Die besondere Tragik Herrndorfs ist kaum greifbar: Im Moment des Erfolgs ist der vitale, sportliche Mann in seinen Vierzigern urplötzlich dem Tode geweiht. Er, der das Leben liebte und bekannte, schon "vorher" unter Thanatophobie gelitten zu haben, wird getragen in seinem langen Scheiden von einem großen Freundeskreis. Kommunikation war ihm das Wichtigste.Und ja, sie schienen das Leben in vollen Zügen zu genießen: Baden, Fußballspielen, Kino, Literatur, Ritte von Party zu Party. Der Autor einer zelotischen Gazette bezeichnete in einem Nachruf den Kreis um Herrndorf als "Bildungsprekariat", womit er im Gegensatz zur ursprünglichen Bedeutung des Begriffes wohl meinte, dass die - mindestens literarisch - hochgebildeten Jungs und Madels erheblich weniger verdien(t)en als Jürgen Drews oder die Wildecker Herzbuben. Herrndorf schrammte in seiner Ein-Zimmer-Hinterhauswohnung finanziell immer knapp am Existenzminimum vorbei, Geld bedeutete ihm nichts, und als er nach dem Erfolg von "Tschick" plötzlich "Geld wie Heu" hatte, konnte er nicht mehr viel damit anfangen. Plante nicht noch ein Abenteuer der intensiven Art, eine Weltreise etwa, jetzt, da der Sensenmann an die Pforte klopfte, nein, er stürzte sich geradezu manisch in die Arbeit.Originelle Gedanken und hübsche Passagen, wie eingangs die rund um das Bekenntnis, den Blick früh schon auf die Vergangenheit gerichtet zu haben, Goethe fiel mir sofort ein, obwohl leicht deplatziert: "Ihr naht euch wieder, schwankende Gestalten, die früh sich einst dem trüben Blick gezeigt" , oder etwa sein gespaltenes Verhältnis zu Tellkamp (und den Quatsch, den Mann mit Thomas Mann auf eine Stufe stellen zu wollen), oder plötzliche, originelle Gedankenblitze, einmal auch um den in seiner Badewanne ertränkten Schopenhauer. Und natürlich um die Kankengeschichte selbst ...Auch ein Berlin-Buch. "Berlin war richtig" meint er an einer Stelle. Na ja, da darf man durchaus anderer Meinung sein ...Herrndorf hat unglaublich viel gelesen. Ich bin noch nicht ganz durch, glaube aber nicht, dass er einen Hinweis gibt auf das, was ich selbst lesen würde, wenn ich mich zur letzten Tat entschlösse: Seneca und Marc Aurel, und noch einmal den "Diskurs über den Freitod" von Jean Amery.Herrndorf spricht von Caro-Kann. Schade, hätte zu gern mal gegen ihn Schach gespielt.