Besprechung vom 21.09.2021
Die lebenslange Suche nach Glanz
Ein letzter Essayband des großen polnischen Dichters Adam Zagajewski
Es ist nicht bekannt, dass der im vergangenen Frühjahr überraschend verstorbene Adam Zagajewski ein klassisches Tagebuch geführt hätte, ein solches also, in dem man unter einem bestimmten Datum aktuelle Ereignisse und Befindlichkeiten notiert. Doch er schrieb einige Essaybände, in denen er reichlich über sich selbst Auskunft gab: "Ich schwebe über Krakau", "Verteidigung der Leidenschaft" oder den 2014 erschienenen Band "Die kleine Ewigkeit der Kunst", den er sogar als "ein Tagebuch ohne Datum" bezeichnete. In jedem dieser Bücher erzählte er über sein ungewöhnliches, ereignisreiches Leben, in dem er beharrlich nach immer höherem Stil und immer tieferen ästhetischen und geistigen Empfindungen strebte - nicht zuletzt aus dem Glauben heraus, dass nur die Kunst vor Vergänglichkeit, Schmerz, Verzweiflung und Einsamkeit schützen kann. Die Kunst, das war in seinem Fall die Poesie, über deren Wesen und Sinn er auch immer wieder nachdachte. "Poesie ist die Suche nach Glanz / Poesie ist der Königsweg, / der uns am weitesten führt", schrieb Zagajewski in einem Gedicht aus dem Band "Unsichtbare Hand". In den fünfundsiebzig Jahren, die ihm vergönnt waren, hatte er genug Zeit zu erkennen, dass dieser Glanz überall zu finden war: an den schönsten Orten der Welt, aber auch in einer grauen, nebligen Herbstlandschaft oder im Alltagsgesicht Krakaus, jener Stadt, für deren Eigenart er besonders empfänglich war.
Diese Suche setzte er in seinem letzten, auf Polnisch 2017 und nun kurze Zeit nach seinem Tod erschienenen Essayband "Poesie für Anfänger" fort. Auch hier denkt er über sein Schreiben nach, etwa darüber, warum es ihn, einen Dichter, immer wieder zum Essay hingezogen habe: Es sei "der Versuch, den Abgrund zwischen den beiden Hauptbestandteilen der poetischen Welt zuzuschütten - zwischen dem Beständigen und dem Unbeständigen, dem Vorhersehbaren und dem Ungezügelten, zwischen Literatur und Epiphanie". Was an diesen selbstbezogenen Passagen besonders besticht, ist die Tatsache, dass Zagajewski zum wiederholten Mal seine Persönlichkeit offenbart, ohne dabei narzisstisch zu wirken.
Und sie faszinieren wegen der Beharrlichkeit, mit der er sein Anrecht auf die Intensität und Ambivalenz der Empfindungen verteidigt, wegen seiner nicht nachlassenden Lust, Eindrücke, die er dem Umgang mit der Hochkultur verdankt, auf sich ebenso intensiv wirken zu lassen wie alltägliche Bilder und Ereignisse, und nicht zuletzt wegen des ruhigen, zurückhaltenden, oft selbstironischen Tons, in dem er die Welt reflektiert.
Vor allem aber schreibt er diesmal über andere Schriftsteller: Dichter und Prosaisten, die ihm aus dem einen oder anderen Grund wichtig waren. Porträts polnischer Autoren, solcher, die man hierzulande kennt - Czeslaw Milosz, Wislawa Szymborska, Zbigniew Herbert, Aleksander Wat oder Józef Czapski -, und etlicher, die weniger oder gar nicht bekannt sind wie Stanislaw Baranczak, Julian Kornhauser, Hanna Malewska oder Janusz Szuber, fallen naturgemäß persönlicher aus, weil sie seine Freunde, Kollegen, Mitstreiter waren. Er begegnete ihnen oft über Jahre und an verschiedenen Orten, mit ihnen verband ihn die literarische Tradition und der historische, politische, gesellschaftliche und ideologische Hintergrund, aus dem eine Abneigung gegen jede Vermischung von Literatur und Ideologie erwachsen ist: "In kommunistischen Zeiten" seien "selbst herausragende Intellektuelle für einige Jahre der hegelianisch-marxistischen Illusion" erlegen, die etwas Großartiges, nämlich die Befreiung des Menschen, versprach und in der Praxis zu dessen Demütigung und Unglück führte.
Während er über all diese Dichter schreibt, rekonstruiert Zagajewski manche Episode aus seiner eigenen Dichterbiographie, zumindest aus deren Teil, der 1963 begann, als er aus dem schlesischen Gleiwitz nach Krakau kam, um an der Jagiellonen-Universität zu studieren. Fünf Jahre später wurde er durch die politischen Ereignisse an die Spitze einer Dichtergeneration katapultiert, die sich als "Neue Welle" bezeichnete und hochpolitische Lyrik schrieb. Von hier ging er Ende der Siebzigerjahre nach Berlin, um sich bald in Paris niederzulassen, wo Zagajewski weitere zwei Dekaden verbrachte. Irgendwann begann er zwischen Europa und Amerika zu pendeln - dort lehrte er an den Universitäten Houston und Chicago Creative Writing -, wobei von 2002 an nicht mehr Paris, sondern wieder Krakau sein europäischer Standort war.
Zwischen die Porträts der Polen sind Texte über andere literarische Größen gestreut: über Rilke, die Brüder Mann, Antonio Machado, W. G. Sebald, Tomas Tranströmer, Konstantinos Kavafis, C. K. Williams, Michael Krüger und unzählige andere, wenn man auch diejenigen mitrechnet, die er in jedem Essay nebenbei, in Form von kurzen Episoden, Überlegungen, Assoziationen, Vergleichen erwähnt. Es ist ein pures Vergnügen zu verfolgen, wie mühelos Zagajewski mit Fakten aus dem Leben seiner "Hauptakteure" jongliert, wie gründlich er ihr Werk analysiert und dabei enormes Wissen, Belesenheit und gedankliche Tiefe unter Beweis stellt. Und wie er am Rande all dieser 23 Essays über so vieles nachdenkt, was ihn und jeden anderen Dichter betrifft. Über die Kunst, Inspiration zu finden oder zu empfinden. Über die Balance zwischen Konkretem und Abstraktem, aus der die Motivation der Poesie entsteht. Über den Spagat zwischen der Lust am Rückzug in die eigene Gedankenwelt und der Verpflichtung der echten Welt gegenüber. Über den Kompromiss "zwischen Bild und Begriff, zwischen höchster Ernsthaftigkeit und heiterer Ironie". Über Geschichte, Politik, Philosophie, Metaphysik und vieles mehr.
"Das Bestehende ist oft düster, grausam, misslungen", so eine seiner Thesen, "aber Dichter und Prosaschriftsteller betrachten das, was ist, im Licht eines Streichholzes. Dieses Streichholz, dieses Flämmchen, ist der Wunschtraum, der Wunschtraum von Gerechtigkeit, der fast nie direkt ausgesprochen, nie deklariert wird." Dass sein eigenes Streichholz für immer erloschen ist, kann man immer noch kaum fassen. MARTA KIJOWSKA
Adam Zagajewski: "Poesie für Anfänger". Essays.
Aus dem Polnischen von Renate Schmidgall. Hanser Verlag, München 2021. 280 S., geb.
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