Politik-Experte Tim Marshall legt die geopolitischen Realitäten offen: Er zeigt, wie das Rennen um die besten Plätze im All aktuell aussieht, wie Russland, China und die USA vorangehen und welche strategischen Ziele dahinterstehen.
Großmächte auf Konfrontationskurs: Wem gehört was im Weltraum?
Spionagesatelliten in der Umlaufbahn des Mondes. Bodenschätze im Weltraum, wertvoller als das Bruttoinlandsprodukt der meisten Länder. Menschen auf dem Mars in den nächsten zehn Jahren. Das ist keine Science-Fiction, sondern Astropolitik. Der Mensch ist unterwegs ins All - und wir nehmen unsere Machtkämpfe mit. Bald wird das Geschehen im Universum die Weltgeschichte genauso prägen wie die Berge, Flüsse und Meere auf der Erde.
Politik-Experte Tim Marshall legt die geopolitischen Realitäten offen: Er zeigt, wie das Rennen um die besten Plätze im All aktuell aussieht, wie Russland, China und die USA vorangehen und welche strategischen Ziele dahinterstehen. Eine unverzichtbare Lektüre über Macht, Politik und die Zukunft der Menschheit.
»Marshall begibt sich auf einen durch und durch unterhaltsamen, unglaublich nachdenklich machenden und technologisch schlüssigen Ritt durch das Terrain des Sonnensystems. « Everett Dolman, Professor of Comparative Military Studies and Strategy, US Air Force's Air Command and Staff College.
»Tim Marshall stellt erneut seine einzigartige Fähigkeit unter Beweis, wunderbar fesselnde Bücher zu schreiben, die man unbedingt lesen muss und die verblüffende Tatsachen ans Licht bringen. « Ian Goldin, Professor of Globalisation and Development, Universität Oxford.
Besprechung vom 12.02.2024
Unsere Zukunft liegt im Weltall
Tim Marshall schreibt über astropolitische Konflikte
Chinesischen Wissenschaftlern gelingt es, Mondgestein mithilfe von Bakterien in fruchtbaren Boden zu verwandeln. Japan bringt seine erste erfolgreiche Landung einer Sonde auf dem Erdtrabanten zustande. Und allen Widrigkeiten zum Trotz treiben mehrere US-Firmen, wie etwa SpaceX des Milliardärs Elon Musk, die kommerzielle Raumfahrt voran. Das sind nur drei Schlagzeilen aus den vergangenen Wochen. Sie zeigen: Angesichts von Klimakatastrophe, Ressourcenknappheit und einer Erdbevölkerung von acht Milliarden greift die Menschheit nach Jahrzehnten der Stagnation wieder nach den Sternen. Aber der Weltraum und eine Kolonisierung des Mondes oder gar des Mars sind längst kein Duell "USA versus UdSSR" mehr. Neue Konkurrenten, allen voran China, sind auf die geopolitische Bühne getreten. Über die Verschiebung völkerrechtlicher und wirtschaftlicher Ansprüche in der neuen Ära der Astropolitik und über die daraus resultierenden Konflikte schreibt der britische Journalist Tim Marshall in seinem 2023 erschienenen Buch "Die Geografie der Zukunft".
Das jüngste Werk des langjährigen Auslandskorrespondenten der BBC und von Sky News trägt den Untertitel "Wie der Kampf um die Vorherrschaft im Weltraum unsere Welt verändern wird". Mit dem Konzept, Weltpolitik anhand von Karten, geographischen und klimatischen Besonderheiten eines Landes zu erklären, landete Marshall 2015 einen Bestseller. Dank "Die Macht der Geographie" wissen seitdem Millionen von Lesern auf der ganzen Welt, warum eine Bodeninvasion in Iran sinnlos ist oder warum die Seefahrernation England seit 1945 an Bedeutung verloren hat.
