen massiv schadet.
Nach dieser düsteren Bestandsaufnahme bleibt die Frage: Ist die amerikanische Demokratie stark genug, diese Krise zu überleben? Eine Antwort gibt das Buch nicht. Auch ist das Kapitel zur Zukunft der Demokratie das kürzeste, es reißt viele Möglichkeiten zur Entschärfung der Lage an - Verfassungsänderungen, Reformen, Mäßigung der politischen Eliten -, nur um auf die Schwierigkeit, ja Unumsetzbarkeit hinzuweisen.
Hoffnung allerdings macht zweierlei. Das eine sind die Wähler selbst. Laut Bierling sind die Aussichten nicht allzu schlecht, dass diese langsam zu einer Politik der Mäßigung zurückfinden. "Die Mehrheit der Bevölkerung ist gemäßigter, als Polarisierungsunternehmer und Parteiaktivisten annehmen", konstatiert er. So gebe es bei aller Konfrontation Bereiche, die Wähler beider Parteien ähnlich einschätzten - darunter Lohngleichheit für Männer und Frauen, Ausbau von Straßen, die Einschätzung von China als Gefahr sowie Skepsis gegenüber Militärinterventionen. Viele Amerikaner glaubten zudem, dass Medien und Politiker die Unterschiede zwischen ihnen übertreiben, und - vielleicht noch wichtiger - mehr als neunzig Prozent der Anhänger beider Parteien hielten es für wichtig, die Spaltung zu mildern. Und zwei Drittel wollen die andere Seite besser verstehen.
Zum anderen ist es der Ausblick auf kommende Politikergenerationen. Bierling weist auf Studien hin, wonach sich das Bild der anderen Partei tatsächlich zum Positiven ändert, wenn Politiker nicht die Unterschiede, sondern die gemeinsame amerikanische Identität in den Mittelpunkt stellen. Einen ähnlichen Ansatz hat Harris für ihre Kandidatur gewählt. Ihre Landsleute hätten die Chance, einen Weg nach vorn zu beschreiten, sagte sie beim Nominierungsparteitag der Demokraten. Und zwar "nicht als Mitglieder einer bestimmten Partei oder Fraktion, sondern als Amerikaner".
Sollte Trump die Wahl verlieren und sich sogar aus der Politik zurückziehen, wäre das in jedem Fall von Vorteil für die Demokratie. Nicht nur hat "seit dem Bürgerkrieg kein Präsident oder Spitzenkandidat mehr Bosheit und Zwietracht gesät und die Demokratie stärker gefährdet" als Trump, schreibt Bierling. Auch stünden die Trumpisten dann ohne "Leitwolf, Einpeitscher und Sprachrohr" da. Zwar würden die Trumpisten damit nicht verschwinden, aber "ihr Einfluss dürfte schwinden". Wohin der Weg führt, wird sich erst nach der Wahl zeigen. Nach Lektüre des Buches kommt man allerdings zu der Erkenntnis, dass die Vereinigten Staaten und ihre Demokratie in diesem November an einem Scheidepunkt angekommen sind. TATJANA HEID
Stephan Bierling: Die Unvereinigten Staaten. Das politische System der USA und die Zukunft der Demokratie.
C. H. Beck Verlag, München 2024. 336 S.
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