»Ich stand am Fenster und wartete, dass die Sonne unterging, denn das war die Regel, und wenn ich nicht wollte, dass etwas Schlimmes geschah, musste ich warten, bis sie untergegangen war.«
Mit diesen Sätzen beginnt er, der Lebensbericht eines Erzählers, der nach einer existenziellen Krise in seine serbische Heimatstadt zurückgekehrt ist - von der belgischen Nordseeküste an die Theiß, aus Westflandern unter den hohen leeren Himmel der Vojvodina. Die Handlung umfasst drei Jahrzehnte, vom Beginn der Jugoslawienkriege bis in die Gegenwart.
Dem Kriegsdienst entgangen, arbeitet er auf der Rosenfarm seines Vaters. Trotz eines Handelsembargos transportiert er die Pflanzen ins europäische Ausland, die Angst mit selbstgesetzten Regeln bekämpfend. Jahre später werfen ihn eine schwere Krankheit und eine Beziehungskrise aus der Bahn.
Mit bezwingender sprachlicher Schönheit, in seiner Ruhe und unerhörten Intensität einem Werk der Minimal Music vergleichbar, vollzieht Zoltán Danyis meisterhafter Roman die seelische und physische Selbsterforschung eines Menschen nach, der sich schreibend aus der Sackgasse seines Lebens herausarbeitet.Besprechung vom 20.12.2023
Was vermag der Mensch in Zeiten der Krankheit?
Wenn das Vertrauen in die Welt erst einmal verschwunden ist, stellen sich die großen Fragen: Zoltán Danyis "Rosenroman" knüpft an eine lange literarische Tradition an und erzählt doch völlig neu vom verkorksten Leben und der heilenden Macht der Sprache.
Roman de la Rose", Rosenroman, lautete der Titel eines der berühmtesten Liebesromane des frühen Spätmittelalters. Ein Roman in Versen. In ihm verwandelt sich ein Schlafender im Traum in einen Vasallen der Liebe und bricht auf, seine Angebetete zu erobern, die, so will es das Allegorische der damaligen Zeit, als Rose vorgestellt wird. Umstritten war das Werk vor allem wegen der in den Augen der Zeitgenossen allzu konkreten Beschreibungen fleischlichen Begehrens.
Der jetzt erschienene "Rosenroman" von Zoltán Danyi hat außer dem Titel scheinbar nichts gemein mit der höfischen Vorlage. Schließlich geht es zwar um Rosen und um die Liebe, doch der enorme Sog, den der Roman erzeugt, ist von anderer Art.
"Ich stand am Fenster und wartete, dass die Sonne unterging, denn das war die Regel, und wenn ich nicht wollte, dass etwas Schlimmes geschah, musste ich warten, bis sie untergegangen war." So beginnt der Roman. Wie hier muss sich der Protagonist offensichtlich fortwährend selbst gewählten Zwängen unterwerfen, um seine Ängste in Schach zu halten und sich das Vertrauen in ein Morgen herbeizureden, das der blutige Krieg im früheren Jugoslawien zerstört hat. Wer ist er, fragt man sich, und was vermag der Mensch in Zeiten des Krieges. So verkorkst das Leben, der lange Atem der Sprache hält kraftvoll dagegen. Der Sog des Textes ist aus der Hoffnung gemacht, dass eines Tages auch für den Protagonisten alles doch noch "in Ordnung" käme.
Zoltán Danyi lebt in Serbien; er gehört der ungarischen Minderheit an. Sein erster Roman, "Der Kadaverräumer", handelte von einem Räumkommando, das an der ungarisch-serbischen Grenze auf Dutzende von Tierkadavern stößt. Die brutale Darstellung der vom Krieg traumatisierten Gesellschaft hatte seinerzeit die hiesige Literaturkritik verstört. Nun im "Rosenroman" dreht und wendet sich jede Beschreibung mehrfach. Welche Bewegungsräume hat der Einzelne in einer - nicht nur - vom Krieg zerfressenen Welt? Wie viel Verantwortung suchen wir? Ist es nicht so, dass wir nur zu gerne "funktionieren", nur zu gerne an dem, was wir vorfinden, einfach mittun? Man kann schließlich nicht leben, ohne sich anzupassen.
Der Schrecken darüber, dass ein Mensch sich an Sätze klammert, um die eigenen Ängste in Schach zu halten, hallt beim Lesen lange nach. Doch zurück zur Handlung: Ein namenloser Icherzähler, ein traumatisierter ungarischer Serbe, wächst als Sohn eines Rosenzüchters heran und tritt wider- und bereitwillig zugleich in die Fußstapfen seines Vaters. Viele Jahre haben Vater und Sohn gemeinsam auf dem Feld gearbeitet, die Wildrosen beschnitten, den Boden gefräst, Steine aufgesammelt, Unkraut gejätet und Pfropfen gesetzt. Wohl um der Fron der Feldarbeit und den ausgetretenen Pfaden des Vaters ein wenig zu entgehen, hat der Erzähler irgendwann das Ausfahren der Rosen übernommen.