Wenn man dieses erzählerische Denken nun von der Erde auf die Atmosphäre, Umlaufbahnen und den Weltraum überträgt, bietet sich einem so hochbegabten und gewitzten Schreiber wie Marshall der ideale Rahmen für den nächsten Sachbuch-Erfolg. Doch "Die Geografie der Zukunft" hat immense Anlaufschwierigkeiten. Erst als sich der Autor wieder auf seine bewährten Stärken besinnt, wird das Buch zum erhofften Gewinn. Bevor Marshall die Spannung zwischen den drei heute führenden Raumfahrtnationen und den bloßen "Mitreisenden" aufbaut, muss man sich auf gut einem Viertel der 300 Seiten durch einen historischen Abriss von der Steinzeit an bemühen. Das ist einerseits notwendig, andererseits haben die US-Autoren Carl Sagan oder später Neil deGrasse Tyson (auf die sich Marshall mehrfach bezieht) mit dem TV-Format "Cosmos" beeindruckend gezeigt, wie man komplexe Astrophysik unterhaltsamer für ein Massenpublikum in Szene setzt. Erst mit dem Kapitel "Outlaws", in dem es um die rechtlichen Rahmenbedingungen und den von nun an immer wieder auftauchenden Weltraumvertrag der NASA namens "Artemis Accords" geht, zündet das Buch den ersehnten Nachbrenner. Mit klarer Struktur und vielen Details stellt Marshall - ganz bewusst in dieser Reihenfolge - zunächst China vor. Erst dann folgen die amerikanische und die russische Raumfahrtgeschichte. Am Ende der Kapitel weiß der Leser, warum die USA das erst 1992 gestartete bemannte Raumfahrtprogramm der Chinesen heute als größte Bedrohung ihrer eigenen Ambitionen empfinden, warum die Kürzung staatlicher Forschungsbudgets in den USA der Geburtshelfer für die private Raumfahrt war und warum sich Russland, trotz seines immensen militärischen Drohnenpotentials, mit der Rolle des Dienstleisters abfinden muss. Knapp, aber ihrer Bedeutung entsprechend, würdigt Marshall dagegen andere Staaten oder Verbündete wie die Europäische Weltraumorganisation (ESA).
Im letzten Drittel seines Buchs greift Marshall kurz zu einem Kunstgriff. Um die hohe Wahrscheinlichkeit künftiger Territorialkonflikte und Kriege zu verdeutlichen, wechselt er ins fiktive Thriller-Genre. Angesichts der geopolitischen Spannungen um Taiwan und des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine haben beide von ihm beschriebenen Szenarien jedoch hochaktuelle Bezüge. In der ersten Fiktion schildert er eine Teilinvasion Taiwans durch die chinesische Armee im Jahr 2030, die nur durch Sabotage und Kampfhandlungen zwischen chinesischen und amerikanischen Satelliten möglich wird. Im anderen, ebenfalls in der nahen Zukunft angesiedelten Fall geht es um den kommerziellen Abbau von Bodenschätzen auf dem Mond. Russland will sich gewaltsam Zugang zur Station eines US-Unternehmens verschaffen, die Amerikaner schlagen militärisch auf der Erde zurück. Wie zuletzt in der Kubakrise 1962 steht die Welt am Rande eines Atomkrieges. Nur ein Eingreifen Chinas verhindert die Eskalation.
Was nach Science-Fiction klingt, bettet Marshall geschickt in den Wettlauf der Weltraumnationen ein, in dem Amerikaner und Russen schon heute mit Lasern und Hyperschallwaffen Satelliten in der Erdumlaufbahn abschießen könnten oder sich China durch langfristige Handels- und Infrastrukturverträge weitere Startkapazitäten für seine Raketen in Äquatornähe sichert. Am Ende vermittelt "Die Geografie der Zukunft" dem Leser doch genügend astropolitisches Grundwissen und ökonomische Hintergründe, um aktuelle Ereignisse selbst einordnen zu können. Marshall selbst blickt pessimistisch in die Zukunft. Dass sich die Menschen im Weltraum auf Gemeinsamkeiten besinnen und die dortigen Ressourcen in Zukunft gerecht verteilen werden, hält er für "leider ziemlich unwahrscheinlich". MARCUS JUNG
Tim Marshall: "Die Geografie der Zukunft. Wie der Kampf um Vorherrschaft unsere Welt verändern wird." dtv, München 2023. 312 Seiten
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