Inhalt:
Die endlose Weite Mecklenburg-Vorpommerns bietet Platz für Windparks. Nach und nach verkaufen Bauern ihr Land, um dies zu ermöglichen.
In Tobosow im Kreis Müritz jedoch erklärt Alonso Quijano den Windmühlen unserer Zeit den Krieg und setzt sich ein gegen die "Verspargelung" seiner geliebten Heimat.
Schnell wird klar, dass dies nicht der einzige Gegner für den schrulligen Alten ist: Er ist an Alzheimer erkrankt und nach und nach entgleitet ihm die Realität immer mehr.
Alleine sein achtjähriger Enkel Robin (selbst voller Phantasie und ein Ritter: Batman - the Dark Knight) nimmt den alten Mann so wie er ist und spielt das Spiel mit ...
Neuinszenierung eines literarischen Klassikers.
Einbandgestaltung:
Der Einband ist dem schlichten Design der günstigen gelben Reclam-Hefte nachempfunden.
Als Hardcover und in größerem Format als die "normalen" Reclam-Ausgaben wirkt das Buch hochwertiger.
Mit viel Liebe zum Detail und täuschend echt wurden Flecken und Verfärbungen, Abschürfungen und angestoßene Ecken, die bei den dünnen Reclam-Heften unvermeidlich sind, imitiert.
Mein Eindruck:
Dem Vorwort entsprechend nutze ich den Begriff Neuinszenierung (anstelle von Adaption), um die Art, einem literarischen Klassiker einen neuen, zeitgemäßen Anstrich zu verleihen, zu beschreiben.
Zum Verständnis der Geschichte ist es nicht notwendig, das Original gelesen zu haben. Ein Blick auf eine Zusammenfassung jedoch schadet nicht. Lesende dürfen sich freuen auf zahlreiche Anspielungen und Hinweise (in Text, Bild, Zitaten, Namenswahl usw.)
Seine Mitbewohnerin Dulcinea, das schönste Wesen unter der Sonne, gleicht (auch wenn es sich hier um eine Katze handelt) wie in der Originalvorlage einem Phantom.
Die Verwirrung des alten Mannes entpuppt sich allmählich als Demenz. Die Tochter sieht als einzigen Ausweg den Umzug in eine Seniorenresidenz (namens Cervantes). Doch die störrische und uneinsichtige Art Alonso Quijanos macht auch vor Blutsverwandtschaft nicht halt.
Sein erster Schock: Ausgerechnet sein Enkel ist großer Fan der von Alonso Quijano verteufelten Comics.
Der Junge im Batman-Schlafanzug ist ein Außenseiter und ein kluges Köpfchen, geradezu philosophisch:
"Traurigsein ist wie Schokolade. Es ist nicht gut, damit zu lange alleine zu sein."
Robin, (vgl. S. 45)
Die Dynamik zwischen Enkel und Großvater ist außergewöhnlich. Robin spielt das Ganze ohne zu zögern mit und - selbst voller Phantasie und kindlicher Neugier - möchte er auch ein tapferer Ritter sein.
Auf Rosinante (ein klappriges Herrenrad) und einem Esel (Kinderfahrrad mit Stützrädern) "reitet" das ungewöhnliche Duo ins Abenteuer.
In seinem Phantasiekonstrukt verschmilzt der 8-jährige Enkel immer mehr mit seinem besten Freund Sancho Panza. Parallelen sind vorhanden: klein, rundlich und ein wenig ängstlich. Insgesamt das Gegenteil des hochgewachsenen, schlanken 82-Jährigen.
Don Quijote, der Ritter von der traurigen Gestalt, ist ein Idealist und gerät mit seinem Altersstarrsinn in Verbindung mit der fortschreitenden Demenz in Konflikt mit der Realität.
Wahn und Wirklichkeit verschwimmen immer mehr. Die bildgewaltigen "Traum"-Sequenzen sind beeindruckend, denn auch im Bild wechselt Realität und Fiktion permanent.
Dons Tochter bringt es auf den Punkt:
"1) Ist das ein alter Mann und 2) ein achtjähriger Junge in einem Batman- Schlafanzug. 3) Sind die beiden a) auf einem klapprigen Holland-Herrenrad und b) auf einem Kinderrad mit Stützrädern unterwegs."
(vgl. S. 69)
Das Ganze ist zugleich tragisch und komisch.
Ein Scheitern mit großer Knall scheint vorprogrammiert und doch überrascht das Ende.
5 von 5 Drahtesel und eine klare Leseempfehlung für Jung und Alt!
Fazit:
Eine moderne und bildgewaltige Neuinszenierung des Klassikers: temporeich und fesselnd, humorvoll und unterhaltsam, bewegend und vielschichtig.
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Rezensiertes Buch: "Don Quijote" von Flix im Carlsen Verlag aus dem Jahr 2012