Besprechung vom 09.11.2020
Rüffel für Finanzlobby
Der grüne Ordnungsökonom Gerhard Schick klagt an
Vom reißerischen Titel des Buches "Die Bank gewinnt immer: Wie der Finanzmarkt die Gesellschaft vergiftet" sollte man sich nicht abschrecken lassen. Der frühere finanzpolitische Sprecher der Grünen und heutige Chef der Bürgerbewegung "Finanzwende", Gerhard Schick, prangert in dem Buch Fehlentwicklungen an und legt den Finger oft zu Recht in die Wunde: Cum-Ex, Wirecard, Geldwäsche - die deutschen Behörden haben oft keine gute Figur abgegeben. Die Finanzaufsicht Bafin habe quasi bei allen großen Finanz-Kriminalfällen der vergangenen Jahre geschlafen, beklagt Schick. Im Bundestag hat Schick einst den Cum-Ex-Untersuchungsausschuss auf den Weg gebracht und sich den Ruf des Aufklärers erarbeitet, was ihm den Respekt manchen politischen Gegners einbrachte. Deutschland rede zu wenig über Finanzen, findet Schick. Zu Recht fragt er, warum es zum Cum-Ex-Betrug - obwohl einer der größten deutschen Finanzskandale - bislang keine einzige Talkshow gab und die Öffentlichkeit so still sitzt.
Anders als manch Linker verteufelt Schick die Finanzmärkte nicht generell, im Gegenteil: Wir seien alle auf einen funktionierenden Finanzmarkt angewiesen, schreibt der promovierte Ökonom, der einst für das Walter-Eucken-Institut in Freiburg - einem Hort des Ordoliberalismus - gearbeitet hat. Er will bessere Spielregeln für das Finanzsystem und vieles, was er in seinem leicht lesbaren Buch schreibt, ist richtig oder zumindest diskussionswürdig.
Man muss ihm aber nicht überallhin folgen: Deutlich zu kurz greift etwa das Kapitel über Immobilienpreise. Für steigende Mieten macht er hauptsächlich "Spekulanten" verantwortlich, er befürwortet auch gedeckelte Mieten. Das klingt wenig marktwirtschaftlich und wenig ordoliberal, eher nach traditionellem Feindbild. Seine Skepsis gegen den starken Einfluss von Lobbyisten ist aber berechtigt. Auf den Punkt formuliert er, dass sich deren Arbeit oft erst im Kleingedruckten erkennen lässt, in den Durchführungsbestimmungen der Gesetze, die von der Öffentlichkeit kaum mehr wahrgenommen werden. Ob die Finanzlobby hierzulande aber tatsächlich derart erfolgreich arbeitet, dass die Banken "immer gewinnen", wie Schick etwas leichtfertig suggeriert, sei dahingestellt. Die Aktienkurse der Deutschen Bank (einst 110 Euro, heute unter 9) und der Commerzbank (einst 250 Euro, heute unter 5 Euro) erzählen auch noch einen anderen Teil der Geschichte.
TILLMANN NEUSCHELER
Gerhard Schick: Die Bank gewinnt immer - Wie der Finanzmarkt die Gesellschaft vergiftet, Campus Verlag, Frankfurt - New York 2020, 256 Seiten
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