Als der Krieg begann, konnte er sich dank der guten Beziehungen seines Vaters der Einberufung zum Militärdienst entziehen. Die Mutter geht nach Ungarn zurück, da sie, wie sie sagt, einen Rückfall in nationalistische Feindseligkeiten befürchtet; Vater und Sohn bleiben. Die Rosen brauchen sie, auch wenn die Blumen immer weniger Absatz finden.
Wie im höfischen Roman, geht es auch in Danyis "Rosenroman" neben den Rosen um die Liebe zu einer Frau, die hier "meine Frau" heißt. Eine erfüllte Liebe, wie es lange scheint, auch wenn das Paar nicht zusammenwohnt. Doch bei aller Nähe bleibt eine Fremdheit zwischen ihnen, vielleicht auch, weil er, der Protagonist, ihren Kinderwunsch nicht erwidert. Was ist Liebe in dieser Welt, in der so etwas wie Krieg und Auschwitz möglich sind, fragt er sich einmal - in dieser Welt, in der Jungs geboren werden, um in den Krieg zu ziehen, und Mädchen, die als Frauen wiederum Jungs gebären, und so weiter.
Mit gleichbleibender, scheinbar ruhiger Aufmerksamkeit widmet sich der Roman allem, was der Fall ist: der körperzehrenden Rosenarbeit, den Liebesmomenten des Paares (aus der Sicht des Mannes) und der langsam sich herauskristallisierenden Krebserkrankung seines Penis. Minutiös werden Verfärbungen der Eichel ebenso beschrieben wie postoperative Verstümmelungen; und immer wieder verbinden sich die Wirklichkeiten im Kopf des Erzählers: Einmal etwa vergleicht er die Schönheit eines beschnittenen Gliedes mit der ersten Blüte einer Rose; die Beschreibungen sind von quälender Genauigkeit, die, obwohl schamvoll besetzt, auch im Deutschen wie selbstverständlich daherkommen. Man bewundert die Übersetzerin Terézia Mora für ihre Leistung.
Die Krankheit bringt den Icherzähler zurück zur Rosenarbeit: "Ich fing an die Rosen zu lieben, als die Ärztin mir sagte, dass ich einen Tumor am Schwanz hatte." Eine Wende im Geschehen, die aber noch keine Wende im Erzählen bringt. Erst als die Frau, die er als seine Frau ansieht, ihn verlässt und nach Frankreich geht - weil es in Serbien, wie sie sagt, immer noch "nach Leichen" stinke und man keine Kinder bekommen könne -, verliert die Fixierung auf seine kleine Welt endgültig ihren Halt. Die Handlung nimmt Fahrt auf. Eine Reise nach Belgien bringt den nötigen Abstand, und in der Auseinandersetzung mit der dortigen kolonialen Geschichte beginnen neue Fragen, die sich ihm nicht stellen konnten, solange er im Weitermachen gefangen war. Getragen von einem enorm kraftvollen Rhythmus, geraten in der Fremde langsam und subversiv Gewissheiten ins Wanken.
Danyis Sprache ist von großer Musikalität, der Roman eine weit- und tiefgreifende Selbsterforschung. Sind wir alle Vasallen unserer Projektionen, und ist die Aufzucht der Edelrosen nicht vielleicht in Wirklichkeit ein Krieg gegen die Wildrose? Danyi selbst sagt, er schreibe, um mit der Wirklichkeit zurande zu kommen, und bei Jorge Semprún habe er den Satz gefunden, es sei einfacher, von Rosen zu sprechen als von den Erfahrungen in den Todeslagern. Viele Jahre lang hat Danyi an der Transkription der Tagebücher des ungarischen Schriftstellers und Schoa-Überlebenden Imre Kertész mitgearbeitet. Dessen Satz "Thomas Manns Wirkung auf mich gilt ein Leben lang" könnte offensichtlich ein wenig auch für Danyi gelten. Während er an "Rosenroman" arbeitete, erzählt er, habe er Nacht für Nacht Manns Tagebücher gelesen und darin all jene Stellen angestrichen, die vom Ringen mit dem Schreiben handeln, denn auch er habe stetig mit dem Schreiben gerungen. Was eine Hommage an die Edelrose mit ihren adeligen Eigennamen erscheint, erweist sich subkutan als etwas anderes. Nicht zuletzt dank Terézia Moras feinster Übertragung der Rhythmen und sprachlichen Schattierungen ist "Rosenroman" ein großartiges Werk, das Denken und Sinne erweitert und bei dem jeder Satz der Kraft der Wildrose eingedenk bleibt. MARIE LUISE KNOTT
Zoltán Danyi: "Rosenroman". Roman.
Aus dem Ungarischen von Terézia Mora.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2023. 441 S., geb.
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