Eine Tote im Meer, eine festgesetzte Superyacht und der Sumpf der Korruption
Was zieht Commissario Laurenti da aus dem Meer? Nahe der Segelyacht A, die seit den Sanktionen gegen Russland im Hafen von Triest festgesetzt ist, treibt ein tote Skipperin. In der Nacht hat es einen Anschlag auf das Schiff gegeben. Was hat die Leiche damit zu tun? Proteo Laurenti und sein Team stoßen auf ein Netz aus Gefälligkeiten, Eigeninteressen und Hinterzimmerdeals, in das die ganze Stadt verwickelt scheint.
Offenbar auch ihr alter Bekannter Raffaele Raccaro. Aber ist er Strippenzieher oder nur ein kleiner Fisch? In jedem Fall ist er bereit, Opfer zu bringen, solange er davon profitiert. . .
»Proteo Laurenti gehört zur Riege der großen Kommissare« Der Spiegel
Besprechung vom 02.09.2024
Was alles ein Fall ist
Krimis in Kürze: Heinichen, Padura und Wittekindt
Selbstverständlich ist es nicht, dass in dieser Kolumne gleich drei Bücher auftauchen, die mehr sind als Gebrauchsprosa mit gewissen Spannungseffekten, die auch literarisch etwas taugen. Den Anfang macht Veit Heinichen, der seit mehr als fünfundzwanzig Jahren in Triest lebt. Seit 2001 ermittelt dort sein Kommissar Proteo Laurenti, der zwar nicht so viele Gesichter und Gestalten hat, wie sein mythologisch gefärbter Vorname verspricht. Aber es sind seine Geradlinigkeit und Verlässlichkeit, aus der die Romane leben.
Auch "Beifang" (Piper, 300 S., geb., 22,- Euro) hat diesen Sinn für die Sauereien der Lokalpolitik im Dreiländereck von Italien, Slowenien und Kroatien, für die Eigenart der Menschen, die dort leben, und dazu einen gut konstruierten Plot. Laurenti, dessen Frau zu seinem Unbehagen im Immobiliengeschäft aktiv ist, stößt bei seinem täglichen Schwimm- und Tauchgang auf eine Leiche statt auf den Fisch fürs Abendessen. Ganz offensichtlich hat sie mit der Oligarchenyacht zu tun, die vor Triest festgesetzt wurde und Steuergelder verschlingt.
Laurenti geht das mit dem gewohnten Eigensinn an - mit dem feinen Unterschied allerdings, dass er zu Beginn schon seine Pensionierungserklärung unterzeichnen muss, was seine Laune nicht hebt. Wie Heinichen wohl künftig mit dem Pensionär verfahren wird - ob er ihn komplett aufs Altenteil schickt oder aus dem beruflichen Off weiter beschäftigen wird?
Der Kubaner Leonardo Padura ist ein Schwergewicht, gerade weil er sich nie sonderlich um die Regeln des Genres gekümmert hat. Sein Protagonist, der zweiundsechzigjährige Mario Conde, ist schon lange nicht mehr bei der Polizei, er handelt leidlich erfolgreich mit gebrauchten Büchern, er war auch nie ein Musterkommissar. Und es geht auch nicht so sehr um ordnungsgemäße Ermittlungen, sondern um ein Land, in dem Padura aus Überzeugung trotz allem ausharren kann, weil er einen spanischen Verlag hat.
"Anständige Leute" (Unionsverlag, 400 S., geb., 26,- Euro) verschränkt geschickt zwei Zeiten und zwei Perspektiven. Im Jahr 2016 kommen die Rolling Stones und Obama nach Kuba. Sie wecken große Hoffnungen, was dem alten Berufspessimisten Conde zutiefst suspekt ist, während er der Polizei hilft, als ein ehemaliger gnadenloser Kunstzensor ermordet und verstümmelt aufgefunden wird.
Zugleich befasst sich Conde mit einem Polizisten im Jahr 1909, der im Angesicht des prophezeiten Weltuntergangs durch den Halleyschen Kometen eine intrikate Beziehung mit einem lokalen Zuhälter und Politiker in Havanna eingeht. Beide Zeitebenen haben mehr miteinander zu tun, als man anfangs denkt.
Was Paduras Roman so besonders lesenswert macht, ist seine Haltung zu den kubanischen Verhältnissen. Voller Zerrissenheit spricht er von den kulturellen Flurschäden, die der ermordete Zensor angerichtet hat, von den Menschen, die versuchten, Anstand zu bewahren, und jenen, die trotz allem nicht gehen wollten und sich ihre eigene "Havanna-Epiphanie" schufen, weil sie in ihrer Heimat noch immer mehr sehen, als die ausländische Negativwahrnehmung Kubas wahrhaben will.
Es wird niemanden überraschen, dass hier der neue Roman von Matthias Wittekindt auftaucht. Ein weiterer Fall des pensionierten Kriminalrats Manz, der sich nie auf das beschränkt, was der Fall ist. In "Hinterm Deich" (Kampa, 302 S., br., 19,90 Euro) lernen wir den neunzehnjährigen Manz kennen, auf seiner ersten Praxisstation. Wie gewohnt changiert die Erzählung leichthändig zwischen Gegenwart und Vergangenheit. Auf dem Parkplatz eines Baumarkts in Dresden überfällt Manz die Erinnerung an seinen ersten Fall.
Die Bilder folgen auf die Wörter, wenn Manz beim Anblick eines zu großen Holzscheits an das "Scheiteln" denkt - und plötzlich im Jahr 1964 ist, in der Nähe von Varel am Jadebusen. Ein altkluger Manz begegnet einem da, ein verletzlicher, suchender junger Mann auf dem Weg ins Arbeitsleben, der damals, so viel Spoiler darf es sein, auch Christine kennenlernt, mit der er seit fast fünfzig Jahren verheiratet ist.
Jedes Manz-Buch ist ein Wiedersehen mit einem alten Bekannten - und zugleich mit der Erfahrung verbunden, dass Wittekindts genaue, introspektive Prosa es immer wieder schafft, neue Register zu ziehen, weil er sich dem Mäandern der Erinnerung anvertraut. PETER KÖRTE
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