Eine zwiespältige Lektüre , zunächst fasziniert, dann abgestoßen und gelangweilt. Aber: wichtige Botschaft!
Szczepan Twardoch ist einer der bekanntesten Schriftsteller Polens. Auch in Deutschland hat er mit seinen Romanen viel Aufmerksamkeit erregt. Eine Kritikerin nennt ihn " eine Art Tarantino der polnischen Geschichtsschreibung" ( Das hätte mir eine Warnung sein sollen.)Der Roman beginnt mit dem Autor selbst. Den zieht es im Jahr 2019 in die Einsamkeit Spitzbergens, wo er auf eine betagte Weltreisende trifft, die ihm die Aufzeichnungen eines Landsmannes überlässt.Seine Geschichte in eine solche Rahmenhandlung zu packen, ist ein bewährter schriftstellerischer Trick, um dem Erzählten eine Wahrhaftigkeit und Authentizität zu verleihen.Ein gewisser Konrad Widuch, gefangen im arktischen Eis, beginnt am 16. Juni 1946 sein mehr als abenteuerliches Leben in einem Notizbuch festzuhalten. Geboren im schlesischen Pilchowitz, zieht es ihn bald weg von zuhause. Zuerst arbeitet er als Bergmann im Ruhrgebiet, während des Krieges dient er bei der preußischen Marine, nimmt am Kieler Matrosenaufstand teil und reist später mit dem Revolutionär Radek gemeinsam nach Russland, um sich den Bolschewisten anzuschließen. Als Kämpfer in der legendären Reiterarmee lernt er seine zukünftige Frau Sofie kennen. Sie, eine überzeugte Kommunistin, wird zur Liebe seines Lebens und gleichzeitig zu seiner Lehrmeisterin. Mit ihr zusammen entdeckt er die Welt der Bücher. Das Paar bekommt zwei Töchter. Es sind in der Erinnerung glückliche Jahre.Doch schon früh kommen die Zweifel an der neuen Weltordnung. Konrad haben die Erfahrungen im Bürgerkrieg vom Idealismus kuriert und Sofie verliert ihren Glauben, als Stalin an die Macht kommt. Und wie so viele Genossen fallen sie später Stalins Säuberungsaktionen zum Opfer. Sofie kann mit den kleinen Mädchen flüchten, Konrad wird in ein Lager in Sibirien verschleppt. Über diese Zeit verliert er wenig Worte. Zu schrecklich müssen die Erfahrungen dort gewesen sein.Doch ihm gelingt die Flucht.Unterwegs stößt er auf eine geflüchtete Kriminelle. Beide tun sich zusammen und werden, bevor sie an Hunger sterben, von dem fiktiven Urvolk der Ljaudis gerettet. Hier endlich fühlt sich Konrad sicher und erfährt so etwas wie Heimat. Doch auch diese abgelegene Gegend ist nicht vor den Russen sicher.Dies alles wird uns fragmentarisch und assoziativ erzählt. Konrad schweift permanent ab, fällt sich selbst ins Wort, übertreibt und korrigiert sich gleich darauf; kurz: er ist ein unzuverlässiger Erzähler. Die verschiedenen Lebensstationen muss sich der Leser selbst nach und nach zusammenpuzzeln.Immer wieder spricht er eine imaginierte Leserin seiner Zeilen an, anfangs noch vertraulich, gegen Ende hin wird diese mit Schimpfwörtern tituliert.Der Autor versteht es Spannung aufzubauen, arbeitet mit Cliffhangern und Andeutungen. Dabei hält er gekonnt alle Fäden in der Hand.Konrads Leben entlang der Verwerfungen des 20. Jahrhunderts ist ein Leben voller Grausamkeiten, Willkür und Unmenschlichkeit. Hier erspart einem der Autor nichts, auch wenn er dabei keinen Voyerismus bedient.Doch habe ich die Brutalitäten anfangs noch als zum Geschehen zugehörig verstanden, so wurde es mir im Verlaufe der Handlung zu viel. Ich weiß, dass der Autor damit auch die Verrohung seines Protagonisten aufzeigen will, aber muss er drastische Strafmaßnahmen so genau beschreiben, müssen menschliche Begegnungen in Obszönitäten enden?Meine anfängliche Begeisterung für diesen Roman hat sich deshalb im zweiten Drittel ins Gegenteil gewendet. Aber nicht nur weil mich das Derbe und Vulgäre immer mehr abgestoßen hat.Mein Interesse galt dem zeitgeschichtlichen Hintergrund und als der Autor seinen Protagonisten auf dieses fiktive indigene Volk treffen lässt, habe ich mich zusehends gelangweilt. Seitenweise und in einer Ausführlichkeit, die nicht notwendig war, bekommt der Leser Einblick in diese fremde Kultur mit ihrer archaischen Lebensweise und mit ihren z.T. sehr befremdlichen Sitten und Gebräuchen.Hier will Twardoch ein Gegenbild zum bolschewistischen Staat entwerfen, doch eine wirkliche Alternative sieht für mich anders aus.Einzig die Wutrede, zu der hier Konrad bzw. der Autor anhebt, ist für mich zentral und eine der wesentlichen " Botschaften" dieses Romans. Denn eines Tages treffen zwei russische Wissenschaftler im Dorf der Ljaudis ein. Konrad versucht seine Gastgeber über die Gefahr, die die Besucher darstellen, aufzuklären. "Ihr wisst nicht, wie Russland kommt, wenn es kommt. Russland, wenn es kommt, kommt groß, obwohl seine Menschen elend, schwach sind, aber es kommt groß und ist nicht imstande, etwas neben sich zu dulden, was nicht Russland ist, deshalb verwandelt es alles in Russland,..., in Russland, das heißt in Scheiße."Diese Warnung ist eine Botschaft an den westlichen Leser, eine wichtige Botschaft, die vielleicht untergeht, weil mancher Leser den Roman bis zu dieser Stelle vielleicht schon abgestoßen oder entnervt beiseite gelegt hat.Ein weiterer wesentlicher Punkt, weshalb das Buch gelesen werden sollte, ist die Frage, die sich Konrad immer wieder stellt : " Ich- ein Mensch? War ich je Mensch?" so beginnen die Aufzeichnungen Konrads. Und als Motiv zieht sich die Frage durch den ganzen Roman. Wie kann ich meine Menschlichkeit und meine Würde bewahren angesichts unvollstellbarer Gewalt um mich herum? Ist in einer solchen Welt Platz für Moral und Ethik. Die Antwort des Autors ist zutiefst pessimistisch. Denn das Sehnsuchtsland am Ende erweist sich als Fata Morgana." Kälte" ist ein politischer Roman mit einer eindeutigen Warnung. Twardoch will aufrütteln, will das wahre Gesicht Russlands zeigen. Und er entlarvt den sowjetischen Gründungsmythos als das, was er war: eine ungeheure Barbarei, die bis ins Heute reicht.Das ist wichtig und löblich. Doch mit der Umsetzung hadere ich. Die Mischung aus Zeitgeschichte, Abenteuerroman, Splatter und Fantasy gefällt mir nicht.