Einzigartig ist die Bewegung der Gilets jaunes in vielerlei Hinsicht: Einfache Menschen aus den Peripherien haben sich selbstständig vernetzt und lehnen jede Art von Repräsentation ab. Mit ihren Aktionsmethoden sprengen sie den Rahmen des institutionalisierten Protests. Ihre Forderungen sind nicht gerade revolutionär - sie wollen einfach bessere Lebensbedingungen, mehr Gerechtigkeit, mehr Achtung. Dennoch haben sie das Land in die tiefste soziale Krise seiner jüngeren Geschichte gestürzt. Die Neuigkeit des Ereignisses, das mit Sicherheit langfristige Folgen zeitigen wird, zeigt sich auch dadurch, dass es sich mit konventionellen Referenzen nicht interpretieren lässt. Stehen die Gilets jaunes links oder rechts, sind sie progressiv oder konservativ? Findet eine Rückkehr des Klassenkampfs statt oder ein Aufstand der Peripherien gegen die globalisierten Zentren? Vor diesen Bruch mit ihren Gewissheiten gestellt, reagierten die meisten Zeitdiagnostiker mit Schweigen oder Verleumdung. Soziale Gelbsucht schaut hinter die Kulissen und zeigt, dass hinter den konfusen und widersprüchlichen Formen der Revolte sich der Versuch zeigt, das Leben in die eigenen Hände zu nehmen. Schließlich geht es um die Frage: Wie lässt sich eine Politik durchsetzen, die von der großen Mehrheit abgelehnt wird? Diese Frage stellt sich nicht nur in Frankreich